Stromausfälle RWE droht mit Blackout - Experten warnen vor Panikmache

RWE rechnet mit dramatischen Engpässen in der Stromversorgung. Laut Konzernchef Großmann drohen schon im Sommer tagelange Blackouts. Experten halten das für eine Scheindebatte: Den Unternehmen gehe es nur um höhere Strompreise - und um längere Atomlaufzeiten.

Hamburg - Die Überschrift ist knackig: "Im Sommer drohen tagelange Stromausfälle." Mit diesen Worten zitiert heute die "Bild"-Zeitung den Chef des Energiekonzerns RWE, Jürgen Großmann. "In ganz Europa wird Strom knapp", führt der Manager weiter aus. Dem Netz drohe "schon in diesem Jahr" ein Zusammenbruch, der auch Deutschland "hart treffen" könne.

Alles Panikmache? Oder ist was dran am Horrorszenario des Energiebosses?

Großmann begründet seine Warnung damit, dass ein heißer Sommer zu Kraftwerksausfällen im Ausland führen könnte. Dadurch könnte die Spannung in den Stromnetzen dramatisch abfallen und eine Kettenreaktion bis nach Deutschland auslösen. Dringend nötig seien deshalb Investitionen in neue Kraftwerke und Leitungen.

Tatsächlich gibt es im Sommer immer wieder Probleme mit französischen Atommeilern: Wenn die Pegelstände der Flüsse zurückgehen, fehlt den Anlagen Kühlwasser, und sie müssen abgeschaltet werden. Bisher konnte Frankreich dies aber stets durch Stromimporte ausgleichen. "Das ist ganz kalter Kaffee", sagt Energieexperte Ralf Ridzewski von NUS Consulting. "Die Franzosen haben jedes Jahr Probleme mit ihren Atomkraftwerken."

Er vermutet hinter Großmanns Worten eine ganz andere Absicht. "Engpass-Szenarien sind ein gutes Argument, um hohe Strompreise zu rechtfertigen", sagt Ridzewski. "Diese Diskussion gibt es jedes Jahr um diese Zeit. Dabei ist die Gefahr von Stromausfällen nicht höher als sonst."

Also alles nur ein Ablenkmanöver? Nicht ganz. Die deutsche Energiewirtschaft steht tatsächlich vor einem ernsten Problem: Die meisten Kraftwerke und Stromleitungen sind veraltet, überall müsste dringend investiert werden. Dies ist allerdings ein hausgemachtes Problem - und hat nur wenig mit den europäischen Nachbarn zu tun.

RWE selbst rechnet ab 2015 mit einer Kapazitätslücke in Deutschland von mindestens 30 Gigawatt - das entspricht der Leistung von 30 Atomkraftwerken. Dies geht aus einer Präsentation von RWE-Power-Vorstand Johannes Lambertz hervor, die er kürzlich vor dem CDU-Wirtschaftsrat hielt und die SPIEGEL ONLINE vorliegt.

Demnach wird Strom vor allem in Bayern und Baden-Württemberg immer knapper. Ab 2015 sei Deutschland bereits auf Importe angewiesen: Die Nachfrage werde konstant bei 600 Terawattstunden pro Jahr verharren - während das Angebot aus heimischen Kraftwerken deutlich unter diese Menge sinke.

Dem Vortrag zufolge war die Lage schon im vergangenen Jahr äußerst kritisch - zeitweise fielen gleich fünf Kernkraftwerke aus: Biblis A und B, Brunsbüttel, Krümmel und Gundremmingen B. Dass es zu keinem Blackout kam, lag nur an der ungewöhnlich hohen Windenergieleistung und anderen Zufällen, erläuterte Lambertz vor den CDU-Wirtschaftsexperten.

Dem kann Annette Loske nur zustimmen. Sie arbeitet für den Verband der industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK), der die Interessen großer Energiekunden vertritt. "Die Warnung vor einem unmittelbar bevorstehenden Blackout ist übertrieben", sagt sie. "Aber generell hat RWE Recht: Auch wir machen uns Sorgen über fehlende Kapazitäten."

Die Aussage ist bemerkenswert. Der VIK lässt sonst keine Gelegenheit aus, um die Energiekonzerne scharf zu kritisieren. Doch mittlerweile macht sich auch die stromverbrauchende Industrie Gedanken: Was ist, wenn Strom wirklich knapp wird?

Dabei haben die Energieversorger zahlreiche Neubauprojekte in der Pipeline. Doch wo immer ein Kraftwerk gebaut werden soll, gehen die Bürger auf die Barrikaden. Von den 27 Braun- und Steinkohlekraftwerken, die bundesweit geplant sind, haben empörte Anwohner schon sechs endgültig verhindert, weitere Protestaktionen laufen. Äußerst umstritten ist beispielsweise das Kraftwerk Moorburg - ein Knackpunkt bei möglichen Koalitionsverhandlungen von CDU und Grünen in Hamburg.

Der Verdacht: Es geht um den Atomausstieg

Auch gegen den Bau einer wichtigen Stromleitung durch den Thüringer Wald regt sich Widerstand. Sie soll eines Tages den Windstrom aus dem Norden in die Verbrauchszentren im Süden liefern. "Die Unternehmen haben jede Menge Projekte auf den Weg gebracht", sagt Loske vom VIK. "Aber sie werden immer wieder ausgebremst."

Von ähnlichen Schwierigkeiten berichtet der Bundesverband neuer Energieanbieter (bne), der die Newcomer der Branche vertritt - traditionell keine RWE-Freunde. "Unsere Mitgliedsunternehmen wollen liebend gerne neue Kraftwerke bauen. Aber man lässt sie nicht", sagt bne-Geschäftsführer Robert Busch. Auch Matthias Kurth, der Präsident der Bundesnetzagentur, warnte kürzlich vor Engpässen im deutschen Stromnetz.

Bleibt trotzdem die Frage, warum sich Großmann gerade jetzt in der "Bild"-Zeitung zu Wort meldet. Energieexperte Ridzewski hat einen Verdacht: Es geht um den Kampf der Stromkonzerne gegen den Atomausstieg.

Ausgerechnet heute hat das hessische Verwaltungsgericht über das RWE-Kraftwerk Biblis A verhandelt. Der Konzern will den Meiler länger laufen lassen, das Bundesumweltministerium ist dagegen. In dieser Situation kommt RWE die Debatte um knappe Kapazitäten sehr gelegen. Frei nach dem Motto: Lasst uns Biblis, und der Strom wird doch nicht knapp. Das Gericht hat den RWE-Antrag übrigens abgelehnt - nun geht der Konzern in Revision.

Laut Atomausstieg müssen alle deutschen Kernkraftwerke in den kommenden 12 bis 13 Jahren abgeschaltet werden. Alte Kraftwerke wie Biblis sind als erste dran. "Die Energieunternehmen werden alles tun, um ihre Anlagen am Netz zu halten", sagt Ridzewski.

"Die Konzerne spielen mit den Ängsten der Bürger"

Schätzungen zufolge liegen die Erzeugungskosten für Nuklearstrom bei neun bis elf Euro pro Megawattstunde - an der Energiebörse kann der Strom aber für 66 Euro verkauft werden. "Ein solches Geschäft lässt sich kein Unternehmen entgehen", sagt Ridzweski - und da sei jedes Argument recht. "Bald werden auch E.on, Vattenfall und EnBW anfangen, über Stromengpässe zu reden."

Dazu passt ein Bericht der "Frankfurter Rundschau" von heute. Demnach wollen RWE, EnBW und Vattenfall unter allen Umständen vermeiden, dass ihre älteren Atomkraftwerke vor der nächsten Bundestagswahl abgeschaltet werden. Dem Bericht zufolge wollen sie Biblis A, Brunsbüttel und Neckarwestheim 1 nur auf niedriger Flamme betreiben, damit die im Atomkonsens vereinbarten Reststrommengen bis Herbst 2009 reichen. Danach, so die Hoffnung, werde eine Koalition aus Union und FDP den Atomausstieg rückgängig machen.

"Die Konzerne spielen mit den Ängsten der Bürger", sagt Aribert Peters vom Bund der Energieverbraucher. Die Engpass-Diskussion habe nur ein Ziel: die Atomkraftwerke länger betreiben zu dürfen. "Aus Sicht der Konzerne ist das verständlich. Aber auch sehr durchsichtig", sagt Peters.

Im Übrigen mache er sich für diesen Sommer keine Sorgen. "Niemand muss fürchten, dass ihm der Strom abgestellt wird."

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