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HANDEL Tabu verletzt

Das Kieler Kaufhaus SB-Stadt Plaza hat entgegen einer Branchenvereinbarung einen langen Samstag eingeführt. Mehrere Gewerkschaften versuchten, die »arbeitnehmerfeindliche« Ladenschlußzeit zu verhindern.
aus DER SPIEGEL 21/1971

Zwischen den Regalen des Kieler Kaufhauses »SB-Stadt Plaza« drängelten sich am ersten offenen Samstag dieses Monats über 35 000 Käufer. Der Andrang war so groß. daß die Geschäftsleitung zu den 25 Kassenboxen zwei Notboxen aufstellen mußte, und als das nicht ausreichte, die Portale schließen ließ.

Den Kundensturm. der dem Warenhaus eine Tageseinnahme von einer halben Million Mark brachte, hatte die Kaufhausleitung durch eigenwillige Verkaufszeiten entfacht: Die Plaza-Manager ignorierten eine Absprache schleswig-holsteinischer Einzelhändler und hielten ihr Kaufhaus am 8. Mai von 7 bis 18 Uhr geöffnet.

Bevor Plaza -- ein Unternehmen des Bundes deutscher Konsumgenossenschaften (Co-op-Gruppe) -- die in Schleswig-Holstein seit fast 25 Jahren praktizierten Sonnabend-Schlußzeiten durchbrach, mußten sich die Kaufhauschefs heftiger Gewerkschaftsattacken erwehren.

Auf einer Protestversammlung der DAG und der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen am 27. April bekam Co-op-Pressesprecher Rolf Nienhaus schlimme Vorwürfe zu hören. So bezeichnete DAG-Sekretär Arthur Lohse die Plaza-Herren als »Außenseiter des Einzelhandels«, die »den Frieden und die Harmonie des schleswig-holsteinischen Einzelhandels« stören.

Noch härter ging Gewerkschaftssekretär Gerd Kuschke mit den Co-op-Genossen ins Gericht. Er hielt den Managern vor, »arbeitnehmerfeindlich« zu handeln, und bat die Versammlungsmitglieder. sich nicht von den »Rattenfängern« manipulieren zu lassen.

Mit den Aufzeichnungen von Nienhaus eilten die Plaza-Chefs sofort zum Kieler Landgericht und erwirkten gegen die Gewerkschaften und die vier Hauptsprecher eine einstweilige Verfügung. Darin wurde den Gegnern des langen Samstags unter Androhung einer »Geld- oder Haftstrafe« untersagt, ihre diskriminierenden Vorwürfe zu wiederholen. Zudem verboten die Richter den Gewerkschaftlern, »den Geschäftsbetrieb der Antragstellerin in einer unzulässigen, das Maß einer genehmigten und ordnungsmäßig ablaufenden Demonstration überschreitenden Weise zu stören«.

Dennoch ließen sich die Gewerkschatten nicht davon abhalten, den Plaza-Verkauf am Samstagnachmittag zu attackieren. In den Straßen rund um das Kaufhaus verteilten sie Tausende von Flugblättern, in denen sie den Kaufwilligen ins Gewissen redeten: »Haben Sie daran gedacht, welche Opfer die Einzelhandelsbeschäftigten auf sich nehmen müssen, um Ihnen diese scheinbaren Einkaufsbequemlichkeiten zu ermöglichen?«

Mit dem Plaza-Spektakel in Kiel erreichte die Diskussion um das deutsche Ladenschlußgesetz einen neuen Höhepunkt. Seit Jahren befehden sich Verbraucherverbände, Gewerkschaften und der Einzelhandel wegen des 1956 verabschiedeten Ladenschlußgesetzes, das als eines der rückständigsten in der Welt gilt. Das Gesetz stellt den öffentlichen Verkauf von Waren werktags zwischen 18.30 und 7.00 Uhr unter Strafe. Sonnabends dürfen zudem die Kunden nur von 7.00 bis 14.00 Uhr bedient werden. Ausnahmen sind die sogenannten verkaufsoffenen Samstagnachmittage einmal im Monat und in der Vorweihnachtszeit.

Im Bundesland Schleswig-Holstein durfte durch Absprache der Einzelhändler und Gewerkschaften nicht einmal diese Regelung ausgeschöpft werden. Plaza-Betriebsleiter Werner Sieg: »Der lange Samstag war in Kiel tabu.«

Leidtragende des antiquierten Gesetzes sind vor allem berufstätige Hausfrauen, die nach Büroschluß nicht genügend Zeit finden, ihre Einkäufe zu machen. Beschwerte sich die Präsidentin des Deutschen Hausfrauen-Bundes Erika Luther: »Es ist einfach menschenunwürdig, wenn berufstätige Frauen am Abend mit hängender Zunge durch die Läden hetzen müssen.«

Die Bonner Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände plädiert seit langem für ein »Ladenschlußgesetz mit großer Freizügigkeit«. Denn in einer Verbraucherumfrage kamen Marktforscher zu dem Ergebnis. daß drei Millionen berufstätige Hausfrauen mit der geltenden Regelung unzufrieden sind.

Deutsche Verbandsfunktionäre verweisen gern auf die Nachbarländer der Bundesrepublik, in denen Ladenschlußzeiten viel liberaler gehandhabt werden. Während es in Frankreich überhaupt kein Ladenschlußgesetz gibt, dürfen beispielsweise die holländischen Krämer ihre Geschäfte jeden Samstag bis 18.00 Uhr offenhalten. Darüber hinaus ist den kommunalen Behörden freigestellt, einmal in der Woche Öffnungszeiten bis 22.00 Uhr zu gestatten.

Anders als die Verbraucherschützer ist die Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels der Meinung. daß das Ladenschlußgesetz in der Bundesrepublik »die beste Lösung« überhaupt ist. Die Einzelhandelsfunktionäre sind auch nicht dafür, daß die gegenüber den Supermärkten benachteiligten Tante-Emma-Läden bis spät in die Nacht hinein verkaufen dürfen. Presse-Sprecher Hubertus Tessar: »Wir wollen kein Handelsproletariat.«

Auch variable Öffnungszeiten für die gesamte Branche würden nach Meinung des Verbandes nur den Kaufhäusern und SB-Riesen nützen. Denn die Großbetriebe beschäftigen so viele Angestellte, daß sie ihr Personal ohne Schwierigkeiten im Schichtdienst einsetzen könnten. Die derzeitige Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche brauchte dabei nicht einmal überschritten zu werden.

Gegen die Einheitsfront von Gewerkschaften und Einzelhandelsverband wagten die meisten Bonner Politiker bisher nicht aufzumucken. Nur die FDP-Abgeordneten im Bundestag wurden im vergangenen Jahr von ihrem Parteitag beauftragt, sich für eine Lockerung der Ladenschlußzeiten einzusetzen.

In Kiel hingegen schlug sich der Magistrat offen auf die Seite der Verbraucher. Als die Plaza-Manager ihren langen Samstag vorsorglich den Behörden ankündigten, erhielten sie den Bescheid. die Stadt habe »nichts dagegen«. Unterderhand ließen die Stadtväter die Coop-Genossen sogar wissen, das Vorhaben läge ganz im Interesse der Stadt, weil die Landesmetropole dadurch »atttraktiver« werde.

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