Teurer Treibstoff Streit um die Öl-Reserve
Hamburg - Beim Bundesverband freier Tankstellen hieß es zum Vorschlag der Opposition, wer das fordere, verstehe nichts vom Ölmarkt und der Krisenvorsorge. "Das ist klar und deutlich gesagt dummes Geschwätz", sagte Hauptgeschäftsführer Axel Graf Bülow. Die kurzfristigen Marktschwankungen könnten durch die Freigabe der Ölreserve nicht korrigiert werden, betonte FDP-Mitglied Bülow in der "Berliner Zeitung".
Scharfe Kritik an der Forderung kam auch vom Mineralölwirtschaftsverband. "Das ist ein ganz gefährliches Spiel mit dem Feuer", sagte Hauptgeschäftsführer Klaus Picard der "Financial Times Deutschland". "Wird die Reserve abgeschafft, wissen die Spekulanten, dass die Staaten keine Ausweichmöglichkeit mehr haben. Dann würden die Preise noch stärker schwanken."
Gestern hatten Union und FDP wegen des drastischen Anstiegs der Benzin- und Heizölpreise nach den Hurrikan-Schäden in den USA einen Verkauf der deutschen Ölreserven ins Spiel gebracht. Einen entsprechenden Vorschlag des stellvertretenden FDP-Chefs Rainer Brüderle sollte man "sehr positiv prüfen", sagte Unionskanzlerkandidatin Angela Merkel. FDP-Chef Guido Westerwelle nannte einen Verkauf mit dem Ziel, den Preisanstieg im Interesse der Verbraucher zu dämpfen, eine "kluge und sinnvolle" Möglichkeit.
Tatsächlich würde die Öffnung der Reserven theoretisch preisdämpfende Wirkung haben. Diese werden vom Erdölbevorratungsverband überwacht, in dem alle deutschen Unternehmen Mitglied sind, die Öl einführen oder verarbeiten - also auch die großen Mineralölkonzerne. Bekommt der Verband aus dem Wirtschaftsministerium eine entsprechende Anweisung, verkauft er die Bestände zu Marktpreisen an seine Mitglieder. Das Angebot steigt, der Preis sinkt.
EU blockiert Freigabe
Allerdings kann die Bundesregierung nur auf die Reserven zugreifen, wenn eine Störung in der Versorgung vorliegt. Weil sich hierzulande allerdings noch keine Schlangen vor den Tankstellen bilden, bezweifeln Beobachter, ob dieser Zustand schon eingetreten ist. "Der deutsche Markt leidet nicht an physischer Unterversorgung", erklärten Verbandskreise gegenüber SPIEGEL ONLINE. "Die Reserven dienen dazu Engpässe auszugleichen. Sie sollen nicht die Preisbildung beeinflussen", sagt auch Klaus Matthies, Rohstoffexperte am Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs (HWWA).
Zudem muss sich Deutschland bei der Öffnung der Reserven mit seinen europäischen Partnern absprechen - und die erteilen dem Plan eine Absage. Die EU-Kommission erklärte: "Ein Mitgliedstaat kann die Reserve nicht eigenmächtig ganz oder teilweise freigeben." Grund: Die Reserven sind durch EU-Recht geregelt. Änderungen müssen von einem Ausschuss der Mitgliedstaaten beschlossen und von der Kommission genehmigt werden. Die Bundesregierung lehnt die Freigabe ihrerseits ab. "Eine Störung in der Energieversorgung liegt derzeit nicht vor", erklärte Regierungssprecher Béla Anda.
HWWA-Experte Matthies regt indes an die Reserven dennoch zu öffnen - für die USA. Der Wirtschaftswissenschaftler schlägt vor, die europäischen Benzinbestände den Vereinigten Staaten zur Verfügung zu stellen, die derzeit angesichts der gesunkenen Raffineriekapazitäten unter einer echten Verknappung leiden. "Das hätte eine beruhigende Wirkung auf den Preis", so Matthies.
Eben diesen Schritt unternahm die Bundesregierung im Tagesverlauf. Aus der internationalen strategischen Ölreserve sollen zunächst für 30 Tage etwa zwei Millionen Barrel täglich auf den Markt gebracht werden. Das kündigte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) heute in Berlin an. Die genaue Menge werde vom Verwaltungsrat der Internationalen Energie-Agentur (IEA) festgelegt.
Jörn Sucher