SOZIALPOLITIK Starker Mann
Salbungsvoll verkündete Arbeitsminister Norbert Blüm am Dienstag letzter Woche seine Weihnachtsbotschaft: »Ich bringe eine gute Nachricht.« Erstmals glaubte der Mann, der bislang als Kürzungsminister in die Zeitgeschichte eingegangen ist, als sozialer Wohltäter auftreten zu können.
Doch die lang herbeigesehnte Premiere geriet Blüm gründlich daneben: Sein Gesetzentwurf, der 59jährigen den früheren Übergang in die Rente ermöglichen soll, wurde von allen Gewerkschaften verworfen.
Gewerkschaftsführer aus dem Arbeitnehmerlager, das zunächst die 35-Stunden-Woche durchdrücken will, unterstellen dem Arbeitsminister besonders Bösartiges: Mit seinem Gesetzentwurf - so die IG Metall - wolle Blüm die Gewerkschaften spalten.
Am stärksten war der Ärger bei der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV). »Wieder eine Zumutung«, schimpfte die ÖTV-Vorsitzende Monika Wulf-Mathies.
Weil der öffentliche Dienst von den ohnehin kargen Segnungen des Vorruhestandes ausgesperrt ist, kreidet die ÖTV-Chefin dem Kollegen Blüm den Versuch an, »dem öffentlichen Dienst das Recht auf Tarifautonomie zu entziehen«.
Den für einen Gewerkschafter schlimmen Vorwurf verdankt Blüm dem rigorosen Sparwillen seines Parteifreunds Gerhard Stoltenberg.
Nur widerwillig hatte der Finanzminister sich in den vergangenen Monaten von der Notwendigkeit eines Vorruhestandsgesetzes überzeugen lassen. Erst Kanzler Helmut Kohl erzwang Stoltenbergs Zustimmung zu einem staatlichen Angebot an die Tarifparteien.
Dieses Angebot ist auf fünf Jahrgänge (1925-1929) von 59jährigen beschränkt. Wer freiwillig den frühen Ruhestand wählt, erhält bis zum 63. Lebensjahr, dem Beginn der normalen Rente, 65 Prozent seiner letzten Bruttobezüge. Die Beiträge zur Renten- und Krankenversicherung werden weiterbezahlt. 60 Prozent der Frühpensionskosten sollen Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch Verzicht auf Lohnsteigerungen aufbringen, 40 Prozent die Bundesanstalt für Arbeit dazugeben.
Seit seiner unfreiwilligen Billigung dieses Plans versuchte Stoltenberg immer wieder, im Gesetz eine Sperre zu verankern. Den Arbeitern und Angestellten des Staates, das wollte er festgeschrieben wissen, dürfe nicht die Möglichkeit zum Vorruhestand gewährt werden.
Erst in der Kabinettssitzung am Montagabend vergangener Woche beugte sich Stoltenberg den Argumenten von Blüm, Innenminister Friedrich Zimmermann und Justizminister Hans A. Engelhard: Eine förmliche Aussperrung des öffentlichen Dienstes, so argumentierten die, würde gegen den Gleichheitsgrundsatz der Verfassung verstoßen.
Das konnte Kohls Sparkommissar jedoch nicht bremsen. In der Kabinettssitzung bewies er einmal mehr, wer der starke Mann im Kabinett ist.
Der Finanzminister bestand auf einer verbindlichen Protokollnotiz. Die untersagt es den betroffenen Ministern, als Arbeitgeber den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes ein Angebot zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit zu machen.
Das genügte Stoltenberg noch nicht. Wenn die ÖTV im nächsten Jahr von sich aus Blüms Gesetz zum Verhandlungsgegenstand erklären würde, dürfe Zimmermann keinen solchen Abschluß unterzeichnen.
Erstmals ist damit einem Innenminister lange vor der Tarifrunde untersagt, frei über die Bestandteile eines Tarifabschlusses zu entscheiden.
Einmal in Schwung, ging der Finanzminister noch weiter. Er nahm die öffentlichen Arbeitgeber in den Ländern und in den Gemeinden gleich mit in die Pflicht.
Nicht nur der Bund, auch die traditionell nachgiebigeren Tarifgemeinschaften der Länder und der Gemeinden dürfen nach Stoltenbergs Rechtsauffassung ihren Bediensteten die Segnungen einer Frührente nicht zukommen lassen. Schließlich müsse Bonn und nicht die Länder oder Gemeinden auf dem Umweg über die defizitäre Bundesanstalt für Arbeit den 40prozentigen Zuschuß
zu den Kosten der Frührente aufbringen.
Dieses Argument sticht nicht ganz. Auch die Arbeiter und Angestellten des öffentlichen Dienstes zahlen Beiträge an die Bundesanstalt für Arbeit. Wirksam werden kann das Stoltenberg-Verdikt gegen die Müllwerker und Verwaltungsangestellten deshalb nur, wenn Bonn die Länder und Gemeinden durch politischen Druck zu Wohlverhalten zwingt. Und ob das gelingt, ist fraglich.
Eines allerdings hat Stoltenberg erreicht: Der Tarifunterhändler der Bundesregierung, Friedrich Zimmermann, wird bei den Gewerkschaften nicht mehr als vollwertiger Gesprächspartner akzeptiert. Die ÖTV-Chefin Wulf-Mathies: »Es ist schwer, mit jemandem zu verhandeln, der eigentlich keine Vollmachten hat, der nur Staffage für die Richtlinien des Finanzministers ist.«