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HANDEL Unfeine Attacken

Die Ablösung von Karstadt-Chef Walter Deuss ist keinesfalls sicher. Im Aufsichtsrat regt sich Widerstand.
aus DER SPIEGEL 12/1997

Beim letzten Treffen Anfang Februar schien alles in bester Ordnung. Rund zweieinhalb Stunden lang hatte sich der 20köpfige Karstadt-Aufsichtsrat im jüngst zum »Erlebniskaufhaus« aufgemöbelten Berliner KaDeWe über die neue Konzernstrategie aufklären lassen.

Alles sei »wirklich sehr überzeugend«, gab sich Chefaufseher Guido Sandler nach einem Rundgang durch den glitzernden, beispielhaften Konsumtempel zufrieden. »Bei der zügigen Umsetzung der Pläne auch in den anderen Häusern«, so Sandler im Anschluß an die Erläuterungen von Karstadt-Chef Walter Deuss, »wünschen wir dem Vorstand eine glückliche Hand.«

Offenbar verfügt Sandler, entsandt von der Hertie-Stiftung - die 30 Prozent der Karstadt-Aktien hält - über einiges schauspielerisches Talent. Denn trotz der salbungsvollen Worte hatte er zu dem Zeitpunkt bereits mit den Vertretern der anderen Hauptaktionäre Deutsche Bank und Commerzbank (je 10 Prozent) darüber beraten, wie Deuss zu stürzen wäre.

Daß der Karstadt-Chef nicht mehr gewünscht ist, hat ihm bis heute keiner der Aufseher mitgeteilt, jedenfalls nicht persönlich. Statt dessen wurde, sonst nicht gerade Stil der Frankfurter Banker, über die Presse lanciert, Karstadt werde für das vergangene Jahr einen Verlust von 300 Millionen Mark ausweisen. Der Kaufhauskonzern (Umsatz 1996: rund 27 Milliarden Mark) müsse jetzt schnell restrukturiert werden, statt der geplanten 18 sollten bis zu 50 der noch 242 Filialen dichtgemacht werden. Dazu sei ein neuer Mann an der Spitze erforderlich.

Doch der Plan, den eigenwilligen Konzernlenker in einer außerordentlichen Aufsichtsratssitzung am kommenden Samstag im Frankfurter Airport Club zu entmachten, droht zu scheitern. Deuss, seit 1967 im Karstadt-Vorstand, kündigte intern an, er werde den Chefsessel nicht freiwillig räumen. Die Arbeitnehmerseite im paritätisch besetzten Aufsichtsrat will geschlossen für ihn stimmen. Sie kann die Abwahl von Deuss und die Bestellung eines Nachfolgers zwei Monate lang blockieren.

Sandler und seine Verbündeten, allen voran Deutsche-Bank-Vorstand Ulrich Cartellieri und Commerzbank-Chef Martin Kohlhausen, haben offenbar nicht mit solchem Widerstand gerechnet. Noch am vergangenen Donnerstag versuchte der Aufsichtsratschef, die Arbeitnehmervertreter bei einem eiligen Treffen in Hannover auf seine Seite zu ziehen, ohne Erfolg.

Die Aktionärsvertreter sitzen in der Zwickmühle: Schießen sie Deuss ab, riskieren sie eine öffentliche Schlammschlacht und heftigen Streit mit der Belegschaft. Geben sie nach, verlieren sie nicht nur ihr Gesicht, sondern auch viel Geld: Der Karstadt-Aktie, gepuscht durch den angeblich bevorstehenden Machtwechsel (wirtschaftswoche: »Geht Deuss noch im März?"), droht ein massiver Kurssturz.

Deuss ist kein Liebling der Analysten. Die werfen ihm vor, sich wenig um die Rendite der Aktionäre zu kümmern. Als im Februar öffentlich über den Abgang von Deuss spekuliert wurde, stieg die Aktie auf über 600 Mark.

»Die Diskussion um Deuss bringt Phantasie in den Karstadt-Wert«, sagt Jörg Christians, Einzelhandelsanalyst beim Privatbankhaus Trinkhaus & Burkhardt. Er empfiehlt Spekulanten bis 640 Mark dabeizubleiben. Im letzten capital-Ranking der deutschen Top-100-Börsenwerte findet sich Karstadt ganz hinten wieder. Die Empfehlung der Tester (damals kostete das Papier 496 Mark): »Verkaufen«.

Die Diskussion um Karstadt und seinen Chef trifft das Unternehmen zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Die allgemeine Konsumflaute macht dem Konzern ebenso zu schaffen wie die noch nicht verdaute Übernahme von Hertie vor gut drei Jahren. Vorsichtig gerechnet hat die Eingliederung der maroden Kette bislang weit über hundert Millionen Mark gekostet, dafür wurden Investitionen in den eigenen Häusern gestreckt.

Doch mit der Hertie-Fusion, so ließen sich die Hauptaktionäre bisher vernehmen, war Deuss voll im Plan. Erst im vergangenen Jahr hatten sie seinen Vorstandsvertrag um weitere fünf Jahre verlängert. Und am 30. April sollte Deuss die neuen Unternehmensleitlinien - auf der Februar-Sitzung in Berlin vom Aufsichtsrat abgenickt - rund 500 leitenden Karstadt-Angestellten in den Düsseldorfer Messehallen verkünden.

Statt Aufbruchstimmung herrscht im Karstadt-Management nun gespanntes Mißtrauen. Wichtige Entscheidungen werden seit Wochen hinausgezögert, keiner will einen Fehler machen, das Direktionskasino ist meist verwaist. Niemand will mit den falschen Leuten gesehen werden.

Die meisten der sieben Vorstände stehen zu Deuss, mit zwei Ausnahmen: Klaus Eierhoff, Ex-Bertelsmann-Controller, und Wolfgang Momberger, Schwiegersohn des Hoteliers Steigenberger. Beide sind in der Essener Konzernzentrale als Technokraten verschrien, beide wurden von Cartellieri ins Unternehmen geholt.

Auch hinter den unfeinen Attacken Sandlers sehen Branchenkenner den Deutsch-Banker als Drahtzieher. Deuss, so die Vermutung, sollte durch die gezielten Indiskretionen soweit gebracht werden, von sich aus zu gehen. Schon seit Monaten, so berichten Aufsichtsratsmitglieder, sei das persönliche Verhältnis zwischen Cartellieri und Deuss »deutlich angespannt«.

Dabei ist gerade Cartellieri für die Probleme bei Karstadt maßgeblich verantwortlich. Dem Hertie-Kauf hat er als damaliger Aufsichtsratsvorsitzender zugestimmt, als Antwort auf einen gelungenen Deal der Konkurrenz. Doch während der zur Metro gehörende Kaufhof sich mit Horten und seinem Galeria-Konzept ein modernes Unternehmen einverleibt hatte, entpuppte sich Hertie als millionenschwerer Sanierungsfall.

Auch an der ungewöhnlichen Gesellschafter-Konstruktion hat Cartellieri mitgestrickt. Die Hertie-Stiftung hatte ihr Aktienpaket als Teil des Kaufpreises bekommen. Einige Kaufhäuser allerdings haben die Ex-Eigentümer behalten und sie an Karstadt verpachtet. Geht es um die Miethöhe oder fällige Umbauten, etwa bei der längst nötigen Sanierung des Hamburger Alsterhauses, muß Hertie-Vertreter Sandler schon mal zwei Interessen bedenken.

Bei der geplanten Ablösung von Deuss durch den Technokraten Eierhoff allerdings glaubt Sandler im Interesse aller Aktionäre zu handeln. Eierhoff sei, trotz mangelnder Handelserfahrung, als »ein sehr zupackender, konzentrierter Manager« der ideale Mann für die Karstadt-Spitze.

Tatsächlich ist der für die Logistik zuständige Vorstand bislang besonders durch sein Projekt eines virtuellen Kaufhauses aufgefallen. Die Idee einer bunten Shopping-Meile im Computer ist hübsch, aber bislang zumindest finanziell ein Flop: Pro Tag klicken sich zwar mehrere tausend Besucher ein, die Umsätze aber bewegen sich nahe Null.

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Karstadt: Umsatz und Aktienkurs

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