Aktien, Anleihen, Immobilien Die Billionen-Blase

Börsenhändler in New York: Die Investoren sind süchtig nach billigem Geld
Foto: AP/dpaHamburg - Wie wenig die reale Wirtschaft derzeit zählt, lässt sich fast täglich am Aktienindex Dax beobachten. Gibt es gute Nachrichten, wie in dieser Woche von der US-Konjunktur, stoßen die Anleger ihre Aktien verschreckt ab. Dann warten sie in Angststarre darauf, dass irgendein Manager irgendeiner Notenbank billiges Geld verspricht - und die Kurse endlich weiter steigen.
Die Investoren sind süchtig. Und nur die Notenbanken können ihnen das geben, was sie brauchen. Unternehmenszahlen, Konjunkturdaten - all das interessiert die Märkte derzeit höchstens am Rande. Im Kern geht es nur noch darum, wie lange die ultralockere Zinspolitik anhält. Fragt man die Anleger, sollte sie am liebsten ewig dauern.
Seit mittlerweile vier Jahren halten die großen Notenbanken rund um die Welt den Preis des Geldes extrem niedrig. In den USA und in Japan liegt der jeweilige Leitzins faktisch bei null Prozent. In der Euro-Zone hat ihn die Europäische Notenbank (EZB) kürzlich auf 0,5 Prozent gesenkt. Hinzu kommen diverse Programme zum Aufkauf von Anleihen, die die tatsächlichen Zinsen an den Märkten noch weiter drücken sollen. So billig war Geld noch nie.
Normalerweise muss eine solche Politik irgendwann zu Inflation führen, weil billige Kredite und die Aufkaufprogramme der Notenbanken die Geldmenge erhöhen. Der Wert des Geldes sinkt dabei.
Doch bisher ist davon nichts zu sehen - zumindest nicht dort, wo alle hinschauen, bei den Verbraucherpreisen. Lebensmittel, Kühlschränke, Computer - all diese Waren, anhand denen offizielle Inflation gemessen wird, verteuern sich höchstens langsam. Also kein Grund zur Sorge?
Doch, sagen Experten wie Hanno Beck, Wirtschaftsprofessor an der Hochschule Pforzheim. "Die offizielle Inflationsmessung umfasst einen Waren- und Güterkorb, aber nicht die Vermögenspreise. Schaut man auf die Entwicklung von Aktien oder Immobilien, weiß man, wo das ganze Geld hinfließt."
Dabei geht es um Billionen von Euro und Dollar, die in den vergangenen Jahren in die Finanzmärkte geflossen sind.
- Beispiel Aktien: Der Deutsche Aktienindex Dax stellte zuletzt fast im Wochenrhythmus Rekorde auf. Seit Anfang 2012 ist er um satte 2500 Punkte gestiegen - ein Plus von rund 44 Prozent. Seit seinem Tiefststand Anfang 2009 - zufällig auch der Beginn der Niedrigzinspolitik - hat er sich sogar mehr als verdoppelt. Ähnlich sieht es in den USA beim Dow Jones aus: Er legte in den vergangenen vier Jahren sogar mehr als 130 Prozent zu.
- Beispiel Anleihen: Deutsche Großkonzerne können sich derzeit so leicht frisches Geld besorgen wie nie zuvor. Dafür müssen sie nicht mal einen Kredit bei der Bank beantragen, sie können auch einfach Anleihen ausgeben. Die Schuldscheine werden ihnen förmlich aus der Hand gerissen. Nicht einmal mehr zwei Prozent Zinsen müssen Unternehmen mit Top-Bonität derzeit zahlen.
- Beispiel Immobilien: Laut dem Index IMX des Immobilienportals Immobilienscout24 sind die Preise für Bestandswohnungen in Deutschland in den vergangenen drei Jahren um rund 18 Prozent gestiegen. In Metropolen wie Berlin oder Hamburg waren es sogar 34 Prozent (siehe Grafiken).

Aktien, Anleihen, Immobilien:: Wo Spekulationsblasen drohen
Experten sehen die Vermögenspreisentwicklung mit Sorge. "Wir gehen gerade durch einen herdengetriebenen Boom, der in keiner Weise durch makroökonomische Daten gedeckt ist", sagt Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI). "Die hohen Aktienkurse sind mit realwirtschaftlichen Entwicklungen nicht mehr zu begründen." Vielmehr seien es die Inflationserwartungen der Investoren und die ultralockere Geldpolitik der Notenbanken, die die Anleger in den Aktienmarkt trieben.
Das lässt sich sogar wissenschaftlich belegen. Die Ökonomen Harald Hau vom Swiss Finance Institute und Sandy Lai von der Universität Hongkong haben den Zusammenhang von Marktzinsen und Investorenverhalten in acht Euro-Staaten untersucht. In ihrer noch unveröffentlichten Studie kommen sie zu einem eindeutigen Schluss: "Eine lockere Geldpolitik scheint die Risiko-Aversion der Investoren zu verringern und dazu beizutragen, dass die Investoren mehr Risiken in Form von Aktieninvestments eingehen." Eine Vermögenspreisinflation sei die Folge.
"Das wird hässlich"
Nicht nur bei Aktien oder Unternehmensanleihen spielen die Kurse verrückt. Selbst bei den Staatsanleihen der europäischen Krisenländer hat sich die Stimmung gedreht. Mussten Staaten wie Italien oder Spanien den Anlegern noch vor wenigen Monaten hohe Zinsen von mehr als sechs beziehungsweise sieben Prozent bieten, sind die Renditen mittlerweile auf rund vier Prozent gesunken. Damit sind sie für viele Investoren offenbar immer noch sehr attraktiv.
Angeblich schlugen zum Beispiel Hedgefonds zuletzt verstärkt zu - aber auch für viele Finanzinstitute lohnt sich das Geschäft mit den Krisenanleihen. "Die Banken verfolgen bei niedrigen Zinsen riskantere Strategien", sagt der Genfer Professor Hau. "Sie leihen sich billiges Geld von der EZB und kaufen damit Staatsanleihen - obwohl die nach allen Erfahrungen der Euro-Krise bei manchen Staaten als riskante Investments gesehen werden müssen."
Gerade für die südeuropäischen Krisenländer sind die niedrigen Zinsen deshalb überlebenswichtig. Doch auch die Investoren fürchten den Moment, an dem die Notenbanken ihren Kurs wieder ändern.
Die EZB zum Beispiel muss laut ihrem Auftrag vor allem auf Preisstabilität achten. Zieht die Konjunktur wieder an und die Inflation steigt deutlich über zwei Prozent, müsste die Notenbank die Zinsen wieder anheben. Experten bezweifeln allerdings, dass sie das überhaupt kann, ohne dabei erhebliche Kollateralschäden zu verursachen. HWWI-Direktor Straubhaar sieht im Fall schnell steigender Zinsen "gigantische Abschreibungen" auf die Anleihegläubiger zukommen. Auch bei Aktien sei mit "dramatischen Kursverlusten" zu rechnen, warnt der Hamburger Professor.
Auch sein Kollege Beck ist skeptisch. "Ich habe keine Ahnung, wie die Notenbanken aus dieser Situation rauskommen wollen", sagt der Pforzheimer Ökonom. "Sobald sie auf eine restriktivere Geldpolitik umschwenken, müssen sie fürchten, dass ihnen die Märkte für Vermögensgüter zusammenbrechen."
Wie so etwas aussehen kann, haben zum Beispiel die geplatzten Immobilienblasen in den USA, Spanien oder Irland gezeigt. Der krasse Absturz nach dem überzogenen Boom brachte in diesen Fällen ganze Finanzsysteme ins Wanken.
So schlimm muss es diesmal nicht ausgehen. Doch sicher sein kann sich da niemand. Beck jedenfalls glaubt nicht an eine sanfte Landung. Seine Prognose: "Das wird hässlich."