Ausbeutungsvorwürfe Amazon-Chef will mehr Betriebsräte

Kartellamts-Ermittlungen, fragwürdige Arbeitsbedingungen, rabiate Wachtrupps: Erstmals nimmt der Geschäftsführer von Amazon Deutschland Stellung zu den Vorwürfen gegen das Online-Versandhaus - und ermuntert die Belegschaft zu gewerkschaftlicher Arbeit.
Amazon-Logistikzentrum in Koblenz: "Wir brauchen Leiharbeiter"

Amazon-Logistikzentrum in Koblenz: "Wir brauchen Leiharbeiter"

Foto: dapd

Hamburg - Die massive Kritik an den Arbeitsbedingungen bei Amazon setzt dem weltgrößten Online-Händler zu. Tagelang schwieg das Management zu den zahlreichen Vorwürfen von Mitarbeitern, Lieferanten und Behörden. Jetzt hat sich Ralf Kleber, Deutschland-Chef von Amazon, erstmals öffentlich geäußert. Kleber bedauert im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE die Missstände bei den Arbeitsbedingungen für ausländische Leiharbeiter bei Amazon: "Die Fernsehbilder, die wir gesehen haben, machen mich betroffen."

Die ARD hatte in einer Dokumentation gezeigt, wie Saisonarbeitskräfte in ihren Unterkünften im hessischen Seepark von Mitarbeitern eines Sicherheitsdiensts schikaniert wurden, die teils auch Kontakte zur rechtsextremen Szene haben sollen. Amazon kündigte darauf die Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsdienst. Kleber kündigt nun weitere Konsequenzen an. Auch zu den Ermittlungen des Bundeskartellamts gegen Amazon äußerte sich der Deutschland-Chef: "Wir begrüßen das Verfahren."

Miese Personalpolitik und unfaire Behandlung von Händlern? Im Interview nimmt Amazon-Deutschland-Chef Ralf Kleber Stellung zu den aktuellen Vorwürfen und spricht offen über seine Einstellung zu Betriebsräten, Tarifverträgen und Leiharbeitern.

SPIEGEL ONLINE: Herr Kleber, Amazon galt bis vor wenigen Tagen als Lieblingsversandhändler der Deutschen. Jetzt hagelt es Vorwürfe. Arbeitnehmer, Kunden und Lieferanten werfen Ihnen Ausbeutung von Leiharbeitern, Unterdrückung und Intransparenz vor. Was ist dran?

Kleber: Ich bedauere die Vorfälle in der Seepark-Siedlung. Die Fernsehbilder, die wir gesehen haben, machen mich betroffen, aber es ist falsch, diese Vorfälle als repräsentativ für die Personalpolitik von Amazon zu sehen. Dass ein Sicherheitsdienst in der gezeigten Art und Weise unsere Mitarbeiter bedrängt, das ist nicht akzeptabel. Wir haben uns daher von dem Sicherheitsunternehmen getrennt.

SPIEGEL ONLINE: Sie engagieren jedes Jahr rund 10.000 Mitarbeiter für das Weihnachtsgeschäft. Wie wollen Sie garantieren, dass Vorfälle wie die jetzt aufgedeckten nicht noch einmal vorkommen?

Kleber: Wir schauen uns den Fall genau an und gehen den Vorwürfen nach. Dass wir die Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsdienst und mit einem weiteren Dienstleister beendet haben, war nur der Anfang. Wir prüfen, welche weiteren Konsequenzen wir noch ziehen werden.

SPIEGEL ONLINE: Mal ganz abgesehen vom Verhalten der Sicherheitsleute - in der ARD-Reportage wird detailliert gezeigt, wie Leiharbeiter aus Rumänien, Bulgarien, Spanien und anderen Ländern für das Weihnachtsgeschäft nach Deutschland gekarrt und in Feriendörfern kaserniert werden. Wie passt das zu Ihrem Image als freundlicher Versandhändler?

Kleber: Zeitarbeit ist keine gängige Praxis bei Amazon. Wir beschäftigen in unseren Logistikzentren rund 8000 feste Mitarbeiter, hinzu kommen in der Weihnachtszeit noch über 10.000 Saisonkräfte, die bei Amazon direkt angestellt sind. Der Prozentsatz der Mitarbeiter, die über Zeitarbeitsagenturen zu uns kommen, ist dagegen gering. Wir haben aber den Anspruch, die Saisonkräfte genauso zu behandeln und zu bezahlen wie unsere Stammbelegschaft. Die Zeitarbeiter werden gemäß dem Tarifvertrag Zeitarbeit bezahlt und die, die von auswärts kommen, erhalten zusätzlich Kost und Logis.

SPIEGEL ONLINE: Die ausländischen Mitarbeiter wurden mit dem Versprechen nach Deutschland geholt, dass sie bei Amazon direkt angestellt werden. Tatsächlich wurden sie als Leiharbeiter bei der Firma Trenkwalder angestellt. Die Bundesagentur für Arbeit hat nun bei dieser Firma Verstöße gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz festgestellt. Wissen Sie, um welche konkreten Vorwürfe gegen Trenkwalder es sich handelt?

Kleber: Darüber ist uns derzeit nichts bekannt, wir werden uns hierzu natürlich auf dem Laufenden halten.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie die Zusammenarbeit mit Trenkwalder gekündigt?

Kleber: Nein, wir haben die Zusammenarbeit noch nicht beendet.

SPIEGEL ONLINE: Wird Amazon dies nachholen?

Kleber: Das wäre reine Spekulation.

SPIEGEL ONLINE: Warum weigert sich Amazon, einen Tarifvertrag einzugehen?

Kleber: Wir zahlen in unseren Logistikzentren sowieso schon mehr als andere Logistikunternehmen. Als Unternehmen, das immer noch schnell wächst, brauchen wir aber mehr Flexibilität, als uns ein Tarifvertrag lassen würde.

SPIEGEL ONLINE: Wie viele Betriebsräte gibt es eigentlich bei Amazon Deutschland?

Kleber: Ich finde Betriebsräte sehr gut und ermuntere die Mitarbeiter in unseren Logistikzentren, Betriebsräte mitzugründen. An zwei von acht deutschen Standorten haben wir bereits Betriebsräte, an einem dritten formiert sich gerade einer. An allen anderen Standorten gibt es Mitarbeitervertretungen.

SPIEGEL ONLINE: Die Kritik an den Arbeitsbedingungen bei Amazon ist nur eine Ihrer Baustellen. Das Bundeskartellamt vermutet, dass Sie Preise diktieren, indem Sie die unabhängigen Händler auf Ihrer Plattform verpflichten, ihre Produkte nirgendwo sonst günstiger anzubieten. SPIEGEL ONLINE liegen Mails vor, die den Verdacht belegen.

Kleber: Das Verfahren ist uns schon seit längerem bekannt. Wir begrüßen es, weil das Verfahren endlich Klarheit in einer wichtigen Grundsatzfrage schaffen wird. Das Kartellamt untersucht die Anforderungen, die Amazon an seine Marktplatzhändler gestellt hat. Nämlich, dass die Händler Produkte auf amazon.de nicht teurer anbieten dürfen als anderswo im Netz. Amazon will seinen Kunden Produkte zu wettbewerbsfähigen Preisen anbieten. Das geht natürlich nicht, wenn das Produkt woanders billiger zu bekommen ist. Es steht den Händlern immer frei, auf den Verkauf über Amazon zu verzichten, wenn diese Regelung für sie nicht praktikabel ist.

SPIEGEL ONLINE: Das sagt sich so leicht. Ihre Marktmacht ist doch viel zu groß, als dass Händler es sich leisten könnten, nicht bei Amazon präsent zu sein.

Kleber: Ich glaube, da wird Amazon und dem Online-Handel ein bisschen zu viel Bedeutung beigemessen. Die Mehrzahl aller Produkte in Deutschland wird immer noch Offline verkauft. Außerdem kenne ich genügend Wettbewerber von Amazon im Online-Umfeld, die auch relevant sind. Die meisten Händler sind ja auf verschiedenen Plattformen präsent.

SPIEGEL ONLINE: Befürchten Sie, dass die aktuelle Debatte Ihrem Umsatz schaden wird?

Kleber: Das Thema steht derzeit nicht im Vordergrund. Es geht um unseren guten Ruf. Wir wünschen uns, dass unsere Kunden und Geschäftspartner verstehen, dass wir durchaus ein verantwortungsvoller Arbeitgeber sind.

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