Steigende Strom- und Gaspreise "Es ist die blanke Gier"

Keine Branche steht so unter Druck wie die Energiekonzerne: Die EU-Kommission will sie zerschlagen, Politiker und Kunden protestieren wegen immer höherer Rechnungen - trotzdem erhöht Marktführer E.on noch mal drastisch die Preise. Denn die Versorger wähnen sich in Sicherheit.

Hamburg - Für Aribert Peters ist die Lage klar. Dass E.on seine Strom- und Gaspreise schon wieder erhöht, ist für ihn eine glatte "Kriegserklärung". Peters leitet den Bund der Energieverbraucher, seit Jahren kämpft er gegen die Großen der Branche. Er hat die Öffentlichkeit auf seiner Seite, die EU-Kommission sowieso, und auch die Bundesregierung unterstützt seine Arbeit weitestgehend. Trotzdem scheint alle Mühe umsonst.

Kein Jahr, kein Monat vergeht, in dem Peters nicht schon wieder irgendeine Erhöhung der Strom- und Gaspreise kommentieren muss. Heute war es der Branchenprimus, über den sich Peters aufregte: Deutschlands größter Energiekonzern E.on kündigte an, Strom ab Januar um bis zu 9,9 Prozent und Gas um bis zu 8,8 Prozent zu verteuern. Und Experten sind sich sicher: Andere Versorger werden nachziehen und ihre Preise ebenfalls erhöhen.

Wie kann es sein, dass sich die Konzerne das immer noch trauen - trotz aller Mahnungen und Drohungen aus der Politik?

Für Peters gibt es nur eine Erklärung: "Es ist die blanke Gier." Natürlich spürten die Unternehmen den Gegenwind, der ihnen derzeit in der Öffentlichkeit entgegenschlägt. "Aber es ist ihnen egal."

Mit jeder weiteren Preiserhöhung steigt freilich der Druck, den die Politik auf die Unternehmen ausübt. So will die EU-Kommission die Stromkonzerne am liebsten zerschlagen, um für mehr Wettbewerb zu sorgen. Und Verbraucherschützer rufen Kunden auf, den Strom- und Gasanbieter zu wechseln. Doch die Unternehmen scheinen davon unberührt.

Peters hat deshalb einen Verdacht: Die Konzerne wollen noch so viel Geld scheffeln, wie nur irgend geht. "Was langfristig passiert, kümmert einen Manager nicht."

Anbieterwechsel - so funktioniert's

Die Unternehmen selbst sehen das natürlich anders. Ihre Begründung für die steigenden Endkundenpreise: Öl wird immer teurer, damit steigt auch der Gaspreis, und das wiederum macht die Erzeugung von Strom in Gaskraftwerken teurer.

In gewisser Weise ist diese Argumentation richtig. Schließlich verteuern sich Rohstoffe an den internationalen Börsen tatsächlich. Erst heute sprang der Ölpreis über 85 Dollar auf ein Rekordhoch. "Die aktuellen Teuerungsraten lassen sich erklären", sagt ein Vertreter der stromintensiven Industrie, die große Mengen Energie verbraucht. "Die Frage ist nur: Wie hoch ist das Ausgangsniveau?"

Und genau da stellen sich in Deutschland Fragen. Ein Preisvergleich zeigt, dass Strom hier deutlich teurer ist als in den meisten anderen Staaten Europas. Auch ohne die derzeitigen Preiserhöhungen müssen die Deutschen mehr für ihren Strom zahlen als beispielsweise Österreicher oder Schweizer:

So teuer ist Strom in Europa (inklusive Steuern)

Rang Land Strompreis in Cent je Kilowattstunde *
1 Finnland 11,61
2 Schweiz 11,64
3 Frankreich 12,41
4 Spanien 15,15
5 Schweden 15,72
6 Großbritannien 16,51
7 Belgien 16,85
8 Österreich 17,68
9 Deutschland 21,03
10 Italien 23,29
11 Niederlande 23,42
12 Dänemark 24,67
* Stand: Januar 2007
Quelle: Bund der Energieverbraucher

Die Branche selbst sieht die Schuld dafür beim Staat. Dass Strom hierzulande so teuer ist, liege an der hohen Stromsteuer und an der Umlage für erneuerbare Energien, argumentiert der Verband der Elektrizitätswirtschaft (VDEW). Preisvergleiche zeigen jedoch, dass selbst ohne Steuern Strom in Deutschland mit am teuersten ist:

So teuer ist Strom in Europa (ohne Steuern)

Rang Land Strompreis in Cent je Kilowattstunde *
1 Finnland 8,77
2 Frankreich 9,12
3 Schweden 9,74
4 Dänemark 10,80
5 Schweiz 10,82
6 Spanien 12,43
7 Österreich 12,50
8 Belgien 13,59
9 Niederlande 14,16
10 Deutschland 15,62
11 Großbritannien 15,72
12 Italien 16,58
* Stand: Januar 2007
Quelle: Bund der Energieverbraucher

Und wie es aussieht, müssen die Verbraucher künftig noch mehr zahlen. Denn neben E.on erhöhen eine Reihe weiterer Unternehmen die Preise.

Wer noch erhöhen will und wie stark die Preise steigen

So will RWE die Strompreise bei seinen Regionalversorgern RWE Westfalen-Weser-Ems und RWE Rhein-Ruhr zum Jahreswechsel um durchschnittlich 6,6 Prozent erhöhen. Die RWE-Töchter Süwag und Lechwerke AG planen sogar Steigerungen um neun Prozent. Das Mannheimer Unternehmen MVV Energie wiederum will den Standard-Stromtarif zum Jahreswechsel um 4,2 Prozent erhöhen. Insgesamt sind Millionen Haushalte betroffen.

So stark steigen bei E.on die Strompreise

Regionalversorger Preiserhöhung zum 1. Januar in Prozent
E.on Hanse :7,1
E.on Avacon (Niedersachsen) :7,3
E.on Avacon (Sachsen-Anhalt) :8,7
E.on edis :8,3
E.on Thüringer Energie :9,1
E.on Westfalen Weser 9,1
E.on Mitte :9,8
E.on Bayern :9,9
Quelle: AP

Vattenfall hatte seine Preise schon im Juli erhöht. Im Januar will das Unternehmen vorerst nicht mitmachen. Das Gleiche gilt auch für EnBW. Allerdings dürfte dies nur eine Atempause sein: Der neue EnBW-Chef Hans-Peter Villis sagte in der vergangenen Woche, dass er weiter steigende Strompreise erwartet.

Auch kleinere Unternehmen drehen kräftig an der Preisschraube. Allein zum 1. Oktober werden 47 Stadtwerke und andere Versorger ihre Tarife erhöhen, sagte eine Sprecherin des Verbraucherportals Verivox SPIEGEL ONLINE. Für den ersten Januar erwartet sie sogar "Hunderte". Insgesamt gibt es in Deutschland gut 900 lokale und regionale Energieversorger. "Die Unternehmen lassen E.on vorgehen und ziehen dann selbst nach", sagte die Sprecherin.

So stark steigen bei E.on die Gaspreise

Regionalversorger Preiserhöhung zum 1. Januar in Prozent
E.on Thüringer Energie :3,4
E.on Avacon :4,7
E.on Hanse :5,8
E.on Mitte :6,6
E.on edis :6,9
E.on Bayern :7,7
E.on Westfalen Weser :8,8
Quelle: AP

Klingt das nicht nach Absprachen? Nein, sagen Verbraucherschützer, diesen Vorwurf könne man wohl nicht erheben. Allerdings haben die großen Konzerne eine erhebliche Marktmacht - und die nutzen sie aus. Die vier großen Energieunternehmen E.on, RWE, EnBW und Vattenfall kontrollieren 80 Prozent der deutschen Stromerzeugung und 100 Prozent der überregionalen Verteilungsnetze.

Der Energieexperte der Verbraucherzentralen, Holger Krawinkel, wertete die neue Preisrunde denn auch als Zeichen für den unzureichenden Wettbewerb auf dem Strommarkt. Das einzige, was Kunden tun könnten: den Anbieter wechseln. Doch das Kernproblem bleibe: Seit dem Jahr 2000 seien die Strompreise in Deutschland um rund 50 Prozent gestiegen.

Wenn dem tatsächlich so ist, dann ist nun die Politik am Zug. Sie müsste den Unternehmen strengere Regeln vorgeben, damit der Wettbewerb auf dem Energiemarkt endlich funktioniert.

Vorerst allerdings belassen es Politiker aller Parteien bei Schelte für E.on. "Wir haben offensichtlich noch immer nicht ausreichend Wettbewerb bei der Stromerzeugung", sagte Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) - ohne allerdings anzukündigen, was aus dieser Problemerkenntnis folgen soll.

Ähnlich ist es bei SPD-Fraktionsvizechef Ulrich Kelber. Ein Blick in die E.on-Bilanz zeige, dass überzogene Gewinnerwartungen der wahre Grund für die Preiserhöhungen seien. "Wir halten die Preiserhöhungen insbesondere beim Strom für völlig überzogen und ungerechtfertigt", sagt Kelber. Doch welcher Schritt folgt daraus?

Beherzter ist da die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU). Sie will in ihrem Bundesland eine kartellrechtliche Überprüfung starten. Die Landeskartellbehörde soll untersuchen, ob die Preisspanne zwischen dem billigsten und dem teuersten Anbieter zu rechtfertigen ist. Immerhin: Ein Anfang ist gemacht.

mit Material von Reuters/AP/AFP

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