Staatsschulden Wirtschaftsweiser prophezeit Steuerschub nach der Wahl
Berlin - Erst am Freitag hat der Bundestag signifikante Steuerentlastungen abgesegnet. Der Bundestag hat beschlossen, dass Kranken- und Pflegekassenbeiträge ab 2010 voll von der Steuer abgesetzt werden können. Arbeitnehmer sparen dadurch jährlich 9,3 Milliarden Euro. Ganz freiwillig ist das Gesetz nicht zustande gekommen - das Verfassungsgericht hatte die Politik zu dem Schritt gezwungen.
Generell aber passt die Aktion in die Zeit. Das Thema Steuersenkung hat Hochkonjunktur. Immer wieder stellen Politiker dem Wähler fiskalische Erleichterungen in Aussicht. Sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verspricht wolkig Steuersenkungen - im Irgendwann.
Wirtschaftsexperten halten solche Versprechen angesichts der steigenden Staatsverschuldung für irreführend. Auch die Fakten sprechen für sich: Das Bundeskabinett befasst sich diesen Mittwoch mit dem neuen Haushaltsentwurf von Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) für 2010. Und mit der mittelfristigen Finanzplanung. Die Neuverschuldung soll danach 2010 auf gut 86 Milliarden Euro steigen. Einschließlich Nebenhaushalten könnten es sogar mehr als 100 Milliarden Euro werden.
Nach Meinung des Wirtschaftsweisen Wolfgang Wiegard kommt die Rechnung für die jetzige Konjunkturpolitik nach der Wahl - dann drohen, entgegen allem, was derzeit aus dem politischen Berlin zu hören ist, Steuererhöhungen.
"Ich selbst halte die Wahrscheinlichkeit, dass es in der kommenden Legislaturperiode zu Steuererhöhungen kommt, für wesentlich höher als diejenige von Steuersenkungen", sagte Wiegard in einem Interview mit dem "Handelsblatt". Es sei problematisch, dass inzwischen auch die strukturelle Defizitquote des Staates wieder steige. "Da hilft nur eines: Einen neuen Anlauf zur Konsolidierung nehmen - sobald die Krise vorbei ist."
Wolle der Bund bis 2016 auf die nach der neuen Schuldenbremse zulässige Defizitquote von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts kommen, dann "geht das letztlich nur über Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen oder beides". Dabei sei das Ausgabenkürzungspotential aber nur noch begrenzt.
Mit Blick auf die Bundestagswahl im Herbst warnte Wiegard vor höheren Staatsausgaben. Zwar seien einzelne Steuersenkungen, etwa bei der Einkommensteuer, nicht generell unmöglich. So könnte man diese Abgabe senken und zugleich die Umsatzsteuer, also die Mehrwertsteuer, erhöhen. "Unseriös sind allerdings Steuersenkungsversprechen ohne Abgabe einer Gegenfinanzierung", sagte Wiegard.
Ökonomisch naiv wäre es auch, mit dem Glauben über die Selbstfinanzierung solcher Steuersenkungen über Wachstumseffekte zu kalkulieren. Eine wachstums- und beschäftigungsfördernde Steuerpolitik müsste nach den Worten des Wirtschaftsweisen die Steuerbelastung der Eigenkapitalerträge reduzieren. "Hier besteht Nachbesserungsbedarf bei der Unternehmensteuerreform", sagte er. In Hinblick auf Wachstumseffekte wäre eine Gegenfinanzierung über eine höhere Mehrwertsteuer am günstigsten.
Offiziell streiten die Koalitionsspitzen Steuererhöhungspläne derzeit ab. In einem Begleitartikel zu dem Interview mit Wiegard deutet das "Handelsblatt" allerdings an, dass man in Berlin hinter vorgehaltener Hand schon darüber nachdenkt.
"Es gibt nur zwei Möglichkeiten, die gigantische Neuverschuldung im Bundeshaushalt in den nächsten Jahren in den Griff zu bekommen. Steuern rauf oder Ausgaben runter", heißt es demnach unisono an der Spitze des Bundeswirtschafts- und des Bundesfinanzministeriums. Ein Sparprogramm mit einem hohen zweistelligen Volumen sei aber weder konjunkturell noch politisch zu vermitteln, weshalb eine Steuererhöhung wohl der wahrscheinlichere Weg sei.
Ganz oben auf der Liste für mögliche Steuererhöhungen steht laut "Handelsblatt" wieder einmal die Umsatzsteuer. Das Problem: Selbst eine drastische Anhebung auf den EU-Höchstsatz von 25 Prozent könnte das Haushaltsloch nur zum Teil stopfen. Die Unicredit etwa schätzt laut "Handelsblatt", dass sechs Umsatzsteuerpunkte dem Staat jährlich 45 Milliarden Euro zusätzlich einbringen würden. Selbst wenn die zusätzlichen Einnahmen vollständig zum Schuldenabbau verwendet würden, verringerten sich die gesamten Staatsschulden bis 2020 lediglich auf 69 Prozent des BIP, teilte das Institut mit.