Neue Arbeitsverträge Mitarbeiter befürchten Tarifausstieg von Aldi Nord

Für sehr viel Arbeit wenigstens einen guten Lohn - daran haben sich Mitarbeiter von Aldi Nord lange Zeit festgehalten. Doch der Discounter stellt die Weichen für einen möglichen Tarifausstieg.
Aldi-Filiale in Lichterfelde

Aldi-Filiale in Lichterfelde

Foto: imago/Priller&Maug

So hart Mitarbeiter von Aldi Nord auch arbeiten müssen, der Discounter bezahlt sie dafür überdurchschnittlich gut. Mit Zulagen stockt der Konzern das zugesicherte Tarifgehalt auf: hoher Lohn für hohe Leistung. Doch dieses Prinzip könnte kippen, befürchten nun Betriebsräte des Discounters. Denn in neuen Arbeitsverträgen, die dem SPIEGEL vorliegen, hat der Konzern die Option eines Tarifausstiegs explizit eingebaut. Nun zweifeln Aldi-Beschäftigte, ob der Tarifvertrag sie noch lange schützt.

Kritische Betriebsräte und Beschäftigte sorgen sich, dass Aldi Nord den Tarifvertrag mit der Gewerkschaft Ver.di verlassen könnte, an den der Konzern über seine Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband HDE bislang gebunden ist. Damit würde der Discounter anderen Unternehmen im Lebensmitteleinzelhandel folgen, wie der Metro-Tochter Real. Stetig schwindet die Zahl der Unternehmen in der Branche, die sich an die Ver.di-Tarifverträge halten.

"Ich sehe die riesige Gefahr, dass Aldi Nord einen Tarifausstieg plant ", sagt Uli Kring, Betriebsratschef der Aldi-Gesellschaft Bad Laasphe. Hintergrund der Sorge sind neue Arbeitsverträge und Betriebsvereinbarungen, zu denen der Konzern seine rund 36.000 Mitarbeiter in den 32 Aldi-Gesellschaften drängt.

In den Verträgen sind kritische Passagen eingebaut, mit denen der Konzern die Tarifbindung aufheben und die Personalkosten so senken kann. Stand bislang im Arbeitsvertrag, der jeweilige Tarifvertrag werde angewendet, enthalten neue Verträge den Zusatz, dies gelte "nur solange der Arbeitgeber tarifgebunden ist".

Dass sich Aldi im Fall eines Tarifausstiegs weiter wie bisher den Tarifsteigerungen anpasst, schließt der Konzern einige Absätze später in den Verträgen aus. Dort heißt es, dass "im Falle einer Beendigung der Tarifbindung des Arbeitgebers" die dann "bestehende Vergütungshöhe weitergilt." Die Höhe von Löhnen, Gehältern, Zuschlägen sowie die Urlaubzeit und das Urlaubs- wie Weihnachtsgeld würden also eingefroren.

Seien die neuen Verträge erst unterschrieben, warnt Kring, könne Aldi mit Hilfe willfähriger, kleinerer Gewerkschaften einen Haustarifvertrag einführen und die Konditionen für Mitarbeiter dann erheblich verschlechtern. Auf diese Weise ließen sich die Personalkosten deutlich senken. "In den neuen Arbeitsverträgen wird bereits im ersten Absatz die Option eines Haustarifvertrags erwähnt", sagt Heike Tückmantel, Betriebsrätin in der Aldi-Gesellschaft Schwelm bei Wuppertal. Das mache sie argwöhnisch.

Angeblich herrschen Mobbing und Schikane

Diesen Argwohn hat Aldi Nord offenbar durch Druck geschürt. In mehreren Gesellschaften wehren sich noch immer Betriebsräte und Mitarbeiter vehement gegen die neuen Arbeitsverträge und Betriebsvereinbarungen, die Aldi Nord 2014 vorgelegt hat. Sie warnen vor schlechteren Konditionen. Aldi beantworte das mit Mobbing und Schikane, weil sie nicht einlenken, kritisieren etliche Beschäftigte .

Der Großteil der Mitarbeiter hat die neuen Verträge bereits unterzeichnet, angelockt auch von Versprechungen des Konzerns wie elektronischer Arbeitszeiterfassung. Doch die Widerständler wollen nicht aufgeben. Sie sehen sich durch die neuen Arbeitsverträge in eine Situation gedrängt, durch die Aldi sie nach Gutdünken so flexibel einsetzen kann wie nie zuvor.

Aldi Nord weist die Anschuldigungen zurück und betont, aus Konzernsicht seien die neuen Verträge und Vereinbarungen besser als die bisherigen. Keinem Mitarbeiter werde ein neuer Arbeitsvertrag aufgezwungen.

Das Unternehmen bleibe zudem tarifgebunden, erklärt ein Sprecher. Mit den neuen Formulierungen in den Verträgen komme Aldi der Rechtsprechung nach und wolle "auf gegenwärtig nicht absehbare Zeiten in der Not vorbereitet sein." Dies habe nichts mit einem geplanten Tarifaustritt zu tun, sondern "mit einer selbstständigen Unternehmensfreiheit auszusteigen, wenn wir keine andere Wahl haben und wirtschaftlich dazu gezwungen sind".

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Seit einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2001 ist es Unternehmen nicht mehr so leicht wie früher möglich, aus Tarifverträgen auszuscheiden und die Lohnkosten dadurch drastisch zu senken. Sie müssen dafür zuvor in den Verträgen explizit darauf hinweisen, dass man aus einem Tarifvertrag austreten könne. Tun sie dies nicht, müssen sie die Tarifsteigerungen auch weiterhin mitmachen.

Was Aldi-Betriebsräte stutzig macht: Seit rund zehn Jahren bereits verlangt die Rechtsprechung in der Folge dieses Urteils die Klarstellung in Arbeitsverträgen. Seither seien viele neue Arbeitsverträge mit Mitarbeitern geschlossen worden, die Aldi hätte anpassen können. Doch erst jetzt baue Aldi Nord die entsprechenden Ausstiegspassagen in die neuen Arbeitsverträge ein.

Hintergrund der Furcht in Aldis Belegschaft ist eine stetige Erosion der Tarifverträge im Handel. Seit Jahren heben immer mehr Einzelhändler die Bindung an die Flächentarifverträge auf.

Zuletzt löste sich die Metro-Supermarkttochter Real nach einem Zwist mit Ver.di über neue Konditionen von dem Tarifvertrag mit der Gewerkschaft und wendet seit Anfang Juni den Tarifvertrag der Gewerkschaft DHV an - die viele Betriebsräte als arbeitgeberfreundlich und nachteilig für die Beschäftigten kritisieren. Dafür war Real beim Arbeitgeberverband HDE aus- und in den Verband AHD eingetreten. Neue Real-Mitarbeiter erhielten nun ein Entgelt, das mehr als 24 Prozent unter dem Einzelhandelstarif liege, moniert Ver.di. Auch andere Konditionen seien schlechter.

Der Verdienst sei deutlich höher als bei vielen Wettbewerbern, verteidigt dagegen eine Real-Sprecherin den Schritt. Zuvor hatte Real versucht, mit Ver.di Einsparungen bei den Personalkosten zu erreichen. Doch die Verhandlungen scheiterten. Die Personalkosten seien im Vergleich zu Wettbewerbern bis zu 30 Prozent höher, weil viele von diesen nicht mehr tarifgebunden seien, sagt die Sprecherin. Nach dem neuen DHV-Tarif soll das bald anders aussehen: "Mittel- und langfristig gehen wir von einer Entwicklung aus, die zu einer Angleichung an das Wettbewerbsniveau führt", sagt sie.

"Sie haben die Kosten aus dem Blick verloren"

Betriebsräte in mehreren Aldi-Nord-Gesellschaften fürchten angesichts dessen nun ebenfalls eine Tarifflucht. So warnten Arbeitnehmervertreter im sächsischen Beucha in einem Schreiben an die Mitarbeiter vor längerer Zeit schon vor der Unterschrift unter die neuen Arbeitsverträge - und nennen als einen Grund: Aldi behalte sich vor, "aus der Tarifbindung auszutreten" und "mit anderen Gewerkschaften Tarifverträge abzuschließen".

Betriebsräte wie Kring, die sich dem Konzern widersetzen und die neuen Betriebsvereinbarungen nicht unterschreiben, berichten von Aldi-Managern, die ihnen gegenüber über die hohen Löhne klagen. "Die Geschäftsführer in den Gesellschaften argumentieren, Aldi habe einen Wettbewerbsnachteil, weil man Tariflöhne zahle", sagt Kring. "Und dann sagen sie: 70 Prozent der Einzelhändler würden das nicht tun."

In den alten Verträgen hatte Aldi zugesichert, sich weiterhin an die Manteltarife und damit Tarifsteigerungen zu halten. Auch Urlaubszeiten und Zuschläge für Mehrarbeit oder Späteinsätze sind festgezurrt. Bislang ist Aldi wie Real zuvor im Arbeitgeberverband HDE und wendet daher die Ver.di-Tarifverträge an.

Doch sollte Aldi das aufgeben - und den Unmut seiner Mitarbeiter riskieren?

Der Discounter steht unter Druck. "Sie haben die Kosten aus dem Blick verloren", sagt Thomas Roeb, Professor für Handel und Marketing an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Die Produktivität der Mitarbeiter sinke, was Aldi bisher nicht mit geringeren Lohnkosten auffangen könne. Eine offene Tür, um bei der Bezahlung des Personals zu sparen, wäre da hilfreich.

Vielleicht ist Aldi Opfer seines eigenen Erfolgs geworden. Das Billigprinzip haben viele kopiert: Supermärkte verschärfen durch preisgünstige Eigenmarken die Konkurrenz. Aldi versucht nun gegenzuhalten - mit hübscheren und moderneren Läden, Angeboten wie Backstationen und Kaffee-Ecke, Zeitungen, mehr wöchentlichen Aktionen sowie immer mehr Markenprodukten. Doch die neue Konzernstrategie ist teuer, denn mit den moderneren Filialen steigt der Arbeitsaufwand. Kann Aldis Konzept da noch aufgehen?

Handel sei permanenter Wandel, betont ein Aldi-Sprecher. Kunden wollten Qualität und zugleich günstige Preise. Man sei jedoch sicher, dass sich das Discountprinzip diesen Anforderungen stellen werde. Es kämen immer mehr Kunden in die Aldi-Märkte. Das steigere den Umsatz und liefere das nötige Wachstum für den sicheren Fortbestand der Unternehmensgruppe.

"Aldi sieht sich immer noch als Discounter. Doch die Verkaufsstellen sind mittlerweile so arbeitsintensiv wie bei Rewe", sagt Betriebsrätin Tückmantel. "Das teure Personal muss also billiger werden. Da ist der Ausstieg aus den Tarifverträgen die einfachste Option für den Konzern." Was bei Real passiere, sei ein warnendes Beispiel.

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