Trotz Politiker-Attacken Warum die EZB die Zinsen erhöhen wird
Hamburg - So einig sind sie sich selten: Seit Tagen bekunden die europäischen Regierungschefs mit deutlichen Worten, was sie von der angekündigten Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank (EZB) halten: nichts.
"Man wird mir doch nicht erzählen wollen, dass man die Zinsen erhöhen muss, um gegen die Inflation zu kämpfen", erklärte Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy. Die EZB solle die Preissteigerungen der letzten Monate "flexibler" handhaben, ließ Spaniens Premierminister José Luis Rodriguez Zapatero die Währungshüter wissen. Und Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi klagte, ein "überbewerteter Euro" könne die Exporte gefährden.

EZB-Chef Trichet: "Wir Notenbanker tragen eine große Verantwortung"
Foto: APNoch drastischer warnten die Gewerkschaften: "Reines Gift für die Konjunktur" sei die erwartete Zinserhöhung, kritisierte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Sie gefährde "fahrlässig Hunderttausende Arbeitsplätze". Und auch der europäische Dachverband der Gewerkschaften fürchtet eine Abschwächung der Konjunktur, sollte die EZB die Zinsen erhöhen.
Doch lässt sich die EZB davon beeinflussen? Oder muss sie jetzt erst recht ihre Zinsen erhöhen - um ihre Unabhängigkeit zu beweisen?
"EZB ist aggressiver, als Politiker das gerne hätten"
"Wenn man den EZB-Chef Jean-Claude Trichet erlebt hat, weiß man, dass der sich nicht reinreden lässt", sagt Dorothea Schäfer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Dass Politiker und Gewerkschaften trotzdem versuchen, die Währungshüter auf ihre Linie einzuschwören, überrascht Konjunkturexperten dennoch nicht: "Es war schon immer so, dass Politiker sich über den Kurs der Bundesbank und später der EZB beschwert haben", sagt Manfred Jäger vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Das jetzige Getöse halte er deshalb für nicht gefährlich. "Die EZB ist einfach aggressiver, als manche Politiker das gerne hätten."
Dabei hat die EZB lange ruhig gehalten: Während die amerikanische Notenbank mit drastischen Zinssenkungen auf die weltweite Finanzkrise reagierte und den Leitzins in mehreren Schritten auf derzeit zwei Prozent senkte, ist der Kurs der EZB seit Juni 2007 unverändert. Erst jetzt, wo die Inflation mit vier Prozent den höchsten Stand seit der Einführung des Euro erreicht hat, will sie handeln: Schon vor einem knappen Monat kündigte EZB-Chef Trichet an, die Zinsen eventuell anzuheben - wahrscheinlich auf 4,25 Prozent.
Politik fürchtet Konjunkturbremse
Doch trotz hoher Energiepreise und teurer Lebensmittel hält die Politik davon wenig. Sie hat Angst, die höheren Zinsen könnten das sowieso schon langsame Wirtschaftswachstum schwächen: "Höhere Zinsen bremsen die Investitionen", sagt DIW-Expertin Schäfer. Außerdem sei der Abstand zum Zinsniveau in den USA dann noch höher - was den Euro weiter verteuere. "Diese Kombination kann dazu führen, dass sich der Export abschwächt und die Folgen der Finanzmarktkrise doch noch auf die Realwirtschaft überschwappen."
Das allerdings wiegt in den Augen der EZB-Experten weniger schwer, als die Gefahr einer dauerhaften Inflation. Im Gegenteil: Sie warnen davor, zu nachlässig mit der hohen Teuerungsrate umzugehen: "Wir Notenbanker tragen eine große Verantwortung. Wenn wir nicht entschlossen sind, besteht das Risiko, dass die Inflation explodiert", sagte EZB-Chef Trichet schon vor einer Woche der "Zeit". "Wenn wir entschieden handeln, dann können wir die Situation meistern."
Tatsächlich ist nicht nur die Inflation so hoch wie nie, sondern auch die erwartete Teuerungsrate: An den Finanzmärkten ist die Inflationserwartung zuletzt auf 2,6 Prozent gestiegen - so viel wie seit Jahren nicht mehr. "Die EZB hat vor allem vor dem sogenannten Zweitrunden-Effekt Angst: Weil steigende Inflation erwartet wird, wird bei Lohnrunden mehr verlangt, die höheren Gehälter müssen dann mit teureren Produkten ausgeglichen werden und am Ende wird tatsächlich alles teurer, weil alle genau das erwartet haben", sagt IW-Experte Jäger. Die Erwartung erfülle sich nur deshalb, weil alle sie erwarteten.
"EZB bestraft die Wirtschaft"
Ob die Zweitrunden-Effekte aber tatsächlich nur durch eine Zinserhöhung gestoppt werden können, darüber streiten sich die Experten: "Die EZB ist so glaubwürdig, dass es durchaus reicht, wenn sie zum Beispiel Gewerkschaften und Arbeitnehmer zu Lohnzurückhaltung mahnt", sagt Gustav Horn vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Die eigentliche Inflation käme durch den hohen Ölpreis von außen und der lasse sich auch durch höhere Zinsen im Euroraum nicht senken. "Stattdessen lässt sich die EZB von der Angst vor den Zweitrunden-Effekten leiten und bestraft so die Wirtschaft, obwohl die noch gar nicht auf die hohe Inflation reagiert hat."
In der Debatte, ob die Inflationsbekämpfung oder die Konjunkturbelebung wichtiger ist, vergessen Kritiker allerdings eines: "Das Mandat der Zentralbank ist nicht die Konjunktur, sondern die Geldwertstabilität", sagt Jäger vom IW. Nur wenn die Inflation im normalen Rahmen liege, könne man sich anderen Fragen widmen. Darüber hinaus sei die EZB nicht dafür bekannt, leichtfertig oder zu schnell zu handeln.
"Die EZB hat überhaupt kein Interesse, die Konjunktur abzuschwächen", sagt auch DIW-Expertin Schäfer. Gerade weil man die Konjunktur im Blick habe, versuche man, die Inflation zu bekämpfen. "Alleine, dass die EZB sich traut, in dieser schwierigen konjunkturellen Situation die Zinsen zu erhöhen, zeigt, wie ernst sie die gesamte Lage nimmt."