Streit um freie Jobs Personalnot-Klagen empören Experten
Hamburg - Es klingt nach einem Paradies für Arbeitnehmer: Händeringend suchen die Unternehmen nach Mitarbeitern, Zigtausende Stellen müssen besetzt werden, die Bosse sind bereit, fast jeden Lohn zu zahlen. Nur ein Traum?

Mitarbeiter in Metallbranche: Arbeitgeber klagen über Produktionsausfälle
Foto: DDPLaut Arbeitgeberverband Gesamtmetall ist er in Deutschland Wirklichkeit. Die Metall- und Elektroindustrie habe im Januar so viele Jobs geschaffen wie seit 40 Jahren nicht mehr, sagte Funktionär Martin Kannegießer der "Bild"-Zeitung. Manche Firma, teilte der Verband mit, habe die Produktion so schnell hochgefahren, dass sie mit Einstellungen nicht mehr hinterherkomme. Deutschlandweit drohten nun Produktionsausfälle.
Experten sehen die Lage weniger dramatisch: Denn nur wenige Firmen leiden unter Personalmangel. Und diejenigen, die es trifft, haben sich ihre Probleme oft selbst zuzuschreiben.
Die SPIEGEL-ONLINE-Übersicht zeigt: Fast in jedem Beruf gibt es freie Stellen. Trotzdem reicht das Angebot bei weitem nicht aus. Im Februar waren bei den Arbeitsagenturen 565.000 offene Stellen gemeldet. Die Zahl der Arbeitslosen lag dagegen bei 3,3 Millionen. Selbst wenn man berücksichtigt, dass im Schnitt nur jeder dritte freie Arbeitsplatz bei der Jobagentur registriert wird, bleibt eine erhebliche Lücke. Keine Arbeitskräftelücke, sondern eine Joblücke.
"Wir haben durchaus einen Fachkräftemangel", sagt Anja Kettner vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, "aber nur partiell." Insgesamt sinkt die Arbeitskräftenachfrage sogar, wie eine IAB-Studie kürzlich feststellte.
Tatsächlich sind es immer die gleichen Verbände, die über einen Personalmangel klagen: Neben Gesamtmetall sind dies der Verband der Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA), der Verein deutscher Ingenieure (VDI) sowie der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom).
"Im Kern geht es nur um die Metall- und Elektrobranche", sagt Oliver Koppel vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft. Das Problem färbe zwar auf verwandte Bereiche ab - so seien Ingenieure, Techniker und Patentanwälte durchaus gefragt. Bei den meisten Berufen gebe es aber nach wie vor ein Überangebot an Arbeitskräften. "Das gilt sogar für Hochqualifizierte", sagt Koppel, "zum Beispiel für Geisteswissenschaftler, aber auch für Biologen und Chemiker."
Selbst in der boomenden Metallbranche gibt es rein rechnerisch keine Arbeitskräftelücke. Trotz der guten Auftragslage waren im Januar 233.000 Metaller arbeitslos. Das sind zwar 24 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Die Zahl der offenen Stellen reicht aber trotzdem nicht aus: Sie lag im Januar bei 87.800.
Selbst wenn man bedenkt, dass die Unternehmen nicht alle freien Arbeitsplätze melden, bleibt ein Problem bestehen: Die vorhandenen Jobs passen nicht immer zu den Arbeitlosen - und umgekehrt. Was nützt einem erwerbslosen Sachsen eine freie Stelle in Baden-Württemberg? Und was hat ein Unternehmen von einem Hilfsarbeiter, wenn es Ingenieure sucht?
Die Lösung für die Unternehmen lautet Zeitarbeit. Keine Branche boomt so wie sie. 1994 waren deutschlandweit gut 100.000 Menschen als Leiharbeiter registriert. Mitte 2007 waren es schon mehr als 730.000 (siehe Grafik). Befeuert wurde das Wachstum durch die Hartz-Gesetze: Sie haben die Branche radikal dereguliert. "Zum Teil haben Unternehmen die Zeitarbeit genutzt, um ihre festangestellten Mitarbeiter auszutauschen", sagt Hartmut Seifert von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.
Auch in der Metall- und Elektroindustrie wächst die Zeitarbeit rasant. Im vergangenen Jahr schuf die Branche 120.000 reguläre Arbeitsplätze - und 40.000 Zeitarbeitsjobs. Das heißt: Ein Viertel aller neuen Stellen entfällt auf Leiharbeiter.
Der Vorteil für die Firmen: Leiharbeiter sind flexibler - und billiger. In der Regel verdienen sie deutlich weniger als Festangestellte. Das Soziökonomische Panel des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung bezifferte die Lohndifferenz 2005 auf 3,89 Euro pro Stunde. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung errechnete anhand einer Betriebsrätebefragung einen Unterschied von 29 Prozent. Nur 20 Prozent der Betriebe zahlen ihren Leiharbeitern den gleichen Lohn wie der Stammbelegschaft.
"Bei der Weiterbildung sparen - und sich dann wundern"
Die Zeitarbeit gilt als guter Konjunkturindikator: Brummt die Wirtschaft, werden Leute nachgefragt; lässt das Wachstum nach, werden die Mitarbeiter wieder heimgeschickt. Dabei ist die Branche selbst ein Opfer der Konjunktur: "Auch wir haben Schwierigkeiten, gute Leute zu finden", sagt Thomas Läpple vom Bundesverband Zeitarbeit.
Vor allem in Bayern und Baden-Württemberg seien Facharbeiter und sogar Hilfsarbeiter Mangelware - doch genau in diesen Regionen bräuchten die Metall- und Elektrofirmen zusätzliches Personal. "Wir können die Wünsche unserer Kunden immer öfter nicht erfüllen", sagt Läpple.
Im Abschwung läuft das gleiche Spiel ab, nur mit umgekehrtem Vorzeichen: Als erstes trennen sich die Unternehmen von ihren Zeitarbeitskräften. In anderen Firmen können diese aber auch nicht unterkommen, schließlich erfassen Konjunkturdellen stets die ganze Branche. "Der Arbeitsmarkt ist für alle gleich", sagt Seifert von der Hans-Böckler-Stiftung. Das gibt auch Zeitarbeitsfunktionär Läpple zu: "Wenn wir keine Anschlussbeschäftigung finden, müssen wir den Leuten kündigen."
Dass es nicht ewig aufwärts geht, ist fast allen klar. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und das Münchner Ifo-Institut erwarten für die Metall- und Elektroindustrie 2008 eine Halbierung des Wachstums, ab 2009 rechnen die Ifo-Forscher sogar mit einem leichten Minus.
"Es kann aber auch schlechter kommen", teilt Gesamtmetall mit - und zählt gleich eine Reihe von Risiken auf: den hohen Ölpreis, den starken Euro, die schwache US-Konjunktur. Wenn nun noch die Finanzkrise auf die Realwirtschaft durchschlägt, könnte es mit dem Aufschwung - und dem Arbeitskräftemangel - schnell vorbei sein.
Manche Experten fühlen sich deshalb von der Diskussion genervt. "Immer wenn die Arbeitslosigkeit zurückgeht, fangen die Unternehmen an zu jammern", sagt Gewerkschaftsfreund Seifert. Dabei seien die Firmen an ihren Personalproblemen oft selbst schuld. "Im Abschwung hätten sie Zeit gehabt, ihre unterausgelasteten Arbeitnehmer weiterzubilden." Stattdessen seien viele Mitarbeiter auf die Straße gesetzt worden. "Und jetzt wundert man sich, wenn die Leute fehlen."
Tatsächlich haben die Unternehmen in den vergangenen Jahren immer weniger in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter investiert. 1997 haben laut Hans-Böckler-Stiftung noch 43 Prozent aller Beschäftigten eine betriebliche Fortbildung besucht. 2003, dem letzten Jahr, über das Daten vorliegen, waren es nur noch 34 Prozent. Laut Eurostat bieten nur 54 Prozent der Unternehmen in Deutschland überhaupt Weiterbildungskurse an. In Dänemark sind es 81 Prozent (siehe Grafik). Auch die öffentlich geförderte Weiterbildung wurde in den vergangenen Jahren deutlich zurückgefahren.
In der ökonomischen Theorie müsste Personalmangel eigentlich ein kräftiges Lohnplus nach sich ziehen. Für die Arbeitnehmer in Deutschland wird sich diese Hoffnung aber wohl nicht erfüllen, sagt Seifert. "Wenn die nötige Qualifikation nicht da ist, hilft auch mehr Lohn nicht weiter."