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FLICK Totaler Ausreißer

Muß Bonn sich mit dem Düsseldorfer Industriemilliardär Flick befassen? Die Konzernzentrale bereitet einen besonders delikaten Steuerbefreiungsantrag vor.
aus DER SPIEGEL 46/1977

Die Tagesordnung der SPD-»Arbeitsgruppe Steuern« kündigt für diesen Dienstag allerlei Routinesachen an. Berichte, Beratungen von Plänen, allerlei parlamentarische Fleißübungen.

Erst wenn der Punkt »Aktuelle Gesetzesvorhaben« aufgerufen ist, wird es ernst. Die SPD-Parlamentarier werden dann darüber beraten, wie sie den Düsseldorfer Industrie-Milliardär Friedrich Karl Flick um einige hundert Millionen Mark erleichtern können.

Gerade noch rechtzeitig vor dem am 15. November beginnenden SPD-Parteitag will SPD-MdB Rolf Böhme seine Parteifreunde dazu anstiften, den Erben zur Ader zu lassen: Seine 14 Fraktions-Kollegen der »Arbeitsgruppe Steuern« sollen einen Initiativantrag beraten und gutheißen, der die Steuerfreiheiten des Paragraphen 6b Einkommensteuergesetz zu Lasten der Superreichen zusammenstreicht.

Die Möglichkeit, eingestrichene Gewinne aus der Veräußerung von Firmen oder Firmenanteilen an den Finanzämtern vorbeizuschleusen, soll nach Böhmes Plänen »auf ein vernünftiges Maß zurückgeschnitten« werden.

Der Privileg-Paragraph 6b, der Steuerfreiheit unter anderem dann zugesteht, wenn die erlösten Millionen in »volkswirtschaftlich besonders förderungswürdige« neue Vorhaben investiert werden, ist spätestens seit Anfang 1975 vielen Sozialdemokraten ein Ärgernis.

Damals verkaufte die Familie Flick für gut zwei Milliarden Mark ihr Paket Daimler-Aktien an die Deutsche Bank. Ohne den 6b-Ablaß hätten Flick und die Seinen allein für den Daimler-Deal rund eine Milliarde Mark Steuern ans Finanzamt überweisen müssen.

Doch sein Hausmanager Eberhard von Brauchitsch wußte Rat. Rund 400 Millionen Mark, etwa ein Fünftel des Erlöses, wanderten, wohlversehen mit dem Bonner Steuerspar-Testat, in diverse neue Anlagen und Firmenbeteiligungen: 150 Millionen sollen Projekten der Konzernfirmen Dynamit Nobel und Buderus zugute kommen, rund 250 Millionen gaben die Düsseldorfer, ebenfalls steuerbegünstigt, für eine 10-Prozent-Beteiligung an der US-Chemiegruppe W.R. Grace & Co. aus. Flick-Kritiker Böhme: »Der wohl größte Steuerbonus der deutschen Nachkriegsgeschichte.«

Nachdem von Brauchitsch bereits eine knappe halbe Milliarde Mark am Finanzamt vorbeigeleitet hatte, fiel ihm ein weiterer großer Brocken ein: Die Flick-Firma Feldmühle, so erfuhr Bonn auf Umwegen, brauche dringend eine gut 300 Millionen Mark teure Anlage zur Produktion von Massenpapier. Und weil diese gigantische Maschine auch volkswirtschaftlich wertvoll sei, erhofft Flick eine Steuerbefreiung nach den Vorschriften des Paragraphen 6.

Gar so unstreitig schien das Vorhaben aber wohl selbst den Flick-Managern nicht. Am Donnerstag vorletzter Woche baten sie aus Sorge um störende Publizität ihre Aufsichtsräte, in der Sitzung keine Fragen zum geplanten Groß-Investment zu stellen.

Und Feldmühle-Chef Robert G. Layton versicherte letzte Woche, über das Geheimprojekt werde offiziell erst in »den nächsten drei bis vier Monaten entschieden«.

Doch an der Basis, in den verschiedenen Feldmühle-Fabriken, war das Gerücht über die Mammutanlage, die kaum mehr als 100 Mann Bedienungspersonal braucht, längst verbreitet.

Insbesondere die 550 Beschäftigten des Feldmühle-Werkes Hillegossen bei Bielefeld haben Angst vor dem Moloch: Weil die auf mindestens hunderttausend Jahrestonnen ausgelegte Maschine in einem anderen Feldmühle-Betrieb aufgestellt werden soll, sehen sie ihre Arbeitsplätze in Gefahr.

Noch vor einem Jahrzehnt fertigten in der Hillegossener Feldmühle-Fabrik über 1200 Arbeiter vor allem hochwertige Kunstdruck-Papiere. Doch die von den Flicks versäumte technische Modernisierung ihrer Produktion und der Erfolg des in einem einzigen Arbeitsgang hergestellten maschinengestrichenen Papiers drückten das Werk ins Abseits.

Die neue Großanlage, so fürchten die ostwestfälischen Papierarbeiter, könnte ihnen den Rest geben. Auch Layton gibt zu: »Ich weiß, daß es solche Ängste gibt, aber die Lage in Hillegossen hat nur mit dem schrumpfenden Markt für Kunstdruckpapier zu tun.«

Diese Auskunft und vage Zusagen aus der Düsseldorfer Konzern-Zentrale konnten die Hillegossener Betriebsräte nicht beruhigen. Vorsichtig plädieren sie dafür, das vorgesehene Großprojekt nach Hillegossen zu vergeben.

Darauf freilich dürften sich Flick und seine Standortplaner kaum einlassen. Sie favorisierten die Feldmühle-Fabrik in Hagen-Kabel, die ideale Bedingungen bietet: Sie ist unmittelbar an der Autobahn gelegen, hat genug eigenen Strom und genug Wasser aus Ruhr und Lenne.

Noch bevor Flick-Manager von Brauchitsch in Bonn seinen Steuerfreiheits-Antrag für das 300-Millionen-Ding stellte, begannen die diskret vorgewarnten Bonner Beamten, alle Argumente für und gegen eine steuerliche Begünstigung sorgsam abzuwägen. Die Feldmühle-Manager

* können für sich ins Feld führen, daß ihre hypermoderne Anlage eine ältere Papiermaschine ersetzen und damit die Produktionsstruktur modernisieren und langfristig absichern würde,

* müssen gegen sich gelten lassen, daß ihre Maschine Arbeitsplätze vernichten kann und deshalb kaum das Prädikat »volkswirtschaftlich förderungswürdig« verdient.

Daß der teure Papier-Roboter etliche Arbeitnehmer freisetzt, scheint kaum zweifelhaft. Schon heute fürchten Branchen-Insider, daß steigende importe und neue Papierwerke leicht zu Überkapazitäten führen.

So will die Dachauer MD Papierfabriken Nicolaus (Großaktionär: der Offenburger Großverleger Franz Burda) im niederbayrischen Plattling bis 1982 eine neue Fabrik für Massenpapier mit einer Jahreskapazität von 70 000 Tonnen hochziehen. Andere Firmen, wie die Papierwerke Waldhof-Aschaffenburg, klagen bereits über flauen Auftragseingang und magere Renditen.

Sozialdemokrat Böhme will die Bonner Experten von derlei vertrackten Überlegungen befreien. Er schlägt seiner Fraktion vor, den Förderparagraphen durch eine Vorschrift zu ergänzen, die den maximalen Antragswert auf 25 Millionen Mark jährlich begrenzt.

Diese »Lex Flick« hält Böhme für durchaus gerecht: Dürfte der Industrie-Milliardär seinen gesamten Daimler-Erlös mit Bonner Freitestat anlegen, so hätte er einen Steuererlaß durchgesetzt, der das Dreifache aller anderen 6b-Subventionen von drei Jahren erreicht. Böhme: »Der Flick-Fall ist ein totaler Ausreißer.«

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