BANKEN Trauriger Tag
In den nächsten zehn Jahren will ich zum größten internationalen Financier werden«, verkündete Jim Slater, 46, Aufsichtsrats-Vorsitzender des britischen Finanz-Konglomerats »Slater, Walker Securities« noch 1972. In der vorletzten Woche wurde der Zehnjahresplan des smarten Geld-Genies jäh gestoppt. Slater kleinlaut: »Ich bin kein reicher Mann mehr.«
Reich geworden war Ex-Buchhalter Slater durch eine Spezialität, die im Jargon der Finanzwelt »Asset stripping« heißt und linken Kritikern als Muster kapitalistisch-manchesterhafter Ausbeutungspraktiken gilt.
Gemeinsam mit dem späteren konservativen Minister Peter Walker hatte Slater 1964 begonnen, substanzstarke, doch an der Börse unter Wert gehandelte Unternehmen aufzukaufen und die profitablen Vermögenswerte -- oft Grundstücke und Betriebsabteilungen -- danach einzeln zu veräußern, was für die meisten Firmen das Ende ihrer Existenz bedeutete.
Der Anlagen-Strip brachte Slaters Laden 1973 Profite von 23,4 Millionen Pfund. In dieser Zeit hatte sich der Finanzmann schon ein Imperium zusammengekauft, das an der Börse rund 200 Millionen Pfund wert war -. die »gewaltigste Geldmaschinerie, die je die Londoner City zierte«, befand der Londoner »Observer«.
Schon bald war der Jungunternehmer Star der neuen Zunft waghalsiger Geld-Jongleure und symbolisierte für die Finanzwelt, was die Beatles für die Pop-Musik galten. Asset stripping nämlich war Mode geworden, die Strippers »vermehrten sich in Londons City wie die Fliegen« ("Observer").
Strip-Star Slater gewann Auf- und Ansehen aber nicht nur durch reine Geldgeschäfte. 1972 setzte er einen 50 000-Pfund-Sonderpreis aus, um Amerikas Schachgenie Bobby Fischer zum Weltmeisterschaftsmatch gegen den Russen Boris Spasski nach Island zu locken.
Aber 1974, als die Bank von England mehrere Banken. Immobilienkonzerne und Versicherungen stützen mußte, ging es auch mit Slater bergab. Im ersten Halbjahr 1975 verbuchte seine Gruppe nur noch 2,2 Millionen Pfund Profit, 7,8 Millionen Pfund weniger als im ersten halben Jahr 1974.
1973 noch hatte der Finanzmann versucht, die angesehene City-Bank Hill Samuel zu kaufen -- vergeblich. Zwei Jahre später war er so weit herunter, daß Singapurs Finanzminister Hon Sui Sen Slaters dortigen Finanzkonzern Haw Par Brothers International »ernste Unregelmäßigkeiten« ankreiden konnte: Es sei anzunehmen, so der Minister, daß »Firmengelder zweckentfremdet angelegt worden« seien. An dem Singapur-Konzern, der nach Deutschland das Rheuma-Mittel Tiger Balm liefert, war Slater von 1971 bis 1974 mit 26,4 Prozent beteiligt gewesen.
In Hongkong untersuchten unterdessen beamtete Wirtschaftskriminalisten das Geschäftsgebaren einer »Spydar Securities«-Gesellschaft' deren Anteile zu rund 22 Prozent beim Chef hrn Slater lagen. Zweck dieses Unternehmens, von »Haw Par«-Direktoren. gegründet: Spekulationen an der Börse zum eigenen Nutzen eben dieser Direktoren.
»Um das Unternehmen, die Angestellten und Aktionäre vor weiterem Schaden zu bewahren«, trat Slater nach solchen Querschlägern am 24. Oktober von seinem Chef-Posten bei Slater, Walker Securities zurück. Slater: »Ein trauriger Tag«, den Abschied »hatte ich mir doch anders vorgestellt«.
Einen Trost freilich hat der gescheiterte Millionenspieler immer noch: Jimmy Goldsmith, 42, Chef des Lebensmittelkonzerns Cavenham (derzeitiger Börsenwert: 118 Millionen Pfund), ein Freund und Backgammon-Partner Slaters, übernahm die Leitung des Unternehmens, um, wie er sagt, seine Investitionen zu schützen -- Goldsmith nämlich besaß acht Prozent des Aktienpakets der Slater-Firma.
Noch ehe der Rücktritt des »Mistet Millions« ("Sun") offiziell bekannt wurde, sickerte die Nachricht in der City durch. Spekulanten verkauften rasch ihre Slater-Walker-Papiere, binnen eines einzigen Tages verlor das Unternehmen mehr als acht Millionen Pfund an Kurswert. Art und Umstände des Sturzes, vermutet die »Times«, werden ähnlich tiefen Eindruck auf die Finanzwelt in der City hinterlassen wie einst der Aufstieg des Jim Slater.
Der Eindruck ist für Britanniens Banken-Establishment eher vorteilhaft. Mancher ehrwürdige Unternehmer hatte in Slaters aktiven Tagen in Furcht vor der oft aggressiven Übernahmetaktik des Geld-Genies leben und seinen Betrieben bisweilen mehr Sorgfalt widmen müssen als der sonst bevorzugten Fasanenjagd in Schottland. Nun aber, so die »Times«, sehen sich die Konservativen erneut bestätigt in ihrer alten Überzeugung, daß es wohl besser sei, zu einem »betont konservativen Geschäftsstil zurückzukehren«.
Die Freude darüber allerdings kann zu früh kommen: Slater-Intimus und -Nachfolger Goldsmith nämlich entspricht nicht dem Bild eines zünftigen Konservativen, und auch sein Geschäftsstil ist nicht so. Schon Jim Slater bewunderte ihn: »Er ist einer der zehn Männer, an die ich denke, wenn von einer außerordentlichen finanziellen Begabung die Rede ist.«
Auch Goldsmith, 1,90 Meter groß, in Frankreich geboren, in Eton erzogen, machte seine 27 Millionen Pfund Privatvermögen in knapp zehn Jahren; zudem ist er mit der französischen Rothschild-Sippe verwandt. Seine erste Frau war eine achtzehnjährige Zinn-Erbin aus Bolivien, die er gegen den Widerstand der Brauteltern ehelichte. In den USA besitzt der Slater-Freund 530 Einzelhandeisläden, und der Umsatz seines Imperiums hat selbst für Londons City eindrucksvolle Dimensionen: 1,4 Milliarden Pfund.
Gegen das große Geld nehmen sich Goldsmiths kleine Schwächen geringfügig aus. Zu seinen Freunden zählt der wegen Mordes an der eigenen Kinderschwester gesuchte Lord Lucan, mit dem Glücksspieler Goldsmith gerne seine Stunden in den Casinos verbrachte. Zu seinen kostspieligen Leidenschaften gehört ein Rennstall im französischen Chantilly.
So weiß denn der gestrandete Finanzheld Jim Slater sein Lebenswerk auch in verläßlicher Hand. Slater selbst aber, der ausgezogen war, zum größten Financier der Gegenwart zu werden, will von Geld nun gar nichts mehr wissen. Ruhen allerdings will er auch nicht. Slater programmatisch: »Es ist besser, Gegenstände zu produzieren als Geld zu machen.«