Steuereinbruch durch Coronakrise Die Scherben nach der Vollbremsung

"Das ist nicht wenig Geld": Scholz bei der Vorstellung der Steuerschätzung
Foto:Michael Sohn/ DPA
In Berlin gab es in den vergangenen Jahren Dinge, die fast schon unabänderlich schienen. Merkel machte die Raute. Die SPD stritt über ihren Kurs. Und die Steuereinnahmen stiegen stetig.
So war es auch noch im vergangenen Jahr, obwohl Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) wegen der sich abkühlenden Konjunktur schon damals das Ende der "fetten Jahre" ankündigte. Die Folgen der Corona-Pandemie beenden diese Jahre nun wirklich - mit einem Einbruch, der noch vor wenigen Wochen kaum vorstellbar war.
Allein im laufenden Jahr dürften die Einnahmen von Bund, Ländern und Kommunen um knapp 99 Milliarden Euro geringer ausfallen als noch im Herbst angenommen. Im Vergleich zum Vorjahr gehen sie um fast 82 Milliarden Euro zurück. Zu diesem Ergebnis kommt der Arbeitskreis Steuerschätzung, dessen neue Prognose Scholz am Donnerstag vorstellte.
"Willkommen in der neuen Normalität", sagte Scholz. Er bezog sich dabei zwar auf die Corona-Maßnahmen, hätte aber auch über die Finanzlage des Staates sprechen können. Denn die verschlechtert sich gerade an vielen Fronten:
Die schon vorher leicht stotternde Wirtschaft ist durch die Corona-Einschränkungen zu einer Vollbremsung gekommen. Läden, Restaurants und teilweise auch Fabriken waren über Wochen geschlossen - auch im Ausland, das sonst so fleißig Produkte Made in Germany kauft. Und selbst dort, wo Läden immer geöffnet waren oder es längst wieder sind, ist vielen Leuten die Lust am Konsum vergangen. Das bedeutet: viel weniger Einnahmen, auf die Unternehmer Steuern zahlen müssen.
Neben dem konjunkturell bedingten Minus verzichtet der Staat derzeit freiwillig auf Einnahmen: Er erlaubt Unternehmen die rückwirkende Verrechnung von Verlusten, stundet Steuerzahlungen und senkt für die Gastronomie vorübergehend die Mehrwertsteuer. Allein die Stundungen haben laut Haushaltsstaatssekretär Werner Gatzer ein Volumen von rund 20 Milliarden Euro.
Durch die Wirtschaftskrise fließt weniger Geld in die Sozialkassen, zugleich sind viel mehr Menschen auf Leistungen wie Grundsicherung angewiesen. Damit droht eine deutliche Erhöhung der Sozialbeiträge, was die Regierung aber vermeiden möchte. Scholz stellte deshalb, ebenso wie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), staatliche Zuschüsse in Aussicht. Und auch die kosten Geld.
Trotz rasant schrumpfender Einnahmen plant die Regierung Rekordausgaben: Um die Folgen der Krise abzudämpfen, hat sie Hilfspakete im Gesamtvolumen von gut einer Billion Euro geschnürt. "Wir haben die Bazooka rausgeholt", beschrieb es Scholz am Donnerstag noch einmal mit einem seiner neuen Lieblingsworte. Zur Finanzierung der Hilfen hat er bereits einen Nachtragshaushalt von 156 Milliarden Euro durchs Parlament gebracht. Bei dem wird es aber kaum bleiben können, wie die neuen Zahlen der Steuerschätzer zeigen.
Zu den größten Leidtragenden dieser Entwicklungen gehören die Kommunen. Städten und Gemeinden könnten laut den kommunalen Spitzenverbänden allein in diesem Jahr bis zu 60 Milliarden Euro fehlen, gegenüber dem Herbst fallen ihre Steuereinnahmen um 15,6 Milliarden Euro niedriger aus. Besonders schmerzlich fehlt als wichtigste Finanzierungsquelle die Gewerbesteuer. Ihre Einnahmen würden um knapp 13 Milliarden Euro sinken, sagte Scholz - und fügte gewohnt trocken hinzu: "Das ist nicht wenig Geld."
Viele Geldquellen sind plötzlich versiegt
Laut einer aktuellen Umfrage der staatlichen Förderbank KfW unter Kämmerern erwarten zwei Drittel in diesem Jahr einen starken Rückgang der Steuereinnnahmen, ein Drittel rechnet auch mittelfristig damit. Auch andere Geldquellen sind mit einem Mal versiegt, etwa die Eintrittsgelder von städtischen Schwimmbädern oder die Tickets von Bussen und Bahnen im ÖPNV.
Zugleich haben die Kommunen - wie schon in der Flüchtlingskrise – mit einem Mal erhebliche Mehrausgaben, etwa in den Gesundheitsämtern oder bei Sozialleistungen wie den Kosten der Unterkunft. Einen Rückgang der Kosten erwarten die kommunalen Kassenwarte denn auch nur in einem Bereich: bei den Investitionen.
Damit drohe sich ein Muster aus früheren Krisen zu wiederholen, warnt die KfW: "Den finanziellen Engpässen wird durch ein Streichen der Investitionen begegnet. Dies fällt kurzfristig kaum auf, droht aber langfristig negative Konsequenzen für den Zustand der Infrastruktur nach sich zu ziehen." Das wäre auch deshalb eine bittere Ironie, weil gerade die Coronakrise den Investitionsbedarf in Bereichen wie der digitalen Bildung aufgezeigt hat.
Bund und Länder müssten nun "rasch einen Schirm für die Kommunen in der Coronakrise aufspannen", um die "kommunale Handlungs- und Investitionsfähigkeit zu sichern", forderte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg. Über mögliche Hilfen beraten Vertreter der Kommunen am Donnerstagnachmittag auch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Scholz ließ am Donnerstag durchblicken, dass man den Kommunen auch im Rahmen eines Konjunkturpakets helfen will. Es soll Anfang Juni geschnürt werden und die Erholung der Wirtschaft von der Coronakrise unterstützen. Man müsse verhindern, dass die Kommunen ihre Investitionen zurückfahren, sagte Scholz. Auch an seinen Plänen für einen Altschuldenfonds halte er fest. Weitere Details nannte Scholz aber nicht.
Deutlicher wurde der Vizekanzler ganz am Ende seines Auftritts beim Thema Grundrente. Ab Freitag berät der Bundestag über das Vorhaben, mit dem die Bezüge von rund 1,3 Millionen Bürgern aufgebessert werden sollen. Doch mit der Union streitet die SPD nach wie vor über die Finanzierung, die unter anderem an der bis heute nicht umgesetzten Finanztransaktionsteuer hängt.
Aus der Union kamen angesichts der Coronakrise Forderungen, die Grundrente zu verschieben oder gar aufzugeben – doch davon will Scholz nichts wissen. "Wir geben großen Unternehmen Kredite von mehreren Milliarden Euro", sagte er. "Und dann kommt jemand daher und sagt, die Grundrente, die knapp über eine Milliarde kostet, können wir aber nicht bezahlen. So jemand gehört eigentlich ausgebuht."