TUI-Hauptversammlung "Größter Betrugsfall der deutschen Wirtschaftsgeschichte"

Ex-Preussag-Vorstand Hans-Joachim Selenz erhebt schwere Vorwürfe gegen seine Nachfolger. Der Umbau des Preussag-Konzerns zum Touristikspezialisten TUI sei mit dem größten Betrugsfall der Wirtschaftsgeschichte einher gegangen.

Hannover - Selenz wirft dem heutigen TUI-Vorstand um Konzernchef Michael Frenzel vor, aus einem einstigen Preussag-Vermögen von umgerechnet über sechs Milliarden Euro einen Schuldenberg von acht Milliarden Euro gemacht zu haben.

50 Fragen legte Selenz dem TUI-Vorstand auf der Hauptversammlung in Hannover vor. Der Katalog ist voll von Vorwürfen: Der Preussag-Vorstand soll seinen Rechnungsprüfern und ihren Familien teure Reisen spendiert haben. Diese sollen sich mit Bilanzbetrug erkenntlich gezeigt haben, wie Selenz bereits im vergangenen Sommer gegenüber der US-Börsenaufsicht SEC beklagte. Auch der Vorstand der Preussag-Stahl-Sparte Salzgitter AG soll mit Millionen bestochen worden sein, um die Zustimmung zum Verkauf der Stahlwerke zu erlangen.

Selenz wurde 1998 von Frenzel entlassen, und macht nun mit Anschuldigungen von sich reden, die auch die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft interessieren: Die ermittelt seit Monaten in Sachen Preussag-Umbau. Der Hauptvorwurf: Insolvenzverschleppung bei der Tochterfirma Babcock Borsig. Gleichzeitig wird aber auch der Vorwurf der Untreue gegenüber der Babcock-Werftentochter HDW geprüft. Deren flüssige Mittel sollen im Babcock-Konzern im großen Stil zum Finanzausgleich benutzt worden sein.

Optimismus contra Vergangenheit

Dass Selenz auch diese Vorwürfe auf der Hauptversammlung in Erinnerung rief, kam Frenzel denkbar ungelegen. Viel lieber hätte der TUI-Chef, ähnlich wie kurz zuvor Mitbewerber Thomas Cook, Optimismus verbreitet, als an alte Geschichten erinnert zu werden. Denn TUI   verzeichnete in den vergangenen Wochen wieder eine steigende Zahl von Urlaubsinteressierten. "Seit Ende des Irak-Krieges läuft eine Aufholjagd auf unseren Märkten", so Frenzel. "Der erwartete deutliche Anstieg der Buchungszahlen ist eingetreten."

Im Fall TUI heißt das konkret: Die Zahlen sind schlecht, aber vor rund sieben Wochen waren sie noch schlechter. Anfang Mai war die Zahl der Urlaubsbuchungen noch um 15,2 Prozent geringer als zwölf Monate zuvor. Aktuell liegt der Wert im Vorjahresvergleich noch bei 10,7 Prozent. Trotz "Aufholjagd" rechnet Frenzel damit, dass die Gewinne in der Touristiksparte im einstelligen Prozentbereich hinter dem Vorjahreswert zurückbleiben. Ingesamt rechnet Frenzel jedoch damit, dass man, trotz tiefroter Zahlen im ersten Quartal 2003, insgesamt ein "deutlich positives Ergebnis" erzielen werde.

Obwohl TUI bereits im laufenden Jahr 260 Millionen Euro einsparen will und hierbei 2000 seiner 70.000 Stellen streicht, ist laut Frenzel ein Ende der Rotstift-Phase nicht in Sicht. Der Sparkurs sei nötig, um auch dann Gewinnsteigerungen zu erzielen, wenn sich die Konjunkturlage nur geringfügig verbessere.

Vor den rund 2000 Anwesenden verteidigte Frenzel den Einstieg in den Billig-Reisemarkt. Der Konzern dürfe nicht zulassen, von den Rändern her angreifbar zu werden. TUI habe jedoch "selbstverständlich nicht die Absicht", sein künftiges Wachstum schwerpunktmäßig auf dem Niedrigpreissegment zu realisieren.

Thomas Joppig

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