Studie Hartz-IV-Verwaltung noch immer ein Desaster

Fast zwei Jahre liegt die Hartz-IV-Reform zurück - aber die Betreuung der Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsgemeinschaft ist miserabel. Dieses Resümee zieht eine Studie, die der Landkreistag vorlegt. Eine andere Untersuchung zeigt: Deutsche Geringqualifizierte haben es besonders schwer.

Berlin - Der Berliner Politik- und Verwaltungsprofessor Joachim Jens Hesse sprach am Freitag bei der Vorstellung seines Gutachtens von einem "Sanierungsfall Hartz IV". Schuld daran seien vor allem "organisationspolitische Fehlentscheidungen" bei der Trennung der Verantwortlichkeiten in den Arbeitsgemeinschaften (ARGE) zwischen Bund und Kommunen, die zu einer Vollzugsblockade führe. In den ARGE führen Hesse zufolge Einflussnahmen der Bundesagentur für Arbeit (BA) zu Abnutzungserscheinungen und wachsender Unzufriedenheit beim Personal.

Hesse empfahl, stattdessen stärker auf die Optionskommunen zu setzen, die Arbeitslosengeld-II-Bezieher in Alleinregie betreuen. Der Wissenschaftler unterstützte damit eine seit jeher erhobene Forderung des Landkreistages und der Union. Die Kommunen hätten im Vergleich zu den ARGE eine größere Problemnähe, einen direkten Zugang zu ihren Kunden und bessere Kenntnis örtlicher Beschäftigungsmöglichkeiten. "Die kennen ihre Klientel doch aus dem Nähkästchen", meinte Hesse.

Die Reaktionen vom Arbeitsministerium, von der Bundesagentur für Arbeit (BA) und vom Deutschen Städtetag kamen prompt. Insgesamt arbeiteten die meisten gemeinsamen Job-Center von Arbeitsagenturen und Kommunen mittlerweile gut, nicht zuletzt auf Grund des großen Engagements ihrer Mitarbeiter, sagte ein Sprecher von Arbeitsminister Franz Müntefering. BA-Vorstandschef Frank-Jürgen Weise warf dem Landkreistag vor, er verfolge auf dem Rücken der Langzeitarbeitslosen eigene Interessen. "Die Kreise würden mit einer umfangreichen neuen Aufgabe aufgewertet, und der Bund müsste zahlen", wenn es nach deren Vorstellungen ginge, erklärte Weise. Auch der Deutsche Städtetag nannte es "völlig verfrüht", jetzt schon zu bewerten, ob ARGE oder Kommunen allein die Eingliederung Langzeitarbeitsloser besser bewältigen könnten.

Hauptgeschäftsführer Stephan Articus forderte, die von der Bundesregierung eingeleitete Evaluation der Arbeitsmarktreform abzuwarten, deren Ergebnisse 2008 vorliegen sollen. "Deshalb sollte niemand voreilige Schlüsse ziehen oder den nicht nachvollziehbaren Eindruck erwecken, die Optionslösung setze sich immer mehr durch."

Hintergrund des neu aufgebrochenen Konfliktes ist ein seit den Anfängen der Hartz-IV-Reform währender Streit. Bei der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II hatten sich Union und SPD nicht auf eine einheitliche Organisation verständigen können. Auf Drängen der Union gibt es 69 Optionskommunen, die die Langzeitarbeitslosen alleine betreuen. Die Agenturen für Arbeit und die Kommunen arbeiten in 354 Arbeitsgemeinschaften zusammen.

Das Kompetenzwirrwarr in den Arbeitsgemeinschaften ist bereits vielfach kritisiert worden. Dies soll im Herbst auch Thema bei den Koalitionsberatungen über Hartz-IV-Korrekturen sein. Für die Kosten kommt größtenteils der Bund auf, während die Kommunen den Großteil der Miet- und Heizkosten der Arbeitslosen zahlen. Erst Ende 2008 soll entschieden werden, ob sich die derzeitige Organisationsform bewährt hat.

Deutsche Geringqualifizierte besonders chancenlos

Eine weitere Untersuchung zum Thema Geringqualifizierte dürfte die Bundesregierung heute zum Nachdenken gebracht haben. Dem Statistischen Bundesamt zufolge sind die beruflichen Chancen von Geringqualifizierten in Deutschland deutlich schlechter als im EU-Vergleich. Nur in der Slowakei, Polen und Tschechien seien die Perspektiven für diese Personen noch schlechter und die Erwerbslosenquote höher, erklärte das Statistische Bundesamt am Freitag. In Deutschland sei unter den Erwerbspersonen, die nur über einen einfachen Bildungsgrad verfügen und höchstens einen Realschulabschluss haben, 2005 mehr als jeder Sechste erwerbslos gewesen.

Bei Abiturienten oder Menschen mit einer abgeschlossenen Lehre lag die Erwerbslosenquote nur bei 9,2 Prozent. Wer ein Hochschul- oder Fachhochschulstudium erfolgreich abgeschlossen hat, besitzt noch bessere Berufschancen: Hier lag die Erwerbslosenquote nur bei 5,3 Prozent. "Die Bundesrepublik gehört damit im europäischen Vergleich zu den Ländern mit deutlich schlechteren beruflichen Perspektiven für niedrig qualifizierte Personen", erklärten die Statistiker.

Der Zusammenhang zwischen Bildungsgrad und Erwerbslosigkeit war in den 25 Ländern der Europäischen Union (EU) im vorigen Jahr sehr unterschiedlich ausgeprägt. In Griechenland etwa sei der Abstand bei der Erwerbslosenquote zwischen einfachen und höher Gebildeten mit 8,8 Prozent gegenüber 7,8 Prozent sehr niedrig. In einigen osteuropäischen Ländern sei der Unterschied hingegen deutlich größer. "In der Slowakei und Tschechien ist das Risiko einer Erwerbslosigkeit bei einfacher Bildung jeweils mehr als zehn Mal so hoch wie mit einer höheren Bildung", hieß es.

ase/AP/Reuters

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