Türkische Wirtschaftspolitik Erdogan und die vergessene Krise

Schwache Lira, hohe Inflation: Die türkische Wirtschaft erholt sich nur sehr langsam von den heftigen Turbulenzen der vergangenen Monate. Doch Präsident Erdogan will von Krise nichts wissen. Das könnte sich rächen.
Recep Tayyip Erdogan

Recep Tayyip Erdogan

Foto: ADEM ALTAN/ AFP

Wer den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in diesen Tagen reden hört, dem fällt es schwer zu glauben, dass das Land gerade durch eine schwere Finanzkrise gegangen ist und noch immer vor einer Rezession steht.

"Die Türkei schreibt Geschichte", sagte Erdogan gerade erst gegenüber Unternehmern in Istanbul. Die Finanzen? Stabil. Die Inflation? Unter Kontrolle. Man habe Angriffe auf die türkische Wirtschaft erfolgreich abgewehrt, sagt auch Erdogans Schwiegersohn, Finanzminister Berat Albayrak.

Tatsächlich hat sich die türkische Wirtschaft in den vergangenen Wochen etwas erholt, nachdem sie im Sommer zwischenzeitlich zu kollabieren drohte. Die Lira steht im Vergleich zum Euro bei 6:1, nachdem Türken im August für einen Euro noch fast acht Lira bezahlen mussten. Trotzdem ist die Währung heute ein Viertel weniger Wert als noch vor einem Jahr. Die Inflationsrate lag im Dezember bei 20 Prozent, fünf Prozentpunkte unter dem Rekordwert aus dem Oktober, aber weit über den Zielvorgaben der Regierung.

"Die gute Nachricht für die türkische Wirtschaft ist, dass die schlechten Nachrichten noch wesentlich schlechter sein könnten", fasste der britische "Economist" die Gemütslage in der Türkei im Januar 2019 treffend zusammen.

Die Entspannung an den Finanzmärkten hat Erdogan dazu veranlasst, in der Wirtschaftspolitik zum Alltag überzugehen. Die Krise ist vorbei. Von jetzt an wird wieder Geld ausgegeben. Das ist die Parole, mit der der Staatschef wenige Monate vor wichtigen Regionalwahlen am 31. März durch das Land zieht.

Erdogan sähe es gerne, wenn die Zinsen wieder fallen würden

Die türkische Regierung hat den Mindestlohn gerade erst von 260 auf 325 Euro angehoben. Sie will Verbrauchern die Kosten für Strom und Gas teilweise abnehmen und die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel senken. Insgesamt plant Erdogan für sozialpolitische Projekte zehn Milliarden Euro auszugeben.

Der türkische Präsident könnte sich auch dazu verleitet sehen, die Geldpolitik weiter zu lockern, je näher die Wahlen rücken. Wenn die Zentralbank an diesem Mittwoch über den Leitzins berät, ist es unwahrscheinlich, dass sie diesen anhebt - eher wird sie ihn senken.

Im September hatte die Zentralbank den Leitzins von 17 auf 24 Prozent erhöht - und unter anderem dadurch den Absturz der Lira gebremst. Erdogan sähe es gerne, wenn die Zinsen wieder fielen, da das die Wirtschaft anheizt und er vor den Wählern mit Wachstumszahlen protzen möchte. Er würde damit jedoch eine erneute Destabilisierung der Währung riskieren.

Erdogan hat den Konjunkturboom in seinem Land jahrelang mit ausländischem Kapital befeuert. Inzwischen aber ist dieses System an seine Grenzen geraten. Die Auslandsverschuldung der Türkei ist in den 16 Jahren seiner Amtszeit von 130 auf fast 450 Milliarden Dollar gewachsen. Bereits in diesem Jahr müssen türkische Unternehmen 200 Milliarden Dollar an Gläubiger zurückzahlen. 2018 meldeten mindestens 846 türkische Firmen Insolvenzschutz an. Auch diese Zahl dürfte weiter steigen. Die Ratingagentur Moody's sagte im November voraus, dass die türkische Wirtschaft 2019 um zwei Prozent schrumpfen werde.

Erdogan ficht das nicht an. Er denkt vor allem bis zum Wahltag am 31. März. Danach, so glauben einige Experten, könnte seine Regierung Hilfe beim Internationalen Währungsfonds (IWF) suchen.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten