Unerwartete Steuerschuld Gefährliche Erbschaft aus Liechtenstein
Hamburg - Es war eine Überraschung der ganz besonderen Art, die Thomas P. mit einem harmlos aussehenden Brief ins Haus flatterte. Der Ingenieur hatte vor kurzem geerbt - und ging davon aus, dass er nach dem Tod seines Vaters ein Haus im Rheinland und mehr Geld besaß. Nicht wenig, aber auch keine Millionen.
Auf jeden Fall aber viel zu wenig, um die Rechnung zu zahlen, die ihm das Finanzamt geschickt hatte. Freundlich im Ton, aber hart in der Sache forderten ihn die Steuerexperten auf, eine Nachzahlung in Höhe von mehreren Millionen Euro zu übernehmen, die der Vater nicht mehr beglichen hatte.
Der nämlich, ein erfolgreicher Modehändler, war Kunde des berühmt-berüchtigten Treuhänders Herbert Batliner. Dieser verwaltete mehrere tausend Stiftungen in Liechtenstein - bis Ende der neunziger Jahre nach Enthüllungen des SPIEGEL Hunderte deutsche Anleger mit ihren Schwarzgeldkonten durch Datensätze einer CD-Rom aufflogen, die der Staatsanwaltschaft Bochum anonym zugespielt worden war. Darunter auch die Daten von Max P. - dem Vater.
"Mein Vater hat immer geleugnet, dass er dort eine Stiftung und Konten besaß", sagt Thomas P. - der seit Jahren ein angespanntes Verhältnis zu seinem Vater hatte. Altersbedingt sei dieser - im Gegensatz zu anderen Batliner-Kunden - von der Staatsanwaltschaft nicht in Untersuchungshaft genommen worden. "Als mein Vater starb, hatte ich keine Ahnung, dass an den Vorwürfen der Steuerfahnder etwas dran ist - bis die Zahlungsaufforderung kam."
Welche Konten und wie viel Geld - keine Auskunft
Denn allen Beteuerungen zum Trotz verfügte der Vater über eine Familienstiftung in Liechtenstein mit mehreren Millionen Euro - so viel hat der Sohn inzwischen mit Hilfe der Kontendaten, die ihm die Steuerfahndung zur Verfügung stellte, herausgekriegt. Bei weiteren Nachforschungen aber stieß er schnell an Grenzen: Seine Versuche, mit den Vermögensverwaltern und den Banken in Liechtenstein ins Gespräch zu kommen, waren erfolglos.
"Da haben zwar Treffen stattgefunden, aber die waren sinnlos", sagt Lothar Pues, der Steuerberater und Anwalt von Thomas P. "Mit Verweis auf das Bankgeheimnis und die hohen professionellen Standards haben die Vermögensverwalter jede Auskunft abgelehnt." Welche Konten und wie viel Geld in der Stiftung angelegt sind - keine Auskunft. Wem das Geld zugute kommt - keine Auskunft.
"Inzwischen weiß mein Mandant, dass die Nutznießer der Stiftung Geschäftsfreunde und deren Kinder sind", sagt Pues. Dass Thomas P. selbst nicht zu den Begünstigten gehört, erstaunte ihn selbst nicht weiter - denn das Verhältnis zum Vater war zerrüttet, seit der Sohn beruflich seinen eigenen Weg eingeschlagen hatte. Und nicht dem Wunsch des Vaters folgte, ebenfalls Kaufmann zu werden. "Dass ich aber auf der einen Seite die Steuerschulden meines Vaters erbe, aber keine Möglichkeit habe, an das Geld der Stiftung heranzukommen, das ist schon absurd", sagt Thomas P.
Dabei ist sein Fall nicht ungewöhnlich. Denn tatsächlich kommt es immer wieder vor, dass Menschen aus ganz unterschiedlichen Gründen diskrete Überweisungen vornehmen, von der die Nachwelt nichts erfahren soll. "Das betrifft zum Beispiel Zuwendungen an nicht-eheliche Kinder oder Zuwendungen eines Unternehmers, mit denen er sich bei engen Weggefährten dankbar und erkenntlich zeigen möchte. Ein Motiv kann auch eine Schenkung an die Geliebte sein", heißt es dazu in einem aktuellen Aufsatz der "Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge".
"Die Steuersünde des Vaters wird zur Schuld des Sohnes"
Es ist die Anonymität, die dafür sorgt, dass die Stiftungen in Liechtenstein auch zur Steuerhinterziehung genutzt werden. Und genau diese Anonymität hat es Thomas P. so schwer gemacht, Klarheit zu bekommen. "Dass diese auch dazu genutzt wird, ungeliebte Familienangehörige um ihren Anspruch auf ein Pflichtteil beim Erben zu bringen, wird momentan aber noch gar nicht diskutiert", kritisiert Steuerberater Pues. "Weil die Stiftungen für den Erben anonym blieben, bleibt ein Teil des Erbes für den Erben quasi unauffindbar." Damit würde nicht nur der Staat, sondern auch der Erbe betrogen.
Pues schätzt, dass sich unter den fast 900 Namen, die sich auf der DVD des Liechtensteiner Informanten befinden, mindestens 50 ähnliche Fälle finden werden. "Die Stiftungen werden ja von zumeist älteren Kunden eingerichtet, da sind Erbfälle wahrscheinlich."
Eine Einschätzung, die nicht alle Experten teilen. Der Fall von Thomas P. sei eine Konstellation, die technisch durchaus möglich ist. "Sie ist aber nicht unbedingt der Regelfall", sagt Mark Pawlytta, Rechtsanwalt bei der Frankfurter Kanzlei Shearman & Sterling.
Die Forderung des Finanzamtes hält er für rechtens. Sie muss zunächst bezahlt werden, egal ob Thomas P. das Geld hat oder nicht. "Die Steuersünde des Vaters wird zur Schuld des Sohns, das ist der normale Erbrechtsmechanismus", sagt Pawlytta. Mit der Annahme des Erbes übernehme man die Verbindlichkeiten - egal, ob sie gegenüber dem Finanzamt oder anderen Gläubigern bestehen. "An diesem Punkt wird sich nichts ändern, das ist das normale Risiko - auch wenn es in manchen Fällen besonders tragisch ist."
Einziger Trost: Keine automatische Verurteilung
Im Regelfall hat ein Erbe sechs Wochen Zeit, um zu entscheiden, ob er das Erbe antritt oder nicht. "Das ist nicht viel, wenn man wie im Falle von Thomas P. keinen Überblick hat, welche Vermögen wo vorhanden sind", sagt Steuerberater Pues. Wer erst Monate später erkennt, dass er sich mehr Schulden als Gewinne aufgehalst hat, kann meistens nicht mehr viel daran ändern. Nur in Einzelfällen gelingt es, eine Erbschaftsannahme noch erfolgreich anzufechten. "Wenn man glaubhaft nachweisen kann, dass man einem absoluten Irrtum erlegen ist, was das Ausmaß oder den Umfang des Erbes angeht, dann kann man in Einzelfällen die Annahme der Erbschaft anfechten und das Erbe rückwirkend ablehnen", sagt Anwalt Pawlytta.
Der einzige Trost für Menschen wie Thomas P.: Nicht automatisch erfolgt auch eine strafrechtliche Verurteilung wegen Steuerhinterziehung. Die Staatsanwaltschaft müsse in einem Strafprozess erstmal nachweisen, dass der Erbe doch über das Vermögen in Liechtenstein Bescheid wusste, und auch die Forderungen des Finanzamts kannte und gegen eigene Erklärungspflichten bewusst verstoßen hat, sagt Pawlytta. "Nur dann ist er auch strafrechtlich zu belangen."
Auch Liechtenstein zeigt sich in Einzelfällen kooperativer als allgemein angenommen. Etwa, wenn der Erbe mit dem deutschen Teil seines Erbes weniger als den ihm zustehenden Pflichtteil bekommen hat. "Diese sogenannten Pflichtergänzungsansprüche können im Einzelfall vor Liechtensteiner Gerichten eingeklagt werden, wenn auch die Erfolgsaussichten eher gering sind", sagt Pawlytta.
Im Fall von Thomas P. hat schließlich eine Neubewertung durch das nordrhein-westfälische Finanzministerium geholfen: Statt der Steuerschuld von mehreren Millionen Euro blieben nur Schulden im oberen sechsstelligen Bereich.
Von seinem Erbe ist damit nicht mehr viel übrig.