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Börse STRIP IN DER ZOCKERSTUBE

Großanleger haben seit Jahren den Fiskus geprellt - mit Hilfe deutscher Banken. Ein Bericht aus dem hessischen Wirtschaftsministerium belegt dubiose Aktiengeschäfte in Frankfurt, mit denen Millionen verdient wurden. Bei manchen Deals müßte auch der Staatsanwalt ermitteln.
aus DER SPIEGEL 34/1994

Seine Kunden kann sich Rolf Breuer, im Vorstand der Deutschen Bank zuständig fürs Börsengeschäft, nicht aussuchen: »Wer von uns kaufen will, wird beliefert.«

So kann es passieren, daß unter den Kunden bisweilen auch einige sind, die nicht ganz saubere Geschäfte über Deutschlands größtes Kreditinstitut abwickeln. Und eben das ist geschehen, wie sich vergangene Woche erneut zeigte.

Seit Jahren stehen Banken und Börsenmakler in Frankfurt im Verdacht, einen zweifelhaften Handel mit Aktien zu betreiben. Durch das sogenannte Dividenden-Stripping, bei dem Wertpapiere zwischen ausländischen und inländischen Aktionären für einen Tag hin- und hergeschoben werden (siehe Kasten), wird der Fiskus übertölpelt.

Stripping ist nicht einmal Steuerverkürzung, die milde Form der Steuerhinterziehung. Rechtlich gilt es nur als Gestaltungsmißbrauch: Wer beim Strippen erwischt wird, muß Steuern nachzahlen.

Der Verdacht wurde vergangene Woche zur Gewißheit. Ein Bericht aus dem hessischen Wirtschaftsministerium, der seit 1992 unter Verschluß gehalten wird, fand sich plötzlich im Briefkasten des Informationsdienstes Czerwensky intern. Das Dokument, so Herausgeber Gerhard Czerwensky, lasse »keinerlei Zweifel mehr offen«, daß in großem Stil Dividenden-Stripping betrieben wurde.

Nach dem Bericht waren 23 Makler und 27 Banken an solchen Geschäften beteiligt. Fast die Hälfte der unsauberen Geschäfte lief über drei Banken: Deutsche und Dresdner sowie ein schweizerisches Kreditinstitut. Die Deutsche Bank hat energisch dementiert, Dividenden-Stripping betrieben zu haben.

Das Papier, das den Finanzplatz Frankfurt nach dem immer wieder aufkommenden Verdacht auf Insidergeschäfte abermals in ein diffuses Licht bringt, wurde von dem hessischen Staatskommissar August Schäfer verfaßt.

Kontrolleur Schäfer, der an der Frankfurter Börse den Dienstausweis 0001 trägt, hatte dubiose Praktiken aus dem Jahr 1991 untersucht und die Mauscheleien dann in seinem Abschlußbericht vom Dezember 1992 penibel dokumentiert. »Eine prima Arbeit«, lobt sein oberster Chef, der hessische Wirtschaftsminister Lothar Klemm.

Inzwischen sieht sich Schäfer, 55, als »der meistgehaßte Mann an der Frankfurter Börse«. Seine Untersuchung kann manche Maklerfirma in den Ruin treiben, denn derzeit versenden Frankfurter Finanzbeamte, die nach dem Bericht lange ermittelt hatten, Steuernachforderungen in Millionenhöhe an die Makler.

Einer hat schon die Notbremse gezogen und rechtzeitig, bevor ihn eine Steuerforderung über einige Millionen erreichen kann, seine Firma mit zwei Dutzend Angestellten stillgelegt: Horst Pulina, der einen großen Teil seiner Aufträge von der Deutschen Bank bekam.

Auch die Deutsche Bank, so steht zu vermuten, wird einiges zu erklären haben: Beim Dividenden-Stripping haben Kreditinstitute auch mit Aktien gehandelt, die es gar nicht gibt.

Beim gewöhnlichen Stripping verkauft ein ausländischer Großaktionär seine Papiere meist einen Tag vor Dividendenzahlung. Der inländische Käufer erhält die Dividende plus eine Steuergutschrift über anrechenbare Körperschaftsteuer. Die Aktien werden gleich wieder rückverkauft, der Gewinn zwischen den Partnern geteilt.

Noch erfreulicher gestaltet sich das einträgliche Geschäft, wenn normale Aktien in sogenannte junge Aktien umgetauscht werden. Die jungen Aktien sind zunächst noch nicht dividendenberechtigt. Da der Eigentümer keine Dividende erhält, liegt der Kurs deutlich unter dem einer alten Aktie.

Erst nach der Gewinnausschüttung an die Anteilseigner wird die junge Aktie zu einer normalen Aktie. Das nutzten Banken zu zweifelhaften Geschäften aus.

Am 18. Juni 1991 war eine Aktie des Chemiekonzerns Bayer AG an der Börse für 280 Mark zu haben; die junge Bayer-Aktie notierte bei 263,70 Mark. Am 19. Juni tagte die Hauptversammlung bei Bayer, die eine Dividende von 13 Mark pro Aktie ausschüttete, zuzüglich einer Steuergutschrift über 7,31 Mark.

Am 18. Juni, einen Tag vor der Dividendenzahlung, verkaufte eine große deutsche Bank einem Makler 110 143 Bayer-Aktien zum Kurs von 280 Mark, Wertstellung per 20. Juni. Am selben Tag, ebenfalls mit Wertstellung 20. Juni, kaufte die Bank 110 143 junge Bayer-Aktien zum Kurs von 263,70 Mark.

Der ausländische Depot-Kunde hatte mit Verkauf und Rückkauf seiner Bayer-Aktien fast 1,8 Millionen Mark verdient. Die Bank kassierte eine Provision und erwies einem guten Kunden eine kleine Gefälligkeit: Der Ausländer hat statt der Dividende, die er als Einkommen versteuern muß, einen steuerfreien Kursgewinn in fast gleicher Höhe eingestrichen.

Dieser Deal geht weit über das klassische Dividenden-Stripping hinaus: Er ist ein Fall für die Staatsanwaltschaft.

Damals, im Juni 1991, konnte die Bank gar keine 110 143 junge Bayer-Aktien ihrem ausländischen Kunden ins Depot geschoben haben - es gab nur 98 917 Stück. Das Geschäft war Tarnung und Täuschung.

Offenbar war es kein Einzelfall. Im Mai 1991 wurde an der Frankfurter Börse keine einzige junge Bayer-Aktie gehandelt - aber einen Monat später, kurz vor der Dividendenausschüttung, wechselten fast 7,8 Millionen junge Bayer-Aktien den Besitzer: ein wundersamer Handel mit einer Aktie, von der es nicht einmal 100 000 Stück gab.

Schon die fingierten Geschäfte mit den Bayer-Papieren belegen das Ausmaß der unsauberen Praktiken. Und bei allen 179 Fällen, die Schäfer dokumentiert hat, ging die Initiative von den Banken aus.

Die Makler machten bereitwillig mit, schließlich leben sie von den Aufträgen, die Banken im Auftrag ihrer Depot-Kunden vergeben. Und beim Strippen verdienten sie nicht schlecht, wie ein Frankfurter Freimakler berichtet: »Dreh mir die 137 000, vier Mark für dich«, hatte der Aktienhändler einer Bank dem Makler angeboten.

Im Klartext: Einen Tag vor Dividendenzahlung sollte der Makler von einem Bank-Depot 137 595 Aktien eines Konzerns übernehmen und anschließend an die Bank verkaufen, pro Aktie fielen vier Mark Provision für den Makler an.

Im Frankfurter Börsensaal, Deutschlands größter Zockerstube, wurden solche Geschäfte seit 1977 gedreht. Ein Jahr zuvor hatte Bonn die Doppelbesteuerung der Aktie für inländische Steuerpflichtige beseitigt; das Dividenden-Stripping für ausländische Aktionäre wurde dann 1978 für unzulässig erklärt.

Die Banken forderten ihre Angestellten auf, das Strippen zu unterlassen. Viele Institute, darunter auch die Deutsche Bank, ließen sich von ihren Börsenhändlern bestätigen, daß sie dabei nicht mitmachen würden.

Daran haben sich nur wenige gehalten. Offenbar hat keine Bank Verdacht geschöpft, wenn ihr Mann an der Börse an einem Tag mal 110 143 Bayer-Aktien einem Makler verkaufte und gleich den Rückkauf vereinbarte.

Vierzehn Jahre lang liefen die Stripping-Geschäfte ungestört, der Fiskus wurde Jahr für Jahr um hohe Millionenbeträge geprellt. Der Schaden für die Steuerkasse in all den Jahren, so schätzt der hessische Wirtschaftsminister Klemm, »könnte bis zu einer Größenordnung von zwei Milliarden Mark gehen«.

Erst im Mai 1991 prüfte einer die dubiosen Deals nach. Ernst Welteke, der neue hessische Wirtschaftsminister, machte den Ministerialrat August Schäfer zum Staatskommissar für die Frankfurter Börse. Und Welteke, seit acht Monaten Finanzminister, erfuhr bald: »Da läuft ein Riesending.«

Bei der Durchsicht der Bilanzen von Frankfurter Maklern fiel dem Kommissar auf, daß Börsenprofis im Handelsgeschäft Verluste von 30 Millionen Mark registriert hatten - aber gleichzeitig Steuergutschriften über 40 Millionen Mark einreichten.

Die Erklärung war schnell gefunden. Die Verluste entstanden, weil die Makler beim Strippen die Aktien zu einem hohen Kurs gekauft und gleich zu einem niedrigeren Kurs - wegen des Dividendenabschlags am Tag der Ausschüttung - verkauft hatten.

Die Steuergutschriften ergaben sich, weil sie die Aktien einen Tag lang besaßen und dafür Dividende nebst Körperschaftsteuer-Gutschrift kassierten: Bei einer Dividende von einer Million Mark erhielten sie eine Gutschrift von 562 500 Mark.

Nach Schäfers intensiven Nachforschungen ging das Dividenden-Stripping schlagartig zurück. Erst in diesem Jahr hat Bonn, durch eine Änderung im Einkommensteuerrecht, den Strippern das Handwerk erschwert: Die Makler können keine Kursverluste mehr steuermindernd beim Finanzamt geltend machen, wenn diese Kursverluste durch Ver- und Rückkauf der Aktien wenige Tage vor und nach der Dividendenausschüttung entstehen.

Diese Regelung stieß auf heftige Kritik der Deutsche Börse AG, die dadurch den Aktienhandel gefährdet sieht. Bedenken hat auch die Deutsche Bank angemeldet: Die Vorschrift, so ihr Syndikus Elmar Kindermann, sei »ein Globalangriff gegen jedes Börsengeschäft, das in die erwähnten Zeiträume fällt«.

Selbst manchen Gewerkschaftern behagt es nicht, daß nun das Dividenden-Stripping so schwer geworden ist. Gewerkschaften haben einen Teil ihrer Streikkasse in Aktien angelegt - und auch sie erhalten wie Kirchen, Berufsverbände und ähnliche Organisationen keine Steuergutschrift auf ihre Dividenden.

So haben auch hochrangige Funktionäre ihre Bank strippen lassen. Die schärferen Kontrollen, klagte der Vermögensverwalter einer Gewerkschaft, »machen mir die ganze Performance kaputt«.

Und Schäfer, der Mann, der alles kaputt machte? Der Staatskommissar wollte den Job wechseln und im nächsten Jahr amtlicher Devisenkursmakler werden. Daraus wird wohl nichts mehr. Y

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