Maschinen von Air Berlin in Stuttgart
Foto: Christoph Schmidt/ dpaDie insolvente Fluglinie Air Berlin wird voraussichtlich zu großen Teilen an die Lufthansa verkauft, über die restlichen Bestandteile verhandeln die Gläubiger mit zwei weiteren Bietern. Nach SPIEGEL-Informationen sind es die Billigfluglinie Easyjet sowie ein Interessentenbündnis aus dem Ferienflieger Condor und Ex-Rennfahrer Niki Lauda. Die Iberia-Mutter IAG ist dagegen aus dem Rennen. Auch mit dem Unternehmer Rudolf Wöhrl und dem früheren EnBW-Chef Utz Claassen wird es keine weiteren Gespräche geben.
Am Donnerstag hatten die drei Gläubigerausschüsse des Air-Berlin-Dachkonzerns, der deutschen Gesellschaft und der Techniksparte über die vorliegenden Angebote beraten. Die Verhandlungen sollen noch bis zum 12. Oktober dauern. Air Berlin teilte am Abend mit, man strebe einen raschen Abschluss an. Details zu den verbliebenen Interessenten nannte das Unternehmen nicht.
Die seit Jahren defizitäre Air Berlin hatte Mitte August Insolvenz angemeldet. Bis Freitag waren mindestens sechs Angebote für die komplette Fluggesellschaft oder Teile davon eingegangen. Der Ferienflieger Niki zählte dabei zu den begehrtesten Teilen der Air Berlin. An den Langstrecken hatten die Bieter dagegen kaum Interesse.
Lufthansa-Vorstandschef Carsten Spohr hatte bereits am Mittwochabend angekündigt, der Konzern wolle die 38 bereits angemieteten Mittelstrecken-Maschinen und 20 bis 40 weitere Flugzeuge von Air Berlin kaufen. Käme es so, würde Lufthansa etwa die Hälfte der Flotte übernehmen. Air Berlin hat insgesamt mehr als 8000 Beschäftigte und 144 Flugzeuge.
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Air Berlin am Boden: Am 15. August hat die Fluggesellschaft Insolvenz angemeldet. Nachdem Großaktionär Etihad eine Kreditrate nicht auszahlte, sah das Management keine Perspektive für eine normale Fortführung der Geschäfte.
1978 begann alles hoffnungsvoll: US-Pilot Kim Lundgren (links, mit Sohn Shane) gründet Air Berlin 1978 in den USA als Charterfluggesellschaft. Hintergrund: Damals dürfen nur Flugzeuge der Siegermächte Berlin anfliegen.
Der erste Heimatflughafen von Air Berlin heißt folglich nicht Berlin, sondern Miami. Von dort gibt es mitunter auch Direktflüge in die geteilte Stadt.
Berlin steht faktisch aber im Mittelpunkt des wachsenden Netzes von Air Berlin. Der erste Flug geht nach Mallorca. Bald entwickeln sich Ziele im Mittelmeerraum zum Markenzeichen von Air Berlin.
Nach der Wiedervereinigung ist der Weg frei für den Wechsel des Firmensitzes in die künftige Hauptstadt. Der spätere Vorstandsvorsitzende Joachim Hunold übernimmt die US-Gesellschaft.
Rollfeld des Flughafens von Palma de Mallorca: Air Berlin startet auch im lukrativen Touristenfliegergeschäft durch.
Air Berlin bekommt immer größeren Hunger auf Wachstum. Im Jahr 2004 erwirbt die Airline 24 Prozent an der österreichischen Linie Niki des früheren Rennsportlers Niki Lauda. Später erhöht Air Berlin den Anteil.
Die Expansion kostet Geld. Geld, das sich die Eigentümer an der Börse holen wollen. Im zweiten Anlauf gelingt der Sprung aufs Parkett - seit dem 11. Mai 2006 sind Anteile von Air Berlin frei handelbar.
Treibende Kraft hinter dem Wachstumswillen bleibt Vorstandschef Hunold, der noch heute im Verwaltungsrat von Air Berlin sitzt.
Hunold unternimmt zahlreiche weitere Übernahmeversuche. So schluckt Air Berlin noch 2006 Wettbewerber dba. Ein Jahr später ist die deutsche Traditionsgesellschaft LTU dran. An der Schweizer Fluggesellschaft Belair erwirbt Air Berlin im selben Jahr 49 Prozent der Anteile.
Hunold hat einen Lauf - seine Fluggesellschaft verbucht in dieser Zeit sogar Gewinne, was in der Geschichte von Air Berlin Seltenheitswert haben sollte. 2006 bleiben 40 Millionen, 2007 27 Millionen Euro übrig. Danach geht es abwärts.
Immer wieder scheitern auch geplante Akquisitionen. Die geplante Übernahme von Condor kommt nicht zustande, weil die aufziehende Finanzkrise 2008 den Markt schwächt.
Hunold holt manchen alten Weggefährten mit an Bord, um der Krise Herr zu werden - so Ex-Bahnchef Hartmut Mehdorn, der 2009 in den Aufsichtsrat einzieht und zwei Jahre später Übergangschef und Hunold-Nachfolger wird.
Den Kursverfall der Air-Berlin-Aktie nutzt die türkische Holding ESAS der Sabanci Holding (im Bild: Vorstand Guler Sabanci) und erwirbt 15,3 Prozent der Anteile.
Ende 2011 steigt schließlich die arabische Gesellschaft Etihad im großen Stil bei Air Berlin ein, kauft einen 29,21-Prozent-Anteil und wird größter Eigner. Etihads Ziel: über das Air-Berlin-Streckennetz auf dem europäischen Flugmarkt Fuß zu fassen.
Unter den neuen Machtverhältnissen steigt Wolfgang Prock-Schauer zum Chef auf und löst Mehdorn ab. Doch steckt die Gesellschaft schon mitten in einer großen Krise. Hunderte Arbeitsplätze werden abgebaut, die Mitarbeiter sollen auf fünf Prozent ihres Gehalts verzichten.
Hinzu kommt, dass ihr geplantes Drehkreuz, der Flughafen Berlin-Brandenburg, wegen Bauplanungsmängeln nicht eröffnet werden kann.
Etihad lässt sich derweil nicht von der Schwäche von Air Berlin beeindrucken. Die Tochter soll näher an andere Beteiligungen wie Alitalia heranrücken, wird zum Puzzleteil in der Strategie der Araber.
Der nächste Chef: Ab Februar 2015 soll Stefan Pichler Air Berlin für seinen arabischen Großaktionär endgültig wieder auf Linie bringen. Doch es geht immer weiter abwärts: 2014 verbucht seine Airline einen Verlust von 377 Millionen Euro - bis dato Rekord. Sein Sparprogramm begründet er gegenüber seinen Leuten knapp: "Wir haben nur noch einen Schuss frei."
Den "letzten Schuss" setzte Pichler in Form einer Rettungsstrategie. Ein Bestandteil: mehr Langstreckenflüge in die USA.
Das Streckennetz in Europa sollte dagegen etwas schrumpfen. Immerhin gab es im Sommergeschäft 2015 schwarze Zahlen für Pichler.
Zentraler Bestandteil für die Zukunftspläne bleibt danach allerdings der starke Partner Etihad. Doch ob er an Bord bleibt, erscheint zunehmend fraglich. Immerhin dürfen die Araber weiter gemeinsame Flüge mit Air Berlin unter einer Codenummer anbieten. Dennoch bleibt bis Anfang 2017 unterm Strich eine Milliarde Euro, die die Araber erfolglos in Air Berlin gesteckt haben.
Im Herbst 2016 stehen die Zeichen bereits auf Zerschlagung. Gespräche mit Lufthansa über einen Verkauf von Geschäftsteilen beginnen. Die Kranich-Airline will 38 Flugzeuge von Air Berlin zumindest zeitweise übernehmen.
Die Zerschlagung könnte auch Folgen haben für den Ferienflieger TuiFly. Dieser kooperiert bisher mit der Air-Berlin-Tochter Niki. Diese könnten zu einer eigenständigen Ferien-Airline zusammengelegt werden.
Der Einfluss der Lufthansa auf Air Berlin wächst bereits im Dezember 2016 massiv, der von Etihad sinkt. An der Unternehmensspitze ersetzt Thomas Winkelmann den glücklosen Stefan Pichler. Zuvor hatte Winkelmann bei der Lufthansa die Tochter Eurowings neu aufgestellt.
Bei Air Berlin gehen die Lichter aus: Am 27.10. startet der letzte reguläre Flug in München und nimmt Kurs auf Berlin. Die Lufthansa wird sich einen Großteil des Maschinenparks einverleiben, Tausende Mitarbeiter bangen um ihre Jobs.
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