INVESTITIONEN Stop and go
Den Bonner Fliesenfabrikanten Nikolaus Fasolt, seit Montag dieser Woche neuer Industriepräsident, »bewegt das Problem brennend«. Die Blockade von millionenschweren Investitionen durch Bürger und Beamte sei in der Tat kaum tragbar.
Seit Wochen und Monaten schon klagen Fasolts Kollegen quer durch alle Branchen über eine neue, bislang in Zahlen noch nicht faßbare Konjunktur-Bremse -- den Investitionsstau.
Chemie-Chef Matthias Seefelder von der BASF war der Angelegenheit schon nahegekommen, als er die oft beklagte Investitionsflaute vor allem als Folge der »immer tiefer dringenden administrativen Einflußnahme« entschlüsselte. Veba-Boss Rudolf von Bennigsen-Foerder stöhnte noch letzte Woche über die »unzumutbare Belastung für uns« und wertete die allein in der Veba-Konzernsparte Kraftwerksbau auf acht Milliarden Mark aufgelaufenen Baustopps als »eine Wachstumsbremse für unsere Volkswirtschaft«.
Für den Atom-Professor Heinrich Mandel vom Essener Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk (RWE) stehen die Schuldigen am Stau schon fest: »die verunsicherten Politiker und, durch die Politiker, die verunsicherten Verwaltungsbeamten«.
Irritiert von den lärmenden Unternehmerklagen, stellte der neue Bonner Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff noch Ende vergangenen Jahres eine interministerielle Arbeitsgruppe »Investitionsstau in der Wirtschaft« zusammen. Lambsdorff: »Wir müssen die Hemmnisse einzeln identifizieren und Wege zu ihrer Beseitigung suchen.«
Seitdem fahndet die Bonner Sondertruppe bei Bossen und Bürokraten nach den wirklichen Verursachern der Bau-Blockade. »Wir wollten nicht die Beschwernisse von Unternehmern auflisten, erst recht keine Klimaforschung betreiben«, erläutert Lambsdorff-Gehilfe Georg Grimm, sondern »konkrete Investitionsvorhaben zusammentragen«.
Den Rücklauf ihrer Anfragen sortierten die Bonner Flauten-Forscher nach Bauvorhaben bei Staat und Privat-Konzernen, »deren Realisierung > durch Gerichtsverfahren verhindert,
* durch Bürgerinitiativen blockiert,
* durch ungewöhnlich lange Genehmigungsverfahren aufgehalten« oder
* bereits im Planungsstadium »wegen neuer Auflagen aufgegeben worden« ist.
Als Ergebnis der vertraulichen Fleißarbeit, die der Liberale Lambsdorff schon nächste Woche seinem Kanzler und den Kabinettskollegen präsentieren will, kam die Zahl von gut 25 Milliarden Mark heraus. Werte in dieser Höhe -- Kläranlagen und Kraftwerke, Flughäfen und Fabriken, Maschinen und Mülldepots -- können gegenwärtig nicht produziert werden, obwohl sie geplant und gewollt sind.
Blockiert etwa ist der Bau von 227 Kilometern Bundesfernstraßen. Um durchschnittlich zwei Jahre verzögert hat sich der Bau von Kläranlagen durch komplizierte wasserrechtliche Vorschriften. Wegen Raumordnungsverfahren sowie Naturschutzgesetzen in Bayern und Baden-Württemberg liegen Regionalprojekte wie Gaswerke, Überlandleitungen oder Fernwärmesysteme im Wert von 1,1 Milliarden einstweilen still.
In Frankfurt und Umgebung liegen kilometerlange Autobahntrassen brach. Dorfbürgermeister hatten Einspruch erhoben, und pingelige Planbürokraten aus Frankfurt übten Go-slow. Als Ordermanko für das Philipp-Holzmann-Konsortium kommen rund 700 Millionen Mark heraus. »Weitere Verzögerungen«, wetterte Mitte Februar Lambsdorffs Parteifreund und hessischer Ressort-Kollege Heinz Herbert Karry, »kann ich nicht mehr verantworten.« Zwei Teilstücke will Karry nun in eigener Regie ohne Abstimmung mit den Raumordnern der Hessen-Metropole weiterbauen.
Auch Bundesbahn-Chef Wolfgang Vaerst kann kaum auf den Weiterbau seiner milliardenschweren Schnellstrecke von Mannheim nach Stuttgart hoffen. Vorerst endet die bereits begonnene Trasse wegen der Schallschutzgesetze mitten in einem Acker.
Bürgerinitiativen gegen Fluglärm verhinderten den weiteren Ausbau der Flughäfen wie Düsseldorf, Frankfurt und München im Gesamtwert von 4,5 Milliarden Mark. Mit der klotzigen Zahl von 30 Milliarden Mark -- und mit der Gefährdung von 170 000 Arbeitsplätzen -- kommt Fasolts BDI, falls die langfristig angesteuerten Kraftwerkskapazitäten nicht gebaut werden.
Die Großchemie meldet 3,5 Milliarden Mark Investitionsstau. Die Ölbranche, voran BP-Chef Hellmuth Buddenberg mit einem Zwei-Milliarden-Programm in Dinslaken, barmt um drei Milliarden Mark, die nicht investiert werden können.
Bei solchen Horrorzahlen sind denn auch entsprechende Maßnahmen, die an die Einspruchsrechte des Bürgers gehen, nicht fern. So empfehlen die Bonner Investitionsbeamten die Einschränkung der bautechnischen Überprüfung und Überwachung« und »die zügige Behandlung und Verabschiedung des Verkehrslärmschutzgesetzes«.
Den »Abbau von Engpässen« bei den Verwaltungsgerichten wollen sie durch »Personalverstärkung« beheben. Und im gleichen Zuge sollen den Richtern im Energiebereich auch ganz salopp ihre »Auslegungsspielräume« eingeengt und den Bürgern ihre Einspruchsrechte beschnitten werden.
Ob sämtliche Investitionen, die sich jetzt so stauen, am Ende notwendig sein werden, hat Lambsdorffs Sondertruppe nicht gefragt.