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Entscheidungstag in Zypern: Nein zur Zwangsabgabe

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Parlamentsabstimmung Zyprer bejubeln "Nein" zur verhassten Zwangsabgabe

Jubel in Nikosia - und antideutsche Töne: Das Parlament in Zypern hat die Zwangsabgabe für Bankkunden abgelehnt, auf den Straßen wird die Entscheidung gefeiert. Wie aber will das Land jetzt den geforderten Eigenanteil am EU-Rettungspaket aufbringen?

"Freiheit! Demokratie!" Die Demonstranten in Nikosia schreien ihre Freude über die Entscheidung der Abgeordneten in den Frühlingsabend. Hunderte harrten stundenlang vor dem Parlament aus, die Polizei musste das Gebäude weiträumig absperren. Dutzende Fernsehteams übertrugen die Entscheidung des kleinen Euro-Landes Zypern, das weniger als eine Million Einwohner zählt, in die ganze Welt.

Das Parlament der Mittelmeerinsel lehnte am Dienstagabend die umstrittene Zwangsabgabe für Bankkunden ab, die Voraussetzung von Hilfszahlungen der europäischen Partner und des IWF in Höhe von zehn Milliarden Euro ist.

36 Abgeordnete stimmten gegen die Abgabe, 19 enthielten sich, es gab keine einzige Ja-Stimme. Auch die Regierungspartei des konservativen Präsidenten Nikos Anastasiades hatte angekündigt, sich zu enthalten, obwohl sie der Zwangsabgabe in Brüssel zugestimmt hatte.

Forderung der Demonstranten: Dem Druck aus Deutschland widerstehen

Vor der Abstimmung waren die Abgeordneten sichtlich nervös - und nahmen viele der Parolen, die sich die Demonstranten draußen auf die Plakate geschrieben hatten, in ihre Reden auf: "Wir wollen nicht eure Versuchskaninchen sein", stand da oder "Troika raus aus Zypern". Die Menge forderte, dass die Abgeordneten dem Druck aus Brüssel und vor allem - so wird es hier gesehen - aus Deutschland widerstehen.

Drinnen, im Parlamentssaal, ist es voll wie selten. Zahllose Journalisten belegen jeden freien Sitz und die Abgeordneten sind sich bewusst, dass die Welt ihnen zuschaut: Sie halten leidenschaftliche Reden. Immer geht es um Stolz ihres kleinen Volkes, um die Unabhängigkeit Zyperns - und um die Deutschen, die beides bedrohen. "Dies ist die wichtigste und kritischste Sitzung in der Geschichte des zyprischen Parlaments", hieß es zu Beginn der Debatte, dann wird hitzig diskutiert, ob die Abstimmung nicht besser verschoben werden soll. Außer der Regierungspartei DISY ist keiner dafür.

Als erstes ergreift Zacharias Koulias das Wort, jener Abgeordnete, der kurz nach der Wahl die DISY verlassen hat, jetzt als Unabhängiger im Parlament sitzt und gleich gegen die Zwangsabgabe Stimmung macht: "Wir können doch nicht dafür stimmen, anderen ihren Besitz wegzunehmen". Koulias schreit es beinahe in den Saal - und schießt gleich gegen die Regierung in Deutschland: "Schäuble und Merkel: Ihr könnt das Geld ja euren Mitbürgern wegnehmen, um unsere Bedürfnisse zu erfüllen."

"Neue Art des Kolonialismus"

"Schäuble", "Merkel", der "Bundestag" - Deutschland wird in fast jedem Redebeitrag erwähnt. Die harte Haltung der Bundesregierung steht für alles, was Zypern derzeit abverlangt wird. "Das ist eine neue Art des Kolonialismus", schimpft selbst der Grünen-Abgeordnete Giorgios Perdikis. Er heißt den steten Zufluss ausländischen Kapitals nicht gut - aber ein abrupter Schwenk komme einem "Absprung aus 10.000 Metern ohne Fallschirm" gleich.

Auch ein Abgeordneter der europäischen Partei Evroko klagt, dass "Herr Schäuble nur daran interessiert ist, seine eigenen Wahlen zu gewinnen". Die Demütigungen durch Deutschland und die Euro-Länder könne Zypern nicht hinnehmen: "Wenn das Europa ist, dann sind wir nicht Teil von Europa."

Parlamentspräsident Giannakis Omirou warnt vor "Neo-Kolonialismus und Versklavung" durch die EU: "Es geht nicht um die Legalisierung einer Enteignung, die Frage ist, ob das Euro-Land Zypern als Versuchskaninchen missbraucht werden darf." Viele Redner weisen darauf hin, dass Zyperns Banken so schlecht dastehen, seit sie beim griechischen Schuldenschnitt einen großen Teil ihrer Investitionen abschreiben mussten.

Alternative zur Zwangsabgabe? Fehlanzeige

Wenn die Troika auf der Zwangsabgabe bestehe, so ist es zu hören, würde das europäische Prinzip von Gemeinschaft und Solidarität begraben und Zypern als Finanzzentrum zerstört. Eine wirkliche Alternative - außer dem Verkauf des Erdgases, das realistischerweise erst in Jahren ausgebeutet werden kann - zeichnet allerdings keiner der Abgeordneten.

Wie es jetzt, nach der Abstimmung, weitergeht, ist unklar. Sicher ist nur, dass jene Investoren, die von niedrigen Steuern angelockt Milliarden auf die Insel transferiert haben, ihr Geld vorerst nicht abziehen.

Costas, 35 Jahre alt, Anwalt, hat fest damit gerechnet, dass das Parlament die Zwangsabgabe ablehnen wird. Er arbeitet für die ausländischen Investoren, um die es immer wieder geht - viele seiner Kunden sind Russen, "auch ein paar Oligarchen". Seit Tagen rufen seine Klienten ihn pausenlos an und fragen ihn um Rat. "Sie sind zuversichtlich, dass sie um die Abgabe herumkommen", sagt Costas. Andernfalls, auch das hätten seine Kunden gesagt, würden sie ihr Geld aus Zypern abziehen - nicht wegen der Zwangsabgabe, sondern wegen der Unsicherheit. "Es geht ums Prinzip", sagt Costas.

Es ist genau das, wovor die Bürger in Nikosia Angst haben: Die Zwangsabgabe ist für niemanden existenzbedrohend, sie zerstört aber das Vertrauen - in die eigene Regierung und vor allem in Europa. Die Gefahr, dass große Summen aus Zypern abfließen, scheint vorerst gebannt - auch wenn unklar ist, was die kleine Inselrepublik jetzt tun wird, um die fehlenden Milliarden aufzutreiben.

Über den "Plan B", an dem Abgeordnete, Minister und der Präsident den ganzen Tag hinter verschlossenen Türen gearbeitet haben, ist noch nichts bekannt.

Die Demonstranten in Nikosia jedenfalls waren glücklich und erleichtert, sie haben ihr Ziel erreicht. Eine halbe Stunde nach Ende der Debatte war die Straße vor dem Parlament wieder frei.

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