HANDEL Turnen am Hochreck
Der Fall stand nicht einmal auf der Tagesordnung. Doch schon vor der Sitzung, im Foyer des Sitzungssaals der Essener Karstadt-Zentrale, waren die Aufsichtsräte beim Thema.
Obwohl die Ratsrunde letzten Mittwoch das drohende Kartellsamts-Verbot einer Karstadt-Beteiligung am Frankfurter Versand- und Kaufhaus-Unternehmen Neckermann noch nicht einmal schriftlich hatte, sannen die Konzern-Aufseher bereits auf Gegenwehr. Vorstand Walter Deuss: »Wir würden dagegen klagen.«
Skeptiker hatten schon längst auf einen Berliner Einspruch gesetzt. Denn nachdem sich die Wettbewerbswächter fast zwei Jahrzehnte lang nahezu ausschließlich mit Produktions-Konzernen wie VW und Veba, Thyssen und Mannesmann befaßten, will sich der neue Amts-Präsident Wolfgang Kartte jetzt auch mit den mächtigen Handeisriesen messen.
Dabei ist den City-Giganten mit der von ihnen vorgerechneten Addition von Marktanteilen kaum beizukommen. Denn gemessen am gesamten Einzelhandels-Umsatz von 281 Milliarden Mark (1975) wäre selbst ein Firmenverbund Karstadt-Neckermann mit einem Marktanteil von noch nicht einmal vier Prozent gerade ein Handelszwerg. Im engeren Markt der Warenhaus- und Versandkonzerne dagegen bringt es das umstrittene Verkaufs-Kartell bereits auf gute 25 Prozent. In einigen Städten würden die beiden die Käuferszene noch eindeutiger beherrschen.
In 14 Städten, in Mannheim oder Mülheim, Remscheid oder Rosenheim, würde Europas größter Warenhaus-Konzern nach der Fusion mit Neckermann neue Kaufhäuser unter seine Regie bringen. In Mülheim beispielsweise wären es rund 40 000 Quadratmeter Verkaufsfläche -- die versammelte Konkurrenz von Horten, Kaufhof und Hertie bringt es nur auf 32 000 Quadratmeter. In Hamburg, wo Karstadt mit zehn Stützpunkten ohnehin fast so viel umsetzt wie alle übrigen Warenhaus-Wettbewerber gemeinsam, stiegen die Essener mit Neckermanns 100 Umsatz-Millionen zum einsamen Marktherrscher auf.
Wo der Branchenprimus bislang fehlte, würde der Zusammenschluß mit Neckermann problemlos neue Stützpunkte möglich machen, etwa in Aschaffenburg und Augsburg, in Siegen, Würzburg oder Offenbach.
Ein von den Karstadt-Planern als besonders ärgerlich empfundener weißer Fleck könnte gleich mit vier Fähnchen ausgezeichnet werden: In der Neckermann-Metropole Frankfurt würde ihnen nebenher sogar der billige Sprung an die Einkaufsstraße Zeil gelingen, wo sie sich jahrelang mit hartnäckigen Grundstückseignern einen erfolglosen Preispoker geliefert hatten.
Mit ihrem Zugriff auf den drittgrößten Versender der Bundesrepublik folgten die Karstadt-Bosse einem unausweichlichen Branchentrend: Krisensparen und Pillenknick. Gastarbeiter-Abzug und Konsummüdigkeit werden die Ausgaben der Bundesbürger in den kommenden Jahren kaum noch steigen lassen. Deshalb können die Handelshäuser ihr Geschäft nur noch zu Lasten der Konkurrenten ausdehnen. Willi Laschet, Kaufhaus-Manager des Neckermann-Konkurrenten Quelle: »Umsatzsteigerungen sind nur noch durch Expansion möglich.«
In diesem Jahr weihten die Kaufhaus-Vorstände deshalb mehr Filialen als in den Vorjahren ein. Horten etwa eröffnete Kaufpaläste in Marburg, Hannover, Recklinghausen und Worms, der Kaufhof in Brühl, Göppingen, Hannover und Soest. Branchenführer Karstadt nimmt allein in den letzten vier Monaten dieses Jahres zehn neue und vergrößerte Kaufläden in Betrieb -- zwischen Garbsen und Memmingen, Datteln und Berlin. Fast eine Milliarde Mark investieren in diesem Jahr die Großen der Warenhaus-Gilde in 150 000 Quadratmeter neue Verkaufsfläche.
Bis 1968 hatte ein zum Schutz des Kleinhandels zwischen den Konzernen ausgehandeltes Selbstbeschränkungs-Abkommen alle Städte unter 100 000 Einwohnern für die Warenhaus-Riesen zu Tabuzonen erklärt. Doch inzwischen drängen sie ungeniert bis in die entferntesten Winkel der Republik. Selbst Kleinstädte wie Cloppenburg und Bad Segeberg, Hückelhoven und Deggendorf wurden von den Topmanagern mit Betonbunkern bedacht. Und wo noch niemand ist, »kloppen sich alle vier«, so Karstädter Deuss. Im Run auf die letzten Reserven hatte der Kölner Konkurrent Kaufhof die Nase vorn. Als erster löste er sich von seinem lupenreinen City-Konzept großer Warenpaläste und eröffnete Anfang 1970 ein Mini-Warenhaus mit Selbstbedienung. Karstadt folgte ein Jahr später und »präsentierte seinerseits ein nach Größe und Architektur abgestuftes Typen-Programm bis hinunter zum Flachbau-Warenhaus mit Selbstbedienung, im Händler-Jargon »Flachmann« genannt. Nachkriegs-Neuling Horten hingegen stellt an diesem Donnerstag in Bergheim bei Köln sein erstes Klein-Kaufhaus vor, das laut Horten-Sprecher Schillert für »fußläufige Verbraucher mit Mitnahme-Bedarf« gedacht ist,
Anders als der mit hohen Bankkrediten im Eiltempo aufgezogene Horten-Konzern konnte Karstadt auf dem Grundstock weitgehend abgeschriebener Vorkriegsfilialen sich eine überaus solide Finanzpolitik leisten. Um ihren Spitzenplatz hei der Umsatzrendite (1975: gut zwei Prozent vom Umsatz, Kaufhof: 1,4 Prozent) zu halten, stiegen die konservativen Finanzvorstände aus preistreibenden Duellen um begehrte Standorte aus.
Nur Karstadt, allenfalls noch der Kaufhof, ist deshalb so gut gepolstert, um für 140 Millionen die Mehrheit des maroden Neckermann-Konzerns zu kaufen. Finanzvorstand und Ex-Bankier Deuss: »Unser finanzielles Fundament ist so gut, daß wir uns nicht fürchten müssen, wenn wir mehr Mittel als vorgesehen reinstecken müssen.«
Neben der Finanzkraft hilft den Karstädtern ein hochwertiges Reservecorps von trainierten Führungskräften im Kampf um Marktanteile.
Der weitgehend von der Eigentümer-Familie Karg beherrschte Hertie-Konzern oder Horten scheinen dagegen weniger gut gerüstet. Seit Gründer Helmut Horten vor sieben Jahren mit 875 Millionen Mark Verkaufsgewinn in die Schweiz emigrierte, ist es in Düsseldorf mit dem Elan der sechziger Jahre vorbei. Auffällig häufiger Wechsel im Managernent sowie Führungsprobleme in den Filialen machten Horten im Erfolgsvergleich der großen vier zum Dauer-Schlußlicht.
Werden die Zugänge an Verkaufsfläche nicht berücksichtigt, so sackte der Horten-Umsatz in den ersten acht Monaten dieses Jahres um 2,6 Prozent ab, während Kaufhof und Karstadt 1,4 und 1,3 Prozent zulegten. Horten-Konkurrenten munkeln bereits, daß Konzernchef Fritz Seydaack nach der Schließung von zwei unwirtschaftlichen Stützpunkten in Wuppertal und Berlin demnächst weitere Filialen dichtmachen muß.
Im Verhältnis zu den Kollegen von der Konkurrenz werden Seydaack und seine Vorstandsmannschaft knapp gehalten: 480 000 Mark jährlich verdient jeder der fünf Topmanager des Unternehmens. Die Spitzenleute bei Karstadt dagegen haben im Schnitt 630 000, Kaufhof-Topmanager sogar fast 700 000.
Mit diesen fürstlichen Salärs liegt die Creme der Krämer weit über den Bezügen weltweit operierender Industriekonzerne vom Schlage Thyssen, deren Bosse nur 580 000 Mark kassieren. Und die Chefs der Veba, Deutschlands umsatzstärkster Firmengruppe, werden nicht einmal mit einer halben Million belohnt.
Anders als die Industrie-Bosse, deren Weg nach oben über Diplom und Promotion, Bewährungs-Stationen in anderen Unternehmen oder Auslandstöchtern führt, nimmt sich die Karriereleiter der Konzernhändler vergleichsweise hausbacken aus. Nach Volksschulabgang oder Abitur absolvierten die meisten die Ochsentur vom Volontär zum Vorstand. »Ohne Berücksichtigung von Wehrdienstzeiten«, meldete Karstadts Hauspostille, benötigten die Vorstandsmitglieder »jeweils rund 13, 15, 19, 22, 23, 24, 30 und 35 Berufsjahre, bis sie vom Aufsichtsrat in die verantwortungsreichste Position unseres Unternehmens berufen wurden«.
Der Karstadt-Manager mit dem kürzesten Werdegang ist zugleich der einzige unter allen Warenhaus-Führern, der promoviert hat: Dr. jur. Walter Deuss, Sohn des in diesem Jahr verstorbenen Commerzbankiers und Karstadt-Aufsichtsratsvorsitzenden Harms Deuss.
Die Eigenart der branchenüblichen Karriere verbindet die Handelsherren zu einer geschlossen Verkäufergesellschaft. Noch bis vor einigen Jahren stimmten die in dem informellen »Club der befreundeten Firmen« vereinigten Handelsmanager einträchtig ihre neuen Standorte untereinander ab. Ihr Kastensinn geht so weit, daß sie einander sogar Einblick in den geschäftlichen Intimbereich gewähren. Monat für Monat tauschen sie Statistiken über Umsätze und Fläche, Kosten und Gewinne aus -- bis zur letzten Filiale.
Freundschaftsbeweise lassen sich die Club-Mitglieder etwas kosten. So schenkten sie dem Karstadt-Vorstand Theodor Althoff, einem Nachfahren des Firmen-Ahnen gleichen Namens, ein schweres BMW-Motorrad. Und Jaguar-Fahrer Helmut Thoma vom Kaufhof-Vorstand erhielt zum 60. Geburtstag Anfang des Monats ein amerikanisches Modell -- eine silberblaue »Harley-Davidson«
Private Festivitäten wie Thomas Jubelfeier in der Kölner Bungalow-Enklave Hahnwald (Ehrengast: der ehemalige SPD-Schatzmeister Alfred Nau) fördern den Branchen-Gleichklang ebenso wie familiäre Bande. So amtierte Quelle-Laschets Bruder Karl im Karstadt-Vorstand, Horten-Manager und Ex-Karstadt-Direktor Bernd Hebbering hat einen Bruder als Verkaufsförderer für Bademoden des Kaufhofs.
Einigkeit und Macht demonstriert der Freundeskreis vor allem bei der Abwehr seiner gefährlichsten Gegner, der SB-Warenhäuser und Großdiscounter wie Massa und Allkauf, Wertkauf und Suma. Die zumeist in den Randzonen von kaufkräftigen Großgemeinden angesiedelten Newcomer schafften in knapp zehn Jahren, wozu die Warenhauskonzerne -- so Seydaack -- »fast hundert Jahre gebraucht haben": einen Anteil am gesamten Einzelhandelsumsatz von über zehn Prozent.
Bald werden die mit Billigst-Preisen lockenden Eindringlinge -- das jedenfalls vermutet die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) -- die City-Herrscher abgehängt haben. Bis 1980, rechneten die GfK-Forscher den neuen Trend hoch, haben die neuen Konkurrenten schon 18 Prozent Marktanteil erobert.
Das Zuwachs-Potential der auf gehobenen Konsumbedarf ausgerichteten Traditions-Konzerne veranschlagt das Münchner Ifo-Institut dagegen allenfalls noch auf zwei Prozent.
Insgeheim haben sich die Warenhausbosse mit der neuen Konkurrenz denn auch abgefunden. Selbst Karstadt-Manager Deuss, dessen Ehefrau Karin ihren wöchentlichen Lebensmittelvorrat im Essener Verbrauchermarkt Interkauf deckt, gab zu: »Finanziell müssen die zwar am Hochreck turnen, aber sie haben ihren Markt.«