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AIRBUS Unerklärliche Hast

Die Deutschen im Toulouser Airbus-Betrieb klagen über Benachteiligung. Jetzt kommt ein neuer Spitzenmanager aus Deutschland. *
aus DER SPIEGEL 3/1986

Eigentlich wollten die Aufsichtsräte der europäischen Airbus Industrie auf ihrer nächsten Sitzung nur über ein Thema reden: den Bau eines Langstreckenflugzeuges, das die Airbus-Flotte komplettieren soll.

Doch dann kam ein weiterer Tagesordnungspunkt hinzu. Das von Hobbyflieger Franz Josef Strauß pilotierte Gremium muß am übernächsten Montag einen neuen Generaldirektor küren. Johann Schäffler, der dieses Amt erst im April vergangenen Jahres angetreten hatte, wechselt als Vorstandsvorsitzender zum Luft- und Raumfahrtunternehmen Dornier.

Die Wahl seines Nachfolgers wird nicht viel Zeit in Anspruch nehmen. Die Vorentscheidung ist bereits gefallen. Vergangenen Donnerstag kamen die Chefs der Airbus-Konsorten Aerospatiale (Frankreich), Deutsche Airbus, British Aerospace und Casa (Spanien) im Beisein von Strauß überein, den MBB-Manager Heribert Flosdorff als neuen Genereraldirektor vorzuschlagen. Erneut rückt damit ein Deutscher in die zweithöchste Position, die bei dem europäischen Flugzeugbau-Unternehmen zu vergeben ist.

Der 53jährige Flosdorff ist außerhalb der Flugzeugbau-Branche kaum bekannt. Der gelernte Ingenieur leitet seit 1975 den Geschäftsbereich Entwicklung der MBB-Werke in Hamburg-Finkenwerder. Er begann dort 1967 als Leiter des Projektbüros.

Den steilen Aufstieg in die Airbus-Spitze verdankt Flosdorff vor allem dem Hamburger MBB-Chef Hartmut Mehdorn, der ihn für die neue Aufgabe empfahl. Mehdorn, der selbst vier Jahre bei Airbus in Toulouse für die Produktion verantwortlich war, hält Flosdorff vor allem die intimen Kenntnisse des Airbus-Programms zugute.

Andere dagegen bezweifeln, daß die Talente des MBB-Ingenieurs für den Spitzenjob in Toulouse ausreichen. Denn da wird mehr verlangt als technisches Wissen: Der Generaldirektor des internationalen Konsortiums bewegt sich in einem sehr sensiblen Kräftefeld. Er soll die Interessen der deutschen Anteilseigner vertreten, ohne die Handlungsfähigkeit der Vier-Nationen-Firma zu gefährden. Das erfordert vor allem Durchsetzungsvermögen und diplomatisches Geschick.

Schon Vorgänger Johann Schäffler, dessen Qualifikation beim Wechsel nach Toulouse allgemein gerühmt wurde, erfüllte die in ihn gesetzten Hoffnungen nur zum Teil. Die Zusammenarbeit mit dem ebenfalls frisch bestallten Airbus-Präsidenten Jean Pierson lief schlecht.

Pierson, ein bulliger Franzose, der seine Sätze mit großen Gesten und gelegentlichen Faustschlägen auf die Tischplatte zu unterstreichen pflegt, baute sich innerhalb weniger Monate zum starken Mann von Airbus Industrie auf.

Anders als sein Vorgänger Lathiere, der den Kurs der Firma von Paris aus steuerte, ließ sich Pierson demonstrativ in Toulouse nieder. Und anders als Lathiere, der sich selbst nur um die große Linie sorgte und die Kleinarbeit seinem Vize Roger Beteille überließ, mischt sich Pierson auch in das tägliche Geschäft ein.

Tatkräftig schmiß der ehemalige Direktor der französischen Aerospatiale erst mal die interne Airbus-Organisation um. Er ließ sich selbst die Verkaufsabteilung unterstellen und gliederte andere Bereiche nach seinen Wünschen um.

»Mit für uns unerklärlicher Hast«, klagte ein Airbus-Manager, »wurden bestehende Strukturen zerstört« und Mitarbeiter »in bester Sklavenhandelsmanier ausgetauscht, befördert oder degradiert«.

Vor allem die in Toulouse dienenden Deutschen fühlen sich durch die Neuorganisation benachteiligt. So wurde etwa die Technik-Abteilung »laufende Programme« mit der »Flugerprobung« zusammengeworfen und dem Franzosen Bernhard Ziegler unterstellt. Der bisherige technische Direktor, der Deutsche Jean Roeder, ist seither nur noch für Zukunftsprojekte zuständig.

Auch der Kundendienst, den früher ein Deutscher leitete, wurde zu einer eigenen Direktion aufgewertet und einem Franzosen zugeschlagen.

Auf einer Belegschaftsversammlung beklagten sich die Deutschen bitter. Ein Sprecher bedauerte die »kompromißlose Alleinherrschaft« der Franzosen und die »ganz klare Tendenz, daß wir zielstrebig aus allen wichtigen Positionen herausgedrängt werden«.

Airbus-Präsident Pierson nutzt in Toulouse vor allem seinen Heimvorteil. Deutsche Experten sind, wenn überhaupt, nur unter Mühen zu einem Umzug nach Frankreich zu bewegen. Pierson dagegen kann leicht Experten von der französischen Firma Aerospatiale abwerben; sie liegt in Toulouse direkt neben dem Airbus-Werksgelände.

Die in Toulouse beschäftigten deutschen Airbus-Leute haben nicht die Illusion, daß der neue Generaldirektor die Kräfteverhältnisse bei Airbus von heute auf morgen ändern kann. Aber sie haben die Hoffnung, daß der neue Mann die Interessen der Deutschen, die immerhin wie die Franzosen 37,6 Prozent der Airbus-Anteile halten, besser wahrnimmt, als das bisher geschah.

Flosdorff will erst einmal abwarten. Er wisse zwar, daß die Machtbalance in Toulouse nicht stimme. Aber, so der neue Mann über seine neue Aufgabe, er lasse sich »von niemandem unbesehen einen Rucksack aufbinden«.

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