Aufstand in Libyen Märkte fürchten den Erdöl-Schock

Der Aufstand in Libyen ist ein Einschnitt in den Revolten der arabischen Welt: Erstmals treffen die Unruhen einen wichtigen Ölexporteur. Experten rechnen mit einem weiteren Preisanstieg - wichtige Produzenten sollen ein Krisentreffen anberaumt haben. Auch andere Rohstoffe verteuern sich massiv.
Arbeiter an einem Öltank: Drehen die Stämme Libyen den Hahn zu?

Arbeiter an einem Öltank: Drehen die Stämme Libyen den Hahn zu?

Foto: BEAWIHARTA/ REUTERS

Hamburg - Die Drohung war in erster Linie gegen Libyens Regime gerichtet, doch sie ließ auch Analysten weltweit aufhorchen: Falls die Gewalt gegen Aufständische nicht aufhöre, werde man die Öllieferungen an den Westen binnen 24 Stunden einstellen, sagte ein einflussreicher Stammesführer angesichts des brutalen Vorgehens von Sicherheitskräften gegen Demonstranten in dem Land.

Muammar al-Gaddafi

Ölpreis

Doch Libyens Machthaber scheint fest entschlossen, die Revolte mit brutaler Gewalt niederzuschlagen. Und an den internationalen Märkten wachsen die Sorgen über mögliche Folgen der Proteste in Nordafrika. Die Unruhe spiegelte sich umgehend im wieder. Der stieg auf den höchsten Stand seit zwei Jahren.

Ein Barrel (159 Liter) Nordseeöl der Sorte Brent kostete am Montag zeitweise mehr als 105 Dollar. Der Preis für US-Leichtöl der Sorte WTI lag bei mehr als 90 Dollar. "Hinter dem Preisanstieg stehen die Unruhen in Libyen", erklärten Analysten der Commerzbank. Am Dienstag setzte sich der Preisanstieg fort: Die Sorte Brent kostete 108,18 Dollar je Barrel, die Sorte WTI 94,49 Dollar pro Barrel.

Auch bei Edelmetallen haben die politischen Konflikte die Preisentwicklung noch einmal verschärft. Silber sprang am Montag über die Marke von 34 Dollar je Unze, den höchsten Stand seit 30 Jahren. Damit hat die jüngste Preisexplosion sogar jene beim Gold übertroffen: Während der Goldpreis in den vergangenen sechs Monaten 15 Prozent auf rund 1400 Dollar zulegte, waren es beim Silber sogar mehr als 80 Prozent.

Besonders bei Privatanlegern ist Silber derzeit gefragt wie zuletzt in den achtziger Jahren. Analysten der Saxo Bank haben etwa in den USA eine massive Nachfrage nach Silbermünzen festgestellt. Ein Grund dafür ist schlicht auch, dass der Preis immer deutlich niedriger liegt als beim Bestseller Gold.

Seit der Finanzkrise flüchten immer mehr Investoren in die vermeintlich sichere Anlage der Edelmetalle. Dazu tragen auch die Schwankungen von Euro und Dollar sowie Inflationsängste bei. Obwohl der Silberpreis am Dienstag wieder auf 32,50 Dollar sank, beobachtet Commerzbank-Rohstoffanalyst Eugen Weinberg bereits Anzeichen einer unnatürlichen Preisexplosion. Er sagte dem "Handelsblatt": "Aber wann die Blase platzt, kann man nicht sagen."

Libyen exportiert täglich 1,1 Millionen Barrel Öl

Libyen

Eine größere Bedeutung haben die Unruhen in Libyen allerdings auf den Ölpreis: Während Ägypten auf dem Ölmarkt eher eine untergeordnete Rolle spielt, haben die Unruhen in Arabien mit erstmals ein Land erreicht, das in der Ölförderung eine wichtige Stellung hat. Die Volksrepublik ist einer der größten Erdölproduzenten der Welt und hat die größten nachgewiesenen Reserven in ganz Afrika. Öl- und Gasproduktion sind das Rückgrat der libyschen Volkswirtschaft. Über 90 Prozent ihrer Einnahmen kommen aus Erdölexporten.

Libyen gehört zudem zur mächtigen Organisation der Erdöl exportierenden Länder (Opec). Von den täglich produzierten 1,6 Millionen Barrel Rohöl werden etwa 1,1 Millionen Barrel exportiert. Bis 2013 will Libyen die tägliche Erdölförderung auf drei Millionen Barrel Öl steigern.

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Libyen: Öl und Gas als Rückgrat der Wirtschaft

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Auch Deutschland ist Abnehmer für libysches Erdöl. Libyen gehört nach Angaben des Statistischen Bundesamtes neben Russland, Großbritannien und Norwegen zu den wichtigsten Erdöllieferanten der Bundesrepublik. Dennoch sieht der Hauptgeschäftsführer des Mineralölwirtschaftsverbandes, Klaus Picard, keinen akuten Grund zur Sorge, dass es Engpässe geben könnte. Die Bundesrepublik importiere aus 30 Ländern Öl, eine Abhängigkeit von einem einzelnen Lieferland bestehe daher nicht (siehe Grafiken).

Was der Branche aber Sorgen macht, sind die Reaktionen der Märkte auf die derzeitigen Unruhen. Picard erinnert an die Ölpreisrallye 2008: Damals habe es keine Unterversorgung gegeben, dennoch seien die Preise explodiert. Nach Angaben aus italienischen Regierungskreisen haben wichtige Ölproduzenten bereits ein Treffen anberaumt, um die Lage in Nordafrika zu diskutieren.

Unruhen in Arabien

Bereits ab August 2010, also bevor die begannen, zog der Ölpreis an. Ende Januar wurde die Marke von 100 Dollar geknackt. Denn die Nachfrage steigt und Investoren legen verstärkt Geld in Rohstoffe an. Hinzu kommen die Aufstände in Nordafrika. Mit den Protesten in Libyen habe diese Entwicklung eine neue Qualität bekommen, sagte der Rohstoffexperte der Commerzbank, Carsten Fritsch. "Es wird viel davon abhängen, wie es in Libyen weitergeht und ob die Unruhen auf weitere Länder wie Algerien übergreifen."

Furcht vor einem Aufstand in Saudi-Arabien

Ölkonzerne wie BP und Total sowie die BASF-Tochter Wintershall zogen ihre Mitarbeiter aus Libyen ab oder bereiteten deren Evakuierung vor. Wintershall betreibt acht Ölfelder in dem Land und musste die Produktion drosseln. Mögliche Lieferausfälle könnten zumindest übergangsweise von anderen Ländern aufgefangen werden, sagte Fritsch. So habe Saudi-Arabien bei einer Ölproduktion von acht Millionen Barrel pro Tag noch freie Förderkapazitäten von täglich vier Millionen Barrel.

Doch was, wenn es auch in Saudi-Arabien zum Aufstand kommt?

Analysten und Investoren fürchten den Domino-Effekt. Vor kurzem hätte noch niemand auf einen Machtwechsel in Tunesien und Ägypten gesetzt. Nun haben die Proteste Libyen erreicht.

Die Lage in Saudi-Arabien ist bislang ruhig. Wenn es aber dort zu Unruhen käme, wären schwerwiegende Auswirkungen zu befürchten, sagt Fritsch. Denn das Land hat bei der Rohölförderung eine zentrale Rolle. Zum Vergleich: Libyen förderte 2009 etwa 87 Millionen Tonnen Rohöl, in Saudi-Arabien waren es 466 Millionen Tonnen.

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Libyen: Städte, Ethnien, Ölleitungen

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Als Beispiel, welche Verwerfungen politische Umstürze auf den Ölmärkten mit sich bringen können, ziehen Experten Iran heran. Nach der islamischen Revolution 1979 wurde die Ölförderung gedrosselt, der Ölpreis verdoppelte sich in den folgenden Monaten. Die meisten Industrieländer rutschten in eine Rezession.

Inzwischen sind die Industriestaaten aber nicht mehr ganz so abhängig vom Öl. In Deutschland wurde der Ölverbrauch zwischen 1979 und 2009 um 29 Prozent gedrückt. Aufstrebende Nationen wie China und Schwellen- und Entwicklungsländer dürfte ein Anstieg des Ölpreises besonders hart treffen, sagen Analysten der Commerzbank. Das könnte dann in der Folge auch der Weltwirtschaft schaden. Am Ende trifft der steigende Ölpreis auch deutsche Verbraucher: Kurzfristig treibt teures Öl die Benzinpreise in die Höhe; mittelfristig auch die Preise für alle anderen Produkte, zu deren Herstellung oder Transport Öl benötigt wird.

"Wir müssen durch die Verunsicherung der Märkte mit höheren Preisen für Öl und Gas rechnen", sagte Felix Neugart, der Nordafrika-Experte des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), angesichts der Unruhen in Libyen.

Libyen braucht das Geld aus dem Ölexport

Als Gaddafi im Jahr 1969 an die Macht kam, verstaatlichte er den Ölsektor, schränkte die Erdölproduktion ein und gründete den staatlichen Ölkonzern NOC, der den ausländischen Investoren nur geringe Anteile ließ. Erst als in den Jahren 2003 und 2004 internationale Sanktionen gegen Libyen aufgehoben wurden, wurden ausländische Firmen allmählich wieder stärker in dem Land tätig.

Die faktische Macht über die Ölfelder hätten im Falle eines Umsturzes die Stämme sowie Einheiten des Militärs und Sicherheitsapparats, sagte Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Die Frage sei, ob nach einem Umsturz eine Koalition von Kräften die Macht übernimmt, die eine breite Unterstützung sowohl unter den Demonstranten als auch unter den Stämmen und im Sicherheitsapparat hat, und somit längere Machtkämpfe verhindert.

Voraussagen, wie es in Libyen weitergeht und wer nach Gaddafi an die Macht kommen könnte, seien sehr schwer zu machen, sagte Lacher. "Sicher aber ist, dass der libysche Staat auch nach einem Sturz Gaddafis völlig von den Erdölexporten abhängig sein wird, und deshalb auch weiter auf Auslandsdirektinvestitionen im Ölsektor angewiesen ist."

Nordafrika, Naher und Mittlerer Osten - Kennzahlen

Ölproduktion 2009 (Tsd Barrel/Tag) Bevölkerung 2010 (Mio Personen) BIP 2010 (Mrd US-Dollar) Anteil deutscher Exporte 2009 (in %)
Ägypten 742 80,4 216,8 0,50%
Algerien 1811 36 159,0 0,10%
Irak 2482 31,5 84,1 0,17%
Iran 4216 75,1 337,9 0,03%
Jemen 298 23,6 30,0 0,04%
Jordanien - 6,5 27,1 0,11%
Katar 1345 1,7 126,5 0,26%
Kuwait 2481 3,1 117,4 0,18%
Libyen 1652 6,6 77,9 0,06%
Marokko - 31,9 91,7 0,15%
Oman 810 3,1 53,8 0,11%
Saudi-Arabien 9713 29,2 434,4 1,02%
Syrien 376 22,5 59,6 0,03%
Tunesien 86 10,5 43,9 0,05%
Vereinigte Arabische Emirate 2599 5,4 239,7 1,16%
Summe 23.338 367,1 1.761,9 3,97%
Zum Vergleich: Deutschland - 81.6 3.306 -
Quelle: IWF, Population Reference Bureau, BP Amoco Statistical Review of World Energy, Destatis, Commerzbank Research
mit Material von Reuters, dpa und dapd
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