Plan-B-Abstimmung verschoben Nikosia lässt sich von Brüssel nicht hetzen

Demonstranten schreien ihre Wut heraus, die Euro-Gruppe drängelt, die EZB stellt ein Ultimatum. Die zyprischen Parlamentarier aber lassen sich nicht hetzen. Statt Plan B abzunicken, nehmen sie sich die Zeit, das Gesetzeswerk in Ruhe durchzuarbeiten - und verschieben die Abstimmung.
Schlange vor dem Bankautomaten: "Wo ist die Solidarität?"

Schlange vor dem Bankautomaten: "Wo ist die Solidarität?"

Foto: Katia Christodoulou/ dpa

Es sah fast so aus, als würde ein gemessenes Ritual aufgeführt: Eine Handvoll Polizisten sperrte am frühen Donnerstagabend seelenruhig die Straße vor dem zyprischen Parlament ab, die Fernsehteams interviewten jeden, der möglicherweise später demonstrieren könnte. Die Ruhe war schlagartig vorbei, als eine Gruppe von vielleicht zwei Dutzend Demonstranten auf die Polizisten zustürmte. Sie skandierten: "Hände weg von der Laiki" - es waren Angestellte der zweitgrößten Bank Zyperns, die Angst um ihre Arbeitsplätze haben.

Auf der Straße standen Männer und Frauen, junge und alte. Und sie waren wütend. Die Spannung, die sich in den vergangenen Tagen aufgebaut hat, entlud sich schnell und heftig: Die Protestler überrannten die Sperren und die Polizisten, die damit überhaupt nicht gerechnet hatten. Es dauerte keine fünf Minuten bis die Lage wieder unter Kontrolle war, aber der Ton war gesetzt. Die Demonstranten waren sich ihrer Stärke bewusst, die Polizisten bekamen Verstärkung von Kollegen mit Helmen, Schilden und Schlagstöcken - sie standen sich stundenlang gegenüber, zwei Seiten einer Front.

Auf der politischen Seite wurde ebenfalls gerungen. Die auf 19 Uhr Ortszeit angesetzte Parlamentsdebatte verspätete sich um dreieinhalb Stunden. Die Parteispitzen waren im Präsidentenpalast geblieben, um den Plan B nochmals ausführlich zu diskutieren, die Abgeordneten standen ratlos in den Gängen des Parlaments und rauchten zahllose Zigaretten. Kurz bevor die Sitzung gegen 22.30 Uhr endlich beginnen sollte, machten einige ihrem Ärger lautstark Luft. Der Druck setzte ihnen sichtlich zu, Druck von den eigenen Bürgern, aus Brüssel und von der Europäischen Zentralbank (EZB): Nur bis Montag würden die zyprischen Banken mit Geld versorgt, hatte die EZB bereits am Nachmittag angekündigt. Die Euro-Gruppe drängte nach einer Telefonkonferenz der Finanzminister am Donnerstagabend auf rasche Informationen und schnelle Verhandlungen.

Abgeordnete wollen die Gesetzestexte erst verstehen

Die ersten Redner im Parlament betonten deshalb auch immer wieder wie "dringend" das Gesetzespaket verabschiedet werden müsse und die Parteispitzen ja schon ausführlich darüber debattiert hätten. Die zyprischen Politiker zeigten aber einmal mehr, dass sie sich nicht hetzen lassen wollen: Die Mehrheit votierte dafür, die Sitzung auf Freitagmorgen 10 Uhr Ortszeit zu vertagen - und in der Zwischenzeit die Gesetzestexte durchzuarbeiten und zu verstehen.

Vieles war schon vorab durchgesickert. So hatte Zyperns Zentralbankpräsident schon am Nachmittag die Pläne zur Bankenrestrukturierung umrissen. Klar ist: Die Angestellten der Laiki Bank sorgen sich zu Recht um ihre Jobs: Das angeschlagene Institut soll in eine funktionsfähige und eine Bad Bank aufgespaltet werden. 2000 der 8000 Mitarbeiter der zweitgrößten Bank Zyperns könnten ihren Job verlieren, hieß es in Parlamentskreisen. Ab sofort wird zudem die Summe begrenzt, die am Automaten abgehoben werden kann: Auf 250 Euro pro Tag, wegen der "hohen Nachfrage nach Bargeld".

Das Kernthema aber, der geplante Solidaritätsfonds, dessen Gesetzestext 61 Seiten umfasst, ist immer noch vage. Die große Frage ist: Wird das Land mit dem Solidaritätsfonds überhaupt genug Geld einsammeln können, um auf die Zwangsabgabe auf Bankkonten zu verzichten? Wie viel ist in den Rentenkassen, wie viel sind die staatlichen und halbstaatlichen Einrichtungen, die in dem Fonds zusammengefasst werden sollen überhaupt wert und wie groß wird die Nachfrage nach den Anleihen sein? Nicht einmal der Beitrag der orthodoxen Kirche von Zypern lässt sich beziffern.

Lässt sich die Troika auf die Idee eines Solidarfonds ein?

Aber selbst wenn die Kirche ihren Besitz verpfänden und das zyprische Tafelsilber ausreichen sollte, um den von der Troika geforderten Anteil von sieben Milliarden Euro aufzubringen, ist noch lange nicht sicher, dass die Geldgeber von EZB, EU und IWF dieser Lösung zustimmen werden. Denn wenn Zypern keine der Bedingungen erfüllt und mit einer eigenen Lösung durchkommt, würde die Troika viel von ihrer Macht einbüßen und bei Verhandlungen mit anderen Krisenländern vielleicht erneut nachgeben müssen.

Die meisten Demonstranten waren schon nach Hause gegangen, bevor die Parlamentssitzung begonnen hatte. Am Freitagmorgen werden sie wieder da sein und den Abgeordneten ihre Plakate entgegenstrecken: "Es ist besser stehend zu sterben, als auf Knien zu leben."

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