Neue Reaktoren EU will Atomkraft massiv stärken

Die EU-Kommission will nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen den Bau von Atommeilern vorantreiben. Außerdem sollen neue Mini-Reaktoren entwickelt werden. Insider vermuten hinter den Plänen zwei Motive.
Umstrittenes Atomkraftwerk Tihange in Belgien

Umstrittenes Atomkraftwerk Tihange in Belgien

Foto: Oliver Berg/dpa

In Deutschland soll 2022 das letzte Atomkraftwerk vom Netz gehen - in Europa hingegen soll die umstrittene Technologie nach dem Willen der EU-Kommission gestärkt werden. Die EU müsse ihre technologische Vorherrschaft im Nuklearsektor verteidigen, heißt es im Entwurf für ein Strategiepapier, das SPIEGEL ONLINE vorliegt. Die Mitgliedstaaten sollen demnach bei der Erforschung, Entwicklung, Finanzierung und beim Bau neuer innovativer Reaktoren stärker kooperieren.

Das Papier soll die Grundlage der künftigen Atompolitik der EU-Kommission sein. Es soll am Mittwoch von den für die Energieunion  zuständigen Kommissaren diskutiert und später dem EU-Parlament vorgelegt werden.

In dem Papier wird unter anderem vorgeschlagen, die Rahmenbedingungen für Investitionen zu verbessern. Gelder sollen unter anderem aus dem Europäischen Fonds für strategische Investments (EFSI) und den Forschungsprogrammen der EU fließen. Abgewickelt werden einige dieser Förderprogramme auch über die Europäische Investitionsbank (EIB), über die das deutsche Finanzministerium mitbestimmt.

Bei der Entwicklung neuer Reaktortechnologien will die EU-Kommission Tempo machen. Unter anderem soll der Bau von flexiblen Mini-Atomreaktoren vorangetrieben werden. Spätestens 2030 soll ein solcher Meiler in Europa im Einsatz sein.

Insider vermuten hinter den Plänen der EU vor allem zwei Motive:

  • Die EU-Kommission hat es sich zum Ziel gesetzt, Europas Abhängigkeit von Russlands Gas zu verringern.
  • Gleichzeitig steht sie in der Pflicht, ihre Klimaziele zu erreichen und den CO2 -Ausstoß in der EU deutlich zu verringern. Atomkraftwerke sind im Gegensatz zu Kohle- und Gaskraftwerken fast CO2-neutral.

"Absurde Atompläne"

Sicherheit habe, so heißt es im Strategiepapier, bei allen Aktivitäten oberste Priorität. Dennoch sollen Forschungsergebnisse über Materialstress bei älteren Reaktoren erst 2025 vorliegen. Untersucht werden dabei unter anderem bedenkliche Risse in den belgischen Atomanlagen Tihange und Doel.

Enthüllungen über solche Verschleißerscheinungen hatten im April auch in Deutschland für Aufregung gesorgt. Das AKW Tihange liegt nur 70 Kilometer von Aachen entfernt. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hatte Belgien seinerzeit erfolglos aufgefordert, die betroffenen Reaktoren vorerst vom Netz zu nehmen.

Die Grünen kritisieren die Pläne der EU-Kommission massiv. "Die hochgefährliche Atomkraft darf keine Subventionen erhalten", sagt der Fraktionsvize Oliver Krischer. "Wir erwarten von Sigmar Gabriel deutliche Worte gegen diese absurden Atompläne der EU."

Die EU-Kommission hat Fragen von SPIEGEL ONLINE zu dem Strategiepapier bislang nicht beantwortet.

In der EU gibt es derzeit 131 Atomkraftwerke in 14 Mitgliedstaaten, sie haben eine Kapazität von rund 121 Gigawatt. Derzeit sind in 14 Ländern neue Atomkraftwerke in Planung.

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