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HAUSHALT Spielraum überschritten

Bonns Haushaltshüter erhöhten den Bundesetat um 11,4 Prozent. Opposition und Bundesbank sehen darin einen Treibsatz für fortschreitende Geldentwertung.
aus DER SPIEGEL 17/1972

Der christsoziale Oberpfälzer Hermann Höcherl fixierte die Taktik der Opposition: Je besser die CDU bei der baden-württembergischen Landtagswahl abschneide, desto härter müßten die Christen in der Haushaltsdebatte der nächsten Woche auf die sozialliberale Koalition einschlagen. Regieanweisung des listenreichen Bayern: »Wenn wir mehr als die Hälfte der Stimmen bekommen, wird schärfer angezogen. Ansonsten gibt"s nur die fällige Rüge.«

Wie auch immer das Votum der sechs Millionen Badener und Württemberger ausfällt, der Disput um Kasse und Konjunktur sieht Kanzler Willy Brandt und seinen auf Stabilitätskurs gesetzten Superminister Karl Schiller in der Defensive.

Zwar hat die Opposition inzwischen von ihrem Terrorplan abgelassen, den Kanzler der Ostverträge in der kommenden Etatwoche durch ein konstruktives Mißtrauensvotum zu stürzen. Dafür aber sollen die Bürger der Bundesrepublik um so mehr durch das für die sozialliberale Koalition im Wahlkampf 1973 einzig gefährliche Thema »Inflation« geschreckt werden.

Dem CDU-Finanzexperten »und Vorsitzenden des Bundestags-Haushaltsausschusses Albert Leicht fällt solche Panikmache nicht schwer. Der Bundesrepublik bescheinigte der einstige Strauß-Staatssekretär »eine Finanzsituation, die entweder in die Zahlungsunfähigkeit führt oder die die Inflation mit Preissteigerungsraten von fünf, sechs oder mehr Prozent zum Dauerzustand macht« --

Über fünf Stunden mühte sich Finanzchef Schiller vergangene Woche mit seinem Haushaltsspezialisten, Ministerialdirektor Joachim Hiehle, die Etatbilanz 1972 zu schönen -- vergebens. Am Mittwochmorgen gegen 1.30 Uhr verabschiedete sich der Minister mit neugewonnener Lebensweisheit·. »Das einzige Prinzip ist: Man muß sich immer bei der nächsten Geschichte von der vorhergehenden erholen.« Dann reiste er ab ins ferne Santiago de Chile zur Welthandelskonferenz. Den Beamten Hiehle entließ der Minister ins Schlußtribunal vor dem Haushaltsausschuß des Bundestages.

Dort mußte Karl Schillers Parlamentarischer Staatssekretär und Etatdirektor Hans Hermsdorf bekennen, daß

* der Bundeshaushalt 1972 nicht, wie im Regierungsentwurf vom September 1971 vorgesehen, um 8,4 Prozent auf 106,6 Milliarden, sondern um 11,4 Prozent auf 109,3 Milliarden Mark steigt -- wegen höherer Beamtenbezüge, wegen Finanzgeschenken an Länder und Gemeinden, nicht wegen zusätzlicher Reformen;

* die Verschuldung des Bundes um 2,6 Milliarden auf 7,3 Milliarden Mark aufgestockt werden muß.

Auch Leichts Haushaltsausschuß« obwohl dafür zuständig, die Ausgabensucht der Exekutive zu dämmen, gerieten keine unpopulären Streichungen. Allenfalls wurden Haushaltsgelder hin- und hergeschoben.

Noch am vergangenen Donnerstag wurden im Etat des Wirtschaftsministers mühsam zehn Millionen Mark zusammengekratzt. um damit die »Förderung der Entwicklung und Erstinnovation im Steinkohlenbergbau« (Titel des Antrags aus« dem Wirtschaftsministerium) zu beleben.

Der nach oben korrigierte Haushalt hat der Regierung freilich nicht nur neues Krisen- und Pleitenlamento der Opposition eingebracht. Auch in den eigenen Reihen droht Konflikt.

Denn durch die Ausgabensteigerung um 2,7 Milliarden im ordentlichen Haushalt ist der volle Einsatz von Schillers Eventualhaushalt zur Ankurbelung der Konjunktur unwahrscheinlich geworden. Hermsdorf: »Den können wir ganz oder teilweise ins Jahr 1973 verschieben.«

Da sich aber im Herbst 1971 Helmut Schmidt schon eine Milliarde aus dem Wehretat und Georg Leber 354 Millionen aus der Verkehrskasse abhandeln ließen. weil Schiller Geld aus dem Eventualhaushalt versprach, werden sich die beiden Schiller-Gegner kaum ein zweites Mal vertrösten lassen. Hermsdorf versucht abzuwiegeln: »Bisher hat noch keiner gedrängelt« Insgeheim hat er sich jedoch damit abgefunden, zumindest Schmidt im Spätherbst eine halbe Milliarde für Rüstungskäufe aus der Notreserve freizugeben.

Vorsorglich hat die Bundesbank bei Schiller bereits vor den Gefahren der steigenden Staatsausgaben und der Verschuldung gewarnt. Bundesbanker Heinrich Innler, der in den Defiziten von Bund, Ländern und Gemeinden sowie aus der Rückzahlung des Konjunkturzuschlages einen Inflationstreibsatz von 26 Milliarden Mark vermutet. klagt: »Das ist nicht mehr konjunkturgerecht, das geht auch weit über den Spielraum hinaus, den eine gewisse Unterauslastung des Produktionspotentials läßt.«

Die Bonner Finanz- und Wirtschaftsstrategen hoffen nun, daß der Aufschwung nicht zu schnell und zu heftig einsetzt, eine Belebung der Konjunktur durch öffentliche Aufträge also weiterhin genehm wäre. SPD-MdB Klaus Dieter Arndt, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin: »Die Fetischisierung der Zuwachsraten ist Unsinn. Bisher haben wir nur den Abwärtstrend zum Stillstand gebracht.« Und Staatssekretär Hermsdorf verteidigt die Etatprozente: »Wir gehen nicht von einer Rezession aus, aber es wird regionale und sektorale Schwierigkeiten geben,«

Den großen Widerstand will Schillers Finanzverweser beim Kampf um die Etatmilliarden erst für das Jahr 1973 leisten. »Unter keinen Umständen«, so fordert Hermsdorf« »darf sich die Verschuldung dieses Jahres wiederholen. Die bereits vorliegenden Anforderungen der Ressortherren seien nur zu realisieren mit einem Haushaltssicherungsgesetz oder Steuererhöhungen. Hermsdorf: »Das im Wahljahr -- die Regierung wäre verrückt.«

Orakelte Dienstherr Schiller vergangene Woche in Südamerika über die heimischen Haushaltsquerelen: »Das wird kein Picknick im Schatten junger Mädchen.«

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