Sarrazin-Auftritt bei Jauch Ritt auf der Empörungswelle

Er ist wieder da, mit allem, was dazugehört: Buch, Talkshow-Auftritt, Empörung. Thilo Sarrazin verquickt dieses Mal Euro und Holocaust, und allein diese Stichworte reichen aus, um Protest zu provozieren. Noch ist sein Buch nicht im Handel, doch Sarrazin profitiert bereits von der kalkulierten Erregung.
Autor Sarrazin: Die Bühne bereiten ihm andere

Autor Sarrazin: Die Bühne bereiten ihm andere

Foto: Frank Rumpenhorst/ dpa

Hamburg - Thilo Sarrazins Masche ist denkbar simpel. Auf was auch immer der Reflex "So etwas sagt man nicht!" passt - er sagt es. Egal wie banal oder falsch es sein mag. "Einer muss es ja sagen", ist Sarrazins Motto, und er fährt gut damit, sich als wackerer Aufklärer zu gerieren. Das wiederum verschafft Anerkennung: "Endlich sagt es mal einer". Für seine Anhänger ist Sarrazin ein Kämpfer der unverstellten Wahrheit, ein Unerschrockener, einer der ausspricht, was andere nur denken.

An diesem Sonntag wird Thilo Sarrazin, der frühere Berliner Finanzsenator, frühere Bundesbank-Vorstand und Bestseller-Autor, bei Günther Jauch zu Gast sein und gemeinsam mit seinem SPD-Parteigenossen, dem früheren Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, über die Euro-Krise diskutieren. Der Auftritt ist die Ouvertüre zur Werbekampagnge für Sarrazins neues Buch, das am Dienstag erscheinen wird. Titel: "Europa braucht den Euro nicht".

Die Empörung wird zum Selbstläufer

Das Gespräch wird vor allem eine Plattform für Sarrazins Thesen, ein einziger großer Tusch für das Buch, das bereits jetzt die Amazon-Bestelllisten anführt. Das ist für einen Wirtschaftstitel nicht unbedingt üblich. Für ein Sarrazin-Buch, das laut Vorabdruck den Holocaust und die europäische Währung in Verbindung bringt, schon.

Sarrazins Bühne wird ihm - wie schon nach dem Erscheinen seines vorherigen Buches 2010 - von anderen bereitet. Er selbst braucht kaum mehr tun, als seine teils kruden Thesen zu Papier zu bringen. Die restliche Empörung, die es braucht, um aus einem solchen Buch einen Bestseller zu machen, wird zum Selbstläufer. Sarrazin kann sich nur deshalb als Tabubrecher inszenieren, weil andere festlegen, was als Tabu zu gelten hat.

In "Deutschland schafft sich ab" ging es um das Thema Migration, nun wirft der promovierte Volkswirt den Befürwortern gemeinsamer europäischer Staatsanleihen vor, sie seien "getrieben von jenem sehr deutschen Reflex, wonach die Buße für Holocaust und Weltkrieg erst endgültig getan ist, wenn wir alle unsere Belange, auch unser Geld, in europäische Hände gelegt haben".

"Das hat im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nichts zu suchen"

Ohne NS-Vergleiche geht es also auch dieses Mal nicht. Die führen regelmäßig zu Skandälchen, weiter bringen sie eine Diskussion praktisch nie. Aber vielleicht geht es darum auch gar nicht. Für sein vorheriges Buch hatte Sarrazin sich mit Eugenik beschäftigt und behauptet, alle Juden teilten ein bestimmtes Gen. Das ist Quatsch, aber auch mit Quatsch kann man Geld verdienen. Und: Sarrazin hat schon einmal ein Buch über den Euro geschrieben, 15 Jahre ist das her. "Der Euro: Chance oder Abenteuer" verkaufte sich 30.000-mal. "Deutschland schafft sich ab" wurde mehr als 1,3 Millionen mal verkauft, es machte Sarrazin zum Multimillionär.

Vor dem Auftritt an diesem Sonntag empören sich nun Politiker aller großen Parteien - und tun Sarrazin damit den vielleicht größten Gefallen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) warf ihm in der "Bild am Sonntag" (BamS) vor: "Seine Methode, so zu tun, als ob es Denk- oder Sprechverbote in Deutschland zu bestimmten Themen gibt, gegen die er dann verstößt, hat etwas sehr Kalkulierendes. Und ist dann auch noch unsinnig." Das habe schon für die Art und Weise gegolten, in der Sarrazin das Thema Integration behandelt habe. "Entweder redet und schreibt Sarrazin aus Überzeugung einen himmelschreienden Blödsinn, oder er macht es mit einem verachtenswerten Kalkül."

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast sagte: "Nationalistischer Unsinn von Sarrazin passt nicht zum Bildungsauftrag eines öffentlich-rechtlichen Senders."

FDP-Generalsekretär Patrick Döring beklagte: "Sarrazin verknüpft die Frage der historischen Verantwortung Deutschlands unzulässig mit der aktuellen währungspolitischen Debatte. Das hat im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nichts zu suchen."

Der SPD-Politiker und Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Reinhold Robbe, sagte: "Mit Sarrazin sollte sich niemand mehr in eine Talkshow setzen."

Unbeeindruckt von der Kritik zeigte sich Günther Jauch, der dank des Themas und des Gasts auf gute Quoten hoffen kann: "Ich freue mich auf dieses politische Streitgespräch zu einem aktuellen Thema, das Millionen Menschen gerade jetzt besonders interessiert." Er zählt, wie die Medien insgesamt, zu den Profiteuren der Debatte.

"Was liegt näher, als Thilo Sarrazins ebenso streitbare wie umstrittene Thesen mit dem Autoren selbst und einem scharfen Kritiker, der überdies auch noch derselben Partei angehört, zu diskutieren?", sagte Jauch laut BamS. Viel besser könnte es für Sarrazin unmittelbar vor der Veröffentlichung seines Buches kaum laufen.

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