Tarifabschlüsse 2018 Warum die Löhne kräftig steigen sollten

In Deutschland gehört Lohnzurückhaltung zum festen Repertoire der Wirtschaftspolitik. Geht diese Ära nun zu Ende? Möglich, dass 2018 eine Wende markiert. Aber dazu bedarf es noch einiger Kraftakte.
Foto: Christoph Schmidt/ dpa

Eigentlich müsste jetzt ein ordentliches Plus für die Beschäftigten drin sein. Eigentlich müssten die Löhne steigen, und zwar kräftig. Denn die Bedingungen waren selten so gut:

  • Die Arbeitslosenquote fällt immer weiter. Arbeitskräfte sind inzwischen so knapp wie nie in den vergangenen Jahrzehnten.
  • Mehr als eine Million Stellen sind unbesetzt. Der Anteil der Firmen, die wegen Bewerbermangels Aufträge nicht annehmen können, ist rekordverdächtig hoch.
  • Gut ein Fünftel der Unternehmen könnten mehr produzieren, wenn sie denn die passenden Leute fänden, wie Umfragen zeigen.

Der Mangel an Arbeitskräften ist zum Engpassfaktor der Wirtschaft überhaupt geworden. In einer Marktwirtschaft sollten Preise Knappheiten widerspiegeln. Was rar und begehrt ist, sollte teurer werden. Also auch Arbeit: Wenn Beschäftigte knapp sind, müsste der Preis der Arbeit - der Lohn - steigen.

Eigentlich.

In Deutschland jedoch gehört Lohnzurückhaltung seit Jahrzehnten zum festen Repertoire der Wirtschaftspolitik. Geht diese Ära der Bescheidenheit nun zu Ende? Möglich, dass 2018 eine Wende hin zu rascheren Lohnsteigerungen markiert. Aber sicher ist das längst nicht. Unternehmen, Gewerkschaften und Politik sollten deshalb neue Wege beschreiten. Dazu unten mehr.

Zunächst ein paar Fakten.

Früher war Lohnzurückhaltung vernünftig

Seit den Neunzigerjahren steigen die Löhne in Deutschland nur langsam. Nach Abzug der Inflationsrate - also "real" - legten sie zwischen 1992 bis 2010 durchschnittlich um gerade mal 0,6 Prozent pro Jahr zu. Die Produktivität pro Arbeitsstunde jedoch stieg in dieser Zeit mehr als doppelt so schnell, wie der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung berechnet hat.

Die Lohnzurückhaltung war vernünftig und verständlich. Es war die Phase der Massenarbeitslosigkeit. Zeitweise überstieg die Zahl der gemeldeten Jobsuchenden fünf Millionen. Belegschaften und Gewerkschaften kämpften um jede Stelle. Mit den Geschäftsführungen gingen sie viele "Bündnisse für Arbeit" ein. Nicht Arbeit war knapp, sondern Arbeitsplätze. Das drückte auf die Lohnentwicklung.

Spätestens seit 2010 aber sind wir in einem anderen Szenario. Anders als vergleichbare Volkswirtschaften überwand Deutschland die große Rezession von 2008/09 rasch. Das deutsche Jobwunder ging weiter. Und bislang ist kein Ende in Sicht.

Tatsächlich steigen die Reallöhne seither wieder stärker, im Schnitt um 1,6 Prozent jährlich. Aber die Dynamik ist immer noch verhalten.

Und jetzt?

Die anziehende Inflation frisst Lohnzuwächse auf

Die Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie laufen. Im Januar und Februar folgen Großunternehmen wie die Post, Volkswagen und Telekom sowie das Baugewerbe und Teile des öffentlichen Dienstes. Gerade die Industrie und der Bau erfreuen sich prächtiger Geschäfte.

Volkswirte der Commerzbank rechnen denn auch mit Tarifabschlüssen von mehr als drei Prozent in diversen Branchen. Klingt ordentlich. Bei einer Inflationsrate von inzwischen wieder knapp unter zwei Prozent käme allerdings nur ein schmaler Kaufkraftzuwachs dabei heraus. Außerdem sind noch diverse länger laufende Tarifverträge in Kraft, die schmalere Zuwächse vorsehen.

Den Gewerkschaften geht es aber nicht mehr nur um Geld und Jobsicherheit, sondern auch um mehr zeitliche Flexibilität. So fordert die IG Metall sechs Prozent mehr Lohn und außerdem die Möglichkeit für Beschäftigte, ihre Arbeitszeit bis zu zwei Jahre lang verkürzen zu dürfen. Ein nachvollziehbares Ansinnen, das allerdings viele Unternehmen schmerzen dürfte. Angesichts schon heute existierender Produktionsengpässe würden Arbeitszeitverkürzungen den Fachkräftemangel wohl noch verschärfen.

Derzeit jedoch scheinen die Arbeitnehmervertreter am längeren Hebel zu sitzen. Die Konjunktur läuft, nicht nur in Deutschland. Auch in anderen europäischen Ländern hat sich die Lage aufgehellt. Der Zustrom von EU-Bürgern auf den deutschen Arbeitsmarkt, von dem die Wirtschaft in den vergangenen Jahren enorm profitiert hat, dürfte künftig abnehmen; die Leute finden wieder leichter in ihrer Heimat Jobs.

Und sollte die SPD in einer erneuten Großen Koalition tatsächlich einen Mindestlohn von zwölf Euro durchsetzen, wie Parteivize Olaf Scholz schon vor Wochen im SPIEGEL gefordert hat, dürfte auch das die Lohndynamik insgesamt beschleunigen.

Stopp! Mehr Einkommen in Arbeitnehmerhand durch mehr Umverteilung - genügt das?

Es gibt viel zu tun

Das Nachholbedürfnis nach langen Jahren der Zurückhaltung ist berechtigt. Nachhaltig werden solche Steigerungen aber nur sein, wenn auch die Produktivität wieder rascher zunimmt. Und da ist der Rückstand groß.

In den vergangenen Jahren haben die Stundenverdienste zwar nur langsam zugelegt, aber immer noch schneller als das Produktionsergebnis pro Arbeitsstunde. Bislang wirkt sich dies nicht negativ aus. Noch ist die deutsche Wirtschaft enorm wettbewerbsfähig. Doch dies ist ein endliches Spiel.

Damit auf Dauer ordentliche Einkommenszuwächse möglich sind, braucht es vor allem eines: mehr Investitionen. Und zwar nicht nur des Staates, sondern insbesondere der Unternehmen. Anders wird der lahmenden Produktivität kaum auf die Sprünge zu helfen sein.

Nötig wäre eine Investitionsoffensive. Sie sollte ein zentrales Projekt der neuen Bundesregierung werden, wie auch immer sie aussehen mag. Sie sollte aber auch ein Anliegen der Gewerkschaften in den Tarifverhandlungen der kommenden Jahre sein, um gute Jobs und steigende Einkommen in Deutschland zu sichern.

Es gibt viel zu tun. Die Unternehmen in Deutschland investieren seit der Finanzkrise viel weniger als vorher - trotz guter Auftragslage und extrem niedriger Zinsen. Stattdessen sammeln sie immer dickere Finanzpolster an, so haben es kürzlich die Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem Herbstgutachten dargelegt.

Hält dieser Trend an, wird die Produktivität weiter stagnieren. Entsprechend wenig gibt es auf Dauer zu verteilen.

Was genau die Unternehmen vom Investieren abhält, ist eine bislang unbeantwortete Frage. Dass sich dies ändert, daran haben nicht nur die Beschäftigten ein Interesse, sondern diese Gesellschaft insgesamt: Langfristig können Einkommen nicht schneller steigen als die Produktionsmöglichkeiten.

Wie gesagt, eigentlich könnte 2018 das Jahr der Trendwende bei der Lohnentwicklung werden. Aber damit es so kommt, bedarf es noch einiger Kraftakte.

Die wichtigsten Wirtschaftstermine der kommenden Woche:

MONTAG

Brüssel - Stockende Brexit-Verhandlungen: Britanniens Premier May trifft EU-Kommissionschef Juncker. In London berät derweil das Unterhaus über das umstrittene Brexit-Gesetz.

Brüssel - Die Euro-Finanzminister treffen sich. Zentrales Thema: Wer wird der neue Chef der Eurogruppe?

Frankfurt/M. -Neue Zahlen zum Auftragseingang im deutschen Maschinenbau.

München - Die CSU soll über den Parteivorsitz und über die Spitzenkandidatur für die Landtagswahlen im kommenden Jahr entscheiden.

DIENSTAG

Brüssel - Treffen der EU-Finanzminister. Es geht unter anderem um den Umgang mit Steueroasen.

Frankfurt/M. - Die Deutsche Börse überprüft, welche Unternehmen im Dax und anderen Aktienindizes enthalten sein sollten.

MITTWOCH

Brüssel - Die EU-Kommission will Vorschläge zur Reform der Eurozone vorstellen.

DONNERSTAG

Wiesbaden - Neue Zahlen zur Nettoproduktion im deutschen produzierenden Gewerbe.

Berlin - Bundesparteitag der SPD (bis Samstag). Insbesondere geht es um die Wahl einer neuen Führungsmannschaft und die Frage, ob die SPD in eine erneute Große Koalition eintreten soll.

Brüssel - Vermutlich reicht die EU Klage gegen Deutschland ein wegen der Schadstoffbelastung in vielen Städten.

FREITAG

Nürnberg/Berlin - Eröffnung der Schnellbahnstrecke München-Berlin mit großem Tamtam an allen Unterwegsbahnhöfen.

Wiesbaden - Das Statistische Bundesamt legt neue Zahlen zu den deutschen Ausfuhren vor.

SAMSTAG

Peking - Chinas Statistikamt veröffentlicht Inflationszahlen für November.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren