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EURO Totales Chaos

Wann sollen und wann dürfen die Konzerne auf die Euro-Währung umstellen? Siemens will vorpreschen.
aus DER SPIEGEL 12/1997

Unbeirrt setzt Helmut Kohl darauf, daß der Euro pünktlich zum 1. Januar 1999 zum europäischen Zahlungsmittel wird. Die Herren von Daimler, IBM, Siemens oder BMW mahnt der Kanzler immer wieder, den Start in das Zeitalter der einheitlichen europäischen Währung nur ja nicht zu verschlafen.

Die Unternehmensführer, so Kohl, sollten ihre Buchhalter zwingen, gleich von Beginn an mit dem Euro zu bilanzieren, auch wenn sie sich damit nach den Regeln von Maastricht noch bis zum Jahr 2002 Zeit lassen könnten.

Denn der Euro hat zwar vor Beginn der dreijährigen Übergangsphase schon einen festen Wert im Verhältnis zur Mark. Aber Scheine und Münzen gibt es erst im Jahre 2002. Firmen und Bürger sind jedoch frei in der Entscheidung, entweder bis zum letzten Tag in altgewohnter Währung zu kalkulieren oder früh zum Euro überzulaufen.

Daimler, IBM und BMW haben sich prinzipiell bereit erklärt, rasch umzustellen. Musterschüler aber ist Siemens-Chef Heinrich von Pierer. Vom 1. Oktober 1999 an, dem Beginn des Siemens-Geschäftsjahres, soll bei dem traditionsreichen Multi die Ära der Mark enden.

Dem reibungslosen Frühstart in die neue Geldära stellt sich nun ein Mann in den Weg, von dem Kanzler-Freund Pierer am wenigsten Widerstand erwartet hätte: Finanzminister und Euro-Freund Theo Waigel.

In einem Entwurf für das Szenario des Übergangs, der in der vergangenen Woche im Bonner Finanzministerium fertiggestellt wurde, haben sich Waigels Beamte eindeutig festgelegt: »Wo die öffentliche Verwaltung hoheitlich tätig ist, erfolgt die Umstellung zum 1. Januar 2002.«

Was das für die Unternehmen bedeutet, haben die Verfasser ebenso klar niedergeschrieben: Steuererklärungen vor diesem Zeitpunkt seien »in D-Mark zu erstellen«.

Die Siemens-Buchhaltung und die Steuerverwaltung des Konzerns haben das gleiche Problem mit dem Euro wie der Finanzminister - aber genau gegenläufige Interessen: Beide wollen vermeiden, in der Übergangszeit ihre Computer sowohl mit Mark-Werten als auch mit Euro-Kursen füttern zu müssen.

Siemens hält daran fest, die Handelsbilanz samt aller dem Rechenwerk zugrunde liegenden Geschäftsvorgänge von 1999 an ausschließlich in Euro darzustellen. Diese Handelsbilanz ist Grundlage für die Steuerbilanz und damit auch der Steuererklärung des Konzerns.

Die Steuererklärung aber ist ein »hoheitlicher Akt«. Und damit dürfen Finanzbeamte sie nach der Vorgabe ihres obersten Dienstherren eben nur annehmen, wenn sie auf Mark lautet. Das wiederum würde den Konzern zwingen, im Rechnungswesen zwei Jahre lang zweigleisig zu arbeiten.

»Wir werden uns vehement dafür einsetzen, daß die öffentlichen Institutionen während der gesamten Übergangsphase beide Währungen bereitstellen und akzeptieren«, heißt es in einem Argumentationspapier der Konzernexperten. Auf einer Sitzung der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände vor zwei Wochen warf der Siemens-Vertreter Uwe Liebig dem Finanzministerium vor, mit seiner starren Haltung den politische Willen des Kanzlers zu unterlaufen.

Doch einer vorzeitigen Euro-Umstellung für alle steht aus Waigels Sicht »das schutzwürdige Interesse« jener Bürger entgegen, »die mehr Zeit benötigen, um sich auf den Euro einzustellen«, heißt es in dem Papier des Finanzministeriums. Die Steuerverwaltung wäre deshalb, würde sie auf die Forderung des Siemens-Konzerns eingehen, »zu einer Dualität in ihren Abläufen« gezwungen.

Diese »Dualität« ist den beamteten Steuerexperten genauso zuwider wie den Siemens-Fachleuten die eigene Zweigleisigkeit. »Die Steuerverwaltungen der Länder«, heißt es im Szenario des Finanzministeriums, verfügten »nicht über die technischen Voraussetzungen für die gleichzeitige Handhabung von zwei Währungssystemen«.

Dennoch will Waigel der Industrie entgegenkommen. Zwar soll es bei der steuerrechtlichen Verpflichtung bleiben, den Jahresabschluß in Mark vorzulegen. Daraus folgt für den Finanzminister aber neuerdings nicht mehr zwingend, »daß die Unternehmen auch das den Bilanzen zugrunde liegende Buchwerk in D-Mark führen müssen«.

Die Mühe, wenigstens die Steuerbilanz umzurechnen, will der Finanzminister den Unternehmen allerdings nicht ersparen. »Ich nehme an«, spottet ein Waigel-Beamter, »das werden so große Konzerne doch noch schaffen.«

Es wird ihnen nichts anderes übrigbleiben. Weit schwieriger ist der Plan des Siemens-Konzerns umzusetzen, den Beschäftigten von 1999 an das Gehalt in Euro zu überweisen.

Die Sozialversicherungen sperren sich, auch sie wollen nicht zweigleisig fahren. Rentenkasse wie Krankenversicherung nehmen Beiträge von Arbeitgebern wie Arbeitnehmern bis zum 1. Januar 2002 nur in Mark an.

Mit Schrecken stellt sich Wilfried Klesser vom Verband der Rentenversicherungsträger vor, plötzlich kämen Überweisungen in Euro und Mark an, berechnet nach Beitragsbemessungsgrenzen in unterschiedlichen Währungen. Klesser: »Das würde ein totales Chaos.«

Die Banken dagegen haben auf der Tagung der Arbeitgeberverbände signalisiert, sie seien bereit, Gehaltsüberweisungen in Euro bereits dann zu tätigen, wenn es das neue Geld nur auf dem Konto, aber noch nicht in bar gibt. Umrechnung und Barauszahlung in Mark würden sie schon erledigen.

Die Frage der Gebühren ist jedoch noch offen. Das, meint ein Bankenvertreter, »regelt der Wettbewerb«.

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