BANKEN Tiefes Nachdenken
Mit äußerster Empörung« schrieb Bernhard Schramm, Präsident beim Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, einen galligen Brief an Helmut Geiger vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband.
Es sei eine »ungeheuerliche Provokation«, was der Sparkassen-Obere da veranlaßt habe, entrüstete sich Schramm. »Wehe«, warnte der Volksbanken-Chef, »wenn dies Schule machte, wenn mit gleicher Münze heimgezahlt würde.« Geigers Verfehlung: Seine Verbandsmitarbeiter hatten einmal alle sogenannten Problemfälle der Genossenschaftsbanken aus den letzten Monaten und Jahren zusammengestellt. Die Liste, weitergereicht an die Sparkassen, war erstaunlich lang ausgefallen.
Dutzende von Banken aus Schramms Verbandsreich sind in den vergangenen Jahren in Schieflage geraten. Staatsanwälte und Wirtschaftsprüfer machten sich über die Akten her. Etliche Bankbosse wurden geschaßt, andere sitzen in Haft oder sind untergetaucht. Zurück ließen sie Verluste, die schwer zu schätzen sind, gewiß aber mehrere hundert Millionen Mark erreichen.
Wackelige Geldhäuser der Genossen sind im ganzen Land zu finden, von Münchberg in Bayern bis Oldenburg in
Schleswig-Holstein, von der fränkischen Raiffeisenbank Ochsenfurt bis zur niedersächsischen Volksbank Altes Land in Mittelnkirchen.
Die Hammer Bank Spadaka sowie die Volksbank Oberhausen können nur durch Finanzspritzen von insgesamt wenigstens 200, eher wohl über 400 Millionen Mark aus dem Garantiefonds des Verbandes vor dem Zusammenbruch bewahrt werden. Die beiden Pleitefälle, beide aus diesem Jahr, sind die bisher schlimmsten Affären im Genossenschaftsbereich.
Zwar gerieten auch früher schon Volksbanken in schwere Not, etwa in Alzenau, in Bornheim oder in Dreieich. Doch sie schienen als »Einzelfälle« (Schramm) kaum beklagenswert, wurden überdeckt von noch größerer Mißwirtschaft bei Konkurrenten wie Herstatt, SMH oder der Hessischen Landesbank. Die Volksbankiers genossen einen makellosen Ruf. Ihre Verbandsprüfer galten als sorgfältig und gewissenhaft.
3700 Volks- und Raiffeisenbanken gibt es im ganzen Land. Fast zehn Millionen Genossen, die zugleich auch Kunden der zumeist kleinen Geldhäuser sind, können sich als Miteigentümer dieser Banken fühlen.
Noch immer werden auf Festveranstaltungen die hehren Prinzipien des genossenschaftlichen Bankenwesens besungen, Prinzipien, die einst Kreisrichter Hermann Schulze-Delitzsch und Landbürgermeister Friedrich Wilhelm Raiffeisen festgelegt haben.
Keineswegs wollten sie nach dem höchsten Gewinn streben, so schrieb das Genossenschaftsgesetz schon 1889 vor, sondern ihre Mitglieder »mittels gemeinschaftlicher Geschäftsbetriebe« fördern. Das Motto der damals gegründeten »Vorschuß- und Kreditvereine« war aus der Armut der Bauern und Handwerker geboren: »Alle für einen und einer für alle«.
Entsprechend schwer tun sich die Lobbyisten der genossenschaftlichen Geldzunft, solch neumodische Fehlgriffe ihrer Genossen Direktoren wie Betrug und Steuerhinterziehung, Scheckreiterei und Urkundenfälschung zu erklären.
Verbandschef Schramm verschanzt sich hinter einer Theorie der »schwarzen Schafe«. Wenige Übeltäter würden den Ruf seiner großen Bankengruppe lädieren. In Wirklichkeit, ahnt Georg Unckell, Vorstand bei der Westdeutschen Genossenschafts-Zentralbank (WGZ), sind »unsere Verbandsführer in ein tiefes Nachdenken versunken«.
Das tut wohl auch not. Denn zu vieles erscheint durchaus typisch bei den vielen Einzelfällen, zu sehr ähneln sich die Probleme in dem Affärenkarussell.
Stets haben die Pleite-Manager ungehindert, sagt Wolfgang Pelzl vom Forschungsinstitut für Genossenschaftswesen an der Universität Erlangen-Nürnberg, »die alten genossenschaftlichen Grundideen vergessen«.
In fast allen Fällen gab es zwar »kriminelle Aspekte«, bestätigt Uwe Schmidt-Tychsen, Verbandsdirektor beim Westfälischen Genossenschaftsverband, selten hingegen eine »persönliche Bereicherung«. Der eigentliche Trieb zur Untat sei zumeist ein »persönliches Geltungsbewußtsein« wie bei Paul Schulte, dem Ex-Vorstand der Hammer Bank. Gemeint ist jener unaufhaltsame Drang, im Verbund der Genossenschaftsbanken »der Größte, der Bedeutendste zu sein« (Schmidt-Tychsen).
Der agile Schulte aus Hamm bietet für diese These besonders guten Anschauungsunterricht. Der Banker aus Westfalen führte seine anfangs winzige Spadaka aus dem Hammer Ortsteil Heessen in die Spitzengruppe der Genossenschaftsbanken, Jahr für Jahr mit zweistelligen Zuwachsraten. Dabei zeigte der Wachstumsfetischist beispielhaft, wie leicht es ist, sämtliche Sicherungen des Systems auszuschalten.
Zunächst flüchtete der kleine Hammer Boß aus der Enge seines Reviers. Das Regionalprinzip seiner Banken-Spezies, wonach die Genossenschaftsbanken nur im engeren Umkreis tätig werden sollen, schob er souverän beiseite und handelte, wie sich Schmidt-Tychsen erinnert, nach dem Grundsatz: »Mein Feld ist nun die Welt.«
Damit ihm keine lästigen Kontrolleure in die großen Geldgeschäfte pfuschten, sorgte Schulte für eine ihm genehme Besetzung des Aufsichtsrats. Schließlich schaffte er es sogar, die skeptischen Prüfer des Verbandes mit dem Vorwurf der Befangenheit abzuschieben.
Erst als geschädigte Kunden die Staatsanwaltschaft mobilisierten, wurden auch die eigentlichen Aufpasser beim Bundesaufsichtsamt in Berlin und beim Prüfungsverband in Münster putzmunter. Schulte blieb sich treu - und flüchtete.
Bei seinem Streben nach Höherem hatte er kaum ein riskantes Kreditgeschäft ausgelassen. Allein bei den 25 heikelsten Großkrediten, so ermittelten jetzt die Wirtschaftsprüfer, wurden Wertberichtigungen von mehr als 100 Millionen Mark notwendig. Kreditmanipulationen, Untreue, Steuerhinterziehung und krumme Immobiliengeschäfte werden dem einst mächtigen Schulte nun vorgeworfen.
Die Mittel für das schöne Wachstum hatte sich der Spadaka-Chef auch durch Aufnahme teurer Termingelder beschafft, die Vermittler bundesweit zusammentrugen. _(Vor Westerland auf Sylt. )
Schultes Einsammler boten höhere Zinsen als andere Institute; sie fanden genügend Willige.
Der Hammer Fall hat schon manchen Vorläufer gehabt. Nur zu gut erinnern sich die Verbandsgenossen an ihren größenbesessenen Direktor Horst Bloett aus dem fränkischen Alzenau, der den Umbau eines britischen Kanonenbootes, irische Campingwagen und saarländische Altautos finanzierte.
Sie wissen sehr wohl von jenem Raiffeisen-Bankier Anton Diepold aus dem bayrischen Nest Isen, den sie wegen seines Größenwahns »Kaiser von Isen« nannten. Nur Verbandsboß Schramm hat das offensichtlich alles verdrängt: »Wie hieß der?«
»Falscher Ehrgeiz, Hochmut, manchmal Größenwahn, gepaart mit einem Schuß Dummerhaftigkeit« ließen viele Volksbankiers nach Ansicht eines rheinischen Sparkassen-Direktors schließlich straucheln.
Beispielhaft erscheint da die Verbindung des Immobilienhändlers Wolfgang Reh zur Oberhausener Volksbank. In nur drei Jahren hatte der Bottroper Reh so viele Ferienhäuser auf der Insel Sylt aufgekauft, wie er nur an sich raffen konnte. Etliche Urlaubsquartiere verscherbelte er mit deftigen Gewinnaufschlägen an wohlhabende Geldanleger. Viele Immobilien verschob Reh zwischen seinen zahlreichen Firmen. Mit diesen Tricks konnte er Scheingewinne verbuchen.
Die Volksbankiers von Oberhausen, obschon im Bankgeschäft reichlich erfahren, überprüften nur unzureichend die windigen Geschäfte ihres stets kredithungrigen Partners.
Auch die Manager der mitbeteiligten Spar- und Darlehenskasse Henrichenburg, Bernhard Boom und Reiner Saur, waren nach einer schnellen Karriere offensichtlich von besonderem Ehrgeiz beflügelt. Beide Vorstandsmitglieder hatten nur einen Einjahresvertrag bei ihrer Volksbank. Zeitdruck macht oft blind, läßt bisweilen selbst die schlichtesten Sicherheitsregeln des Kreditgewerbes vergessen.
Gewiß, Reh hat die Geldmänner geschickt ausgetrickst. Doch genauso sicher ist, daß die Genossen dem Makler riesige Summen allzu leichtfertig gepumpt haben. Den Fall Reh hält Reh selber deshalb für einen »klassischen Genossenschaftsfall«.
»Der Fall Oberhausen ist doch der Fall Reh, ein ganz schräger Unternehmer«, glaubt hingegen Verbandspräsident Schramm. Der Bottroper Immobilienmakler wehrt sich: »Wir haben nie eine Bank gezwungen, uns Geld zu geben.« Sylt-Spekulant Reh weiter: »Wenn Bankvorstände ihre Kompetenz überschreiten, habe ich das nicht zu vertreten.«
Da hat er auch wieder recht. Zuletzt saßen alle Beteiligten in U-Haft: neben Reh der ehemalige Chef der Volksbank
Oberhausen Günter Flock sowie die beiden Vorstände der Spar- und Darlehenskasse Henrichenburg.
Aber auch das ist eigentlich schon typisch. Bereits 1973 fiel der Vorstand der Volksbank Wiesbaden-Biebrich auf den gerichtsnotorischen Berliner Betrüger Kurt Alexander von Prohaska rein. 1980 wollte der Volksbankier Dieter Choisi aus dem Flecken Kirchheim unter Teck auf Anraten des dubiosen Frank Gregory Caruso unbedingt 112 Milliarden Petro-Dollar zwischen Arabien und Amerika makeln.
Die Berliner Bankenaufsicht bescheinigte dem gelernten Juristen Choisi, gerade noch rechtzeitig, »gefährliche Leichtfertigkeit«, einen »Mangel an kritischer Einstellung«, einen »Hang zu phantastischen Großprojekten« - und setzte ihn ab.
Immer wieder fanden Genossen so viel Gefallen an den segensreichen Wirkungen des Kapitalismus, daß sie ihre altbewährten Grundsätze gar nicht schnell genug aufgeben konnten. So auch beim jüngsten Reinfall, bei der Kölner Computerfirma BCT.
Was sich hinter »der glänzenden Fassade« dieses Unternehmens verbarg, meint Kapitalmarkt-Beobachter Heinz Gerlach, habe doch ein »Blinder mit Krückstock« erkennen müssen. Georg Stüttem, damals Vorstand der kleinen Volksbank Finnentrop, sah noch weniger. Jetzt fehlen der Bank rund 20 Millionen Mark.
Für mehr als zehn Millionen Mark hatte Stüttem frisch gedruckte Aktien des Börsen-Neulings BCT eingekauft. Es war ein miserabler Kauf, der Kurs verfiel im Eiltempo. Mißlich für den Volksbankier, daß er dem BCT-Chef Wolfgang Böhmer und seiner Ehefrau Marita auch noch generös private Millionen-Kredite verschafft und bei BCT einen überteuerten Computer gekauft hatte.
Böhmer meldete Vergleich an, und Stüttems Bank hat viel Geld verloren.
Daß da oft genug »ein zu großes Rad gedreht« wurde, ahnt Claus Peter Mossler, Präsident beim Genossenschaftsverband Rheinland. Mossler fordert, eine »unabhängige Kontrollinstanz« zu schaffen, »eine Art Super-Innenrevision«, die der Allmacht vieler Volksbank-Vorständler in deutschen Landen Grenzen steckt. »Nur Druck wirkt«, glaubt auch sein Verbandskollege Schmidt-Tychsen.
Bislang hat der Garantiefonds des Volksbanken-Verbands, der in Pleitefällen die Einleger vor Schaden schützt, breiten Flurschaden verhindern können. Vorständen, die sich nicht mehr an die gängigen Verbandsregeln halten, soll künftig, so fordert Schmidt-Tychsen, der Schutz durch den Garantiefonds entzogen werden.
So manche Volks- oder Raiffeisenbank müßte dann wohl geschlossen werden.
Vor Westerland auf Sylt.