Katastrophe in den USA Amazon-Fahrerin wurde Rückkehr trotz Tornadowarnung verweigert

Teilweise eingestürztes Amazon-Verteilzentrum in Edwardsville im US-Bundesstaat Illinois (am 11. Dezember)
Foto: Michael Thomas / Getty ImagesDer Onlinehändler Amazon steht nach dem Einsturz eines Lagergebäudes im Bundesstaat Illinois während der Tornadokatastrophe in den USA in der vergangenen Woche ohnehin in der Kritik: Sechs Menschen starben in dem Verteilzentrum, fraglich ist, ob der Konzern angemessen auf die Bedrohung reagiert hatte und ob die Beschäftigten ausreichende Katastrophenschutzschulungen erhalten hatten. Nun legen von der Nachrichtenagentur Bloomberg veröffentlichte Textnachrichten zwischen einer Paketfahrerin und ihrem Vorgesetzten nahe, dass für Amazon tätige Beschäftigte sogar aktiv daran gehindert wurden, sich in Sicherheit zu bringen.
Bloomberg zufolge begann der Textnachrichtendialog zwischen der Fahrerin, die aus dem betroffenen Verteilzentrum in Edwardsville heraus arbeitete und sich einem Insider zufolge etwa 50 Kilometer entfernt davon befand, und ihrem Vorgesetzten etwa 80 Minuten, bevor der Sturm die Lagerhalle zum Einsturz brachte. »Der Funk ist ausgefallen«, schrieb die Fahrerin. »Okay, fahr einfach weiter«, antwortete der Vorgesetzte, »wir können nicht einfach Leute wegen einer Warnung zurückholen, solange Amazon uns das nicht vorgibt.«

Das Amazon-Verteilzentrum in Edwardsville vor dem Tornado (oben) und danach (unten)
Foto: EyePress via AFPEtwa eine halbe Stunde später meldet sich die Fahrerin erneut bei ihrem Vorgesetzten, diesmal deutlich beunruhigter. »Hier geht der Tornadoalarm los«, schreibt sie. »Liefer vorerst einfach weiter«, erhält sie zur Antwort, »wir müssen auf eine Ansage von Amazon warten«. Diesmal gibt sich die Fahrerin nicht mit dieser Anweisung zufrieden: »Wie wäre es, wenn ich zu meiner eigenen Sicherheit zurückfahre?« Um sie herum seien alle Gebäude verschlossen, es gebe keine Möglichkeit, sich vor Ort in Sicherheit zu bringen. Ihr Lieferwagen drohe zum Sarg zu werden. »Ich muss noch eine Stunde ausliefern, und das Radar sagt, in 30 Minuten bin ich mitten im schlimmsten Sturm.«
Die Vorgesetzte warnt die Fahrerin, sie könnte ihren Arbeitsplatz verlieren: Wenn sie zurückkommen wolle, sei das ihre Entscheidung, aber es würde ihr nicht als Sorge um ihre Sicherheit ausgelegt werden. »Wenn du dich entscheidest, mit den Paketen zurückzufahren, wird dir das als Verweigerung deiner Arbeit ausgelegt werden, was letztendlich dazu führen wird, dass du morgen keinen Job mehr hast.« Die Fahrerin antwortet: Während ein Tornado wüte, »sitze ich buchstäblich in diesem verdammten Lieferwagen fest, ohne sicheren Platz in der Nähe«. Der Vorgesetzte antwortet: »Amazon sagt, bringe dich vor Ort in Sicherheit.«
Kurz darauf wird dem Vorgesetzten der Ernst der Lage offenbar endlich bewusst: »Du musst dich vor Ort in Sicherheit bringen. Der Wind ist gerade durchs Lager gefegt, hat die Eingangstür aufgerissen und zerstört. Selbst wenn du hierher zurückkommst, kannst du nicht rein. Du musst anhalten und dich in Sicherheit bringen.«
Eine Amazon-Sprecherin schob die Verantwortung dem Vorgesetzten der Fahrerin zu – beide sind nicht direkt bei Amazon angestellt, sondern bei einem Subunternehmen, einem sogenannten Lieferdienstpartner. Der Disponent dieses Partners habe sich leider »nicht an die Standard-Sicherheitsvorschriften gehalten«. Der Vorgesetzte hätte »die Fahrerin unverzüglich anweisen müssen, sich in Sicherheit zu bringen, als diese ihm von dem Tornadoalarm berichtet hat«. Das Amazon-Team vor Ort habe sichergestellt, »dass jeder Lieferdienstpartner seine Fahrer angewiesen hatte, sich in Sicherheit zu bringen oder Schutz zu suchen und ihnen zu raten, die Lieferungen für diesen Abend einzustellen«.
Man sei froh, dass die Fahrerin den Tornado sicher überstanden habe, und nutze die Lehren aus dem Vorfall, um die Vorschriften für die Lieferdienstpartner und deren Fahrer zu verbessern, so die Amazon-Sprecherin weiter. Unter keinen Umständen hätte der Vorgesetzte der Fahrerin mit dem Verlust des Jobs drohen dürfen. Man untersuche den Vorfall und werde gegebenenfalls Konsequenzen ziehen.