»Gefahr für unabhängige Recherchen« Deutsche Behörden informieren Firmen über Journalistenanfragen

Bundesfinanzministerium in Berlin
Foto:Florian Gaertner / Photothek / Getty Images
Die deutschen Behörden informieren Firmeneigentümer seit mehr als zwei Jahren darüber, wenn Journalisten oder Aktivisten über ihre Firmen Erkundigungen beim Transparenzregister einholen. Nach SPIEGEL-Informationen haben im Jahr 2021 Unternehmen 247 Anträge auf Auskunft über mögliche Rechercheanfragen gestellt, in 119 Fällen haben die Behörden die gewünschten Informationen tatsächlich übermittelt. 2022 waren es bereits 309 Anträge und 176 Weitergaben.
Christian Mihr, Geschäftsführer von »Reporter ohne Grenzen«, sieht darin eine Gefahr für unabhängige Recherchen: Denn selbst wenn diese Auskünfte anonym gegeben würden, sei es für das Unternehmen »potenziell nachverfolgbar, um welchen Journalisten oder welche Journalistin es sich handelt«. Das gelte insbesondere dann, »wenn bekannt ist, dass der Kollege oder die Kollegin in der Vergangenheit schon zu dem Unternehmen gearbeitet hat«.
»Fragwürdige Praxis«
Fabio De Masi, Ex-Bundestagsabgeordneter (Linke) und Fellow bei der Bürgerbewegung Finanzwende, spricht von einer »fragwürden Praxis«, auch, weil man es zuweilen mit schwer kriminellem Milieu zu tun habe. So wurde etwa die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia 2017 mit einer Autobombe in die Luft gesprengt. Der slowakische Journalist Ján Kuciak wurde 2018 erschossen, der griechische Enthüllungsjournalist Giorgos Karaivaz 2021. Sie alle recherchierten regelmäßig zu Firmen und deren Geldströmen sowie organisierter Kriminalität.
Anfang Februar hatte die luxemburgische Justizministerin Sam Tanson bekannt gegeben, dass auch Luxemburg plane, Firmen auf Antrag über Recherchen zu informieren. Das Land will damit dem Beispiel Deutschlands, Österreichs und der Niederlande folgen, und möglicherweise noch einen Schritt weitergehen: Firmeninhaber könnten bald die Berufsgruppe der anfragenden Person erfahren – oder sogar deren Namen. Nach SPIEGEL-Informationen ist diese Praxis in Litauen sogar bereits üblich. Seitdem das dortige Transparenzregister im August 2022 in Betrieb ging, haben Eigentümer das Recht zu erfahren, wer zu ihnen recherchiert. In einem ersten Antrag, der nun beantwortet würde, werden neben den juristischen Personen auch Vor- und Nachnamen von Einzelpersonen übermittelt, heißt es aus dem litauischen Justizministerium. Auch die Niederlande prüfen derzeit, wie sie ihre bisherigen Auskünfte an Firmeninhaber noch detaillierter machen kann.
Transparency International
Transparenz-Aktivisten sehen einen massiven Rückschritt im Kampf gegen Geldwäsche und Korruption. Man sei besorgt über dieses Vorgehen und rate EU-Staaten dringend, solche Regelungen zu entfernen, da sie Journalisten und zivilgesellschaftliche Organisationen in Gefahr bringen würden, heißt es von Transparency International. »Bei Geldwäsche und ähnlichen Verdachtsanzeigen ist es ein allgemeiner Grundsatz, dass der Betroffene nicht informiert wird oder sogar gar nicht informiert werden darf.«
Hintergrund für die geplante Neuregelung ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom November vergangenen Jahres, das den öffentlichen Zugang zu Transparenzregistern nicht im Einklang mit dem im europäischen Recht verankerten Schutz personenbezogener Daten sieht. Seit der Entscheidung haben zahlreiche Länder ihre Transparenzregister für die Öffentlichkeit geschlossen, einige erarbeiten derzeit Neuregelungen.
Die Möglichkeit, Eigentümern Informationen über Anfragen zu übermitteln, war bereits in der fünften Antigeldwäsche-Richtlinie der EU aus dem Jahr 2018 enthalten, doch nur wenige Länder hatten sie umgesetzt. In Deutschland hatten die Fraktionen von CDU, SPD und FDP unter anderem auf Druck von Wirtschafts-Lobbyverbänden für die Aufnahme dieses Verfahrens im Gesetz gestimmt. Seither erfahren Firmeneigentümer, dass zu ihnen recherchiert wird – allerdings nicht, von wem genau.