Toilettenbetreiber vor Gericht Das Geschäft mit dem Geschäft

Toilettentrinkgeld: Gute Standorte sind begehrt
Foto: imagoBerlin - Nachdem drei Kunden Kleingeld auf seinen Teller gelegt haben, räumt Herr P. ihn wieder leer. Der Teller darf nie voll aussehen, das wäre schlecht fürs Geschäft. P., ein drahtiger Mann um die 40, streicht die Münzen mit der rechten Hand in eine Sammelbüchse unter dem Tresen. Immer wieder, denn pro Minute nutzen rund 20 Kunden seine Toiletten.
Das Erdgeschoss der Spandau-Arcaden, einer der großen Einkaufstempel von Berlin, ist ein guter Standort. Fast alle Kunden hinterlassen ein Trinkgeld, meist sind es 50 Cent. Trinkgeld? Weit gefehlt.
Herr P. muss nach Schichtende jeden Cent aus der Sammelbüchse abliefern, an seinen Arbeitgeber, ein Reinigungsunternehmen aus Frankfurt. P. trägt ein weißes Hemd mit einer blauen Weste darüber, in gebrochenem Deutsch gibt er zu verstehen, er sei zehn Stunden pro Tag hier und arbeite davon rund sieben, "Rest is' Pause". Sein Arbeitgeber zahle ihm den branchenüblichen Mindestlohn, rund neun Euro pro Stunde.
Eine Zeit lang habe man die Toiletten selbst betrieben, doch dann sei es mühsam gewesen, geeignetes Personal zu finden, sagt Andreas Keil von der Betreibergesellschaft der Spandau-Arcaden. Die Mitarbeiter des Dienstleisters seien sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer, die nach dem Tarif der Reinigungsbranche bezahlt würden. "Für uns ist es einfacher, diese Aufgabe an ein Subunternehmen zu geben."
Gute Locations sind begehrt, der Wettbewerb ist hart
Diese Praxis, die in großen deutschen Kaufhäusern die Regel ist, schafft einen Markt für Reinigungsunternehmen der besonderen Art: Sie leben lediglich vom Trinkgeld der Klogänger. Davon profitieren letztlich auch die Handelsketten: Sie sind ein lästiges Problem los, bekommen ihre Toiletten kostenlos gereinigt oder kassieren für besonders lukrative Toiletten sogar eine Pacht. Gute Locations sind begehrt, der Wettbewerb ist entsprechend hart, denn mit den dringendsten Bedürfnissen der Kunden lässt sich viel Geld verdienen. An den lukrativsten unter den stillen Örtchen können die Reinigungsfirmen mit bis zu 1000 Euro Tellergeld pro Tag rechnen.
Die Versuchung, den Gewinn durch die Beschäftigung von Schwarzarbeitern oder Scheinselbständigen zu maximieren, ist groß. Von Missbrauch in "erheblichem Umfang" spricht Johannes Bungart vom Bundesinnungsverband des Gebäudereiniger-Handwerks. Mit trickreichen Modellen würden die Firmen den Mindestlohn und die Sozialversicherung umgehen.
Wie die konkret funktionieren, dürfte demnächst in einem norddeutschen Gerichtssaal zu erfahren sein. Die Staatsanwaltschaft Stade steht "unmittelbar davor", Anklage gegen einen der Großen seiner Zunft zu erheben: Kai Schmidt aus Rullstorf bei Lüneburg. Der Geschäftsführer der Service-Team Schmidt GmbH soll von 2005 bis 2010 rund 4,7 Millionen Euro an Sozialversicherungsbeiträgen und 1,1 Millionen Euro an Steuern schuldig geblieben sein. "Und das sind nur die Fälle, die wir beweisen können", sagt Staatsanwalt Kai Thomas Breas.
In seinen besten Zeiten betrieb Schmidt rund 120 öffentliche Toiletten in ganz Deutschland und machte so drei Millionen Euro Umsatz im Jahr. Auch die Spandau Arcaden gehörten einst zu seinen Kunden. Bis heute säubert Schmidts Firma zum Beispiel die Toiletten in Karstadt- und Kaufhof-Filialen. Ein Karstadt-Konzernsprecher räumt ein, dass Karstadt nicht die "notwendige Transparenz über das Handeln" bisheriger Dienstleister habe. Noch in diesem Jahr wolle man deshalb den Betrieb der Toiletten "neu aufsetzen".
Münzen im Wert von mehr als 40.000 Euro
Bis zu 600 Menschen hätten einst für seine Firma gearbeitet, sagt Schmidt, die meisten stammten aus Osteuropa. Schmidt wird vorgeworfen, vor allem Sozialleistungsempfänger beschäftigt zu haben. Offiziell sollen viele nur rund 100 Euro im Monat verdient haben - womit sie innerhalb der gesetzlichen Hinzuverdienstgrenzen blieben. Dafür waren sie laut ihren Arbeitsverträgen lediglich eineinhalb Stunden pro Tag im Dienst, aufgeteilt in sechs Reinigungsintervalle à 15 Minuten. Die übrige Zeit ihrer Anwesenheit vor dem Örtchen wurde als Freizeit deklariert.
In Wirklichkeit, so wollen es die Staatsanwälte ermittelt haben, sollen die Klofrauen und -männer auch in der Zwischenzeit den Trinkgeldteller bewacht haben. Je nach Jahreszeit mussten die Servicekräfte mehrere hundert Euro Tellergeld pro Tag erwirtschaften. Erst was darüber hinausging, durften sie behalten. Und versteuert hätten diese Einnahmen weder der Unternehmer noch seine Mitarbeiter. Schmidt räumt zwar ein, in der Vergangenheit mit unspezifischen Arbeitsverträgen "einen Fehler" gemacht zu haben, bestreitet aber ansonsten viele Vorwürfe der Staatsanwaltschaft. Wenn seine Mitarbeiter in der Freizeit freiwillig den Teller bewacht haben sollten, hätten sie die Einnahmen auch behalten. Das Tellergeld, das während der Arbeitszeit eingenommen und von den Mitarbeitern auf ein Firmenkonto eingezahlt wurde, sei korrekt abgerechnet worden.
Wie schwierig es ist, das Gewerbe von Sozialbetrug, Lohndumping oder Steuerhinterziehung zu befreien, zeigt der Fall einer Bonner Unternehmerin. Im Juli 2011 fanden Steuerfahnder im Bonner Privathaus von Katharina P. Münzen im Wert von mehr als 40.000 Euro. Die Beamten mussten mit einem 7,5-Tonner vorfahren, um das Geld abzuholen. Die Firmenchefin, die bundesweit rund 50 Toiletten betrieben haben soll, wurde wegen Steuerhinterziehung verurteilt, ihre Firma ging pleite. Doch bereits Anfang 2012 tauchte Katharina P. wieder auf, als Geschäftsführerin einer neuen GmbH - eingesetzt von zwei Verwandten, die nun als Gesellschafter fungieren.
Auch ein Gesellschafter der Toilettenreiniger aus den Spandau-Arcaden, Svetoslav P., ist nun ins Visier der Justiz geraten: Die Staatsanwaltschaft Mainz teilt mit, dass gegen ihn und einige weitere Reinigungsunternehmer ermittelt werde. Es gehe unter anderem um die "Veruntreuung von Arbeitsentgelten". Auf Anfrage hat sich P. gegenüber SPIEGEL ONLINE bislang nicht dazu geäußert.