Arbeitsbedingungen in Fleischfabriken Ausbeutung als Geschäftsmodell

Fließbandarbeit in einer Fleischfabrik von Tönnies in Rheda-Wiedenbrück
Foto: Bernd Thissen/ dpaSo weinerlich hat man die deutsche Fleischindustrie selten erlebt. Nach dem geplanten Verbot von Werkverträgen, jault die Branche auf, das sei diskriminierend. In anderen Sektoren seien solche Konstruktionen schließlich auch üblich, man erwäge Klagen gegen das Vorhaben der Bundesregierung.
Was Clemens Tönnies & Co. gern verschweigen: Die Ausbeutung als Geschäftsmodell - das hat keine Branche so ausgereizt wie die Fleischindustrie. Teils sind über 80 Prozent der Belegschaft Werkvertragsarbeiter, die für die Unternehmen schuften, ohne bei ihnen angestellt zu sein. Das erledigen windige Subunternehmer.
Osteuropäische Arbeiter sind für Schlachtunternehmen wie Westfleisch, Vion oder Tönnies nicht mehr als menschliche Verschiebemasse: Sie leben in heruntergekommenen Sammelunterkünften oder in Verschlägen, wie es Arbeitsminister Hubertus Heil nannte. Mal werden sie an diesem, mal an jenem Standort eingesetzt.
Viele Arbeiter berichten, sie hätten im April auch dann noch gearbeitet, als sie bereits Corona-Symptome hatten, was die Fleischfirmen und Subunternehmer bestreiten. So oder so wurde das Virus wurde nicht nur unter den Arbeitern gestreut, sondern wurde zum Gesundheitsrisiko für ganze Landkreise.
Nirgendwo sonst ist man der Branche so leichtfertig begegnet
Und die Unternehmen? Schieben die Verantwortung ab. Auf Firmen wie die Deutsche Schlacht- und Zerlegung (DSZ). Die hat Hunderte Osteuropäer im Einsatz, war fast allen Großen schon zu Diensten und wird von Axel H. beraten, einem in der Branche bekannten Subunternehmer, der vor einigen Jahren wegen 107-facher Steuerhinterziehung zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde.
Aktuell arbeitet die DSZ auch für den holländischen Vion-Konzern, etwa im Schlachthof Bad Bramstedt. Eine Arbeiterin berichtete dem SPIEGEL, sie verdiene rund tausend Euro im Monat. Seit gut einem Jahr sei sie dort in Schleswig-Holstein, die Nord- oder Ostsee habe sie noch nie gesehen. Vor dem Klo auf dem Flur der ehemaligen Kaserne, wo sie untergebracht sei, müsse sie oft Schlange stehen, sagt die Arbeiterin, was die DSZ für ausgeschlossen hält. Früher hat die DSZ, so zeigen es Gehaltsabrechnungen, für die karge Unterbringung den Arbeitern sogar noch rund 150 Euro berechnet, was ein Anwalt der Firma bestritten hatte.
Dass Konzerne wie Vion oder Danish Crown überhaupt nach Deutschland kommen, zeigt die politische Leichtfertigkeit, mit der man der Branche hier lange begegnete. Während in Dänemark oder den Niederlanden Werkvertrags- und Leiharbeiter teils deutlich bessergestellt sind, hat man sich hierzulande mit Selbstverpflichtungen zufriedengegeben.
Deutschland ist so zum Schlachthof Europas geworden, zum Hotspot der Ausbeutung: Längst verarbeiten wir deutlich mehr Schweine- und Geflügelfleisch als wir essen können und zerstören mit unseren Billigfleisch-Exporten oft regionale Strukturen anderswo.
Noch vor einigen Tagen hat Clemens Tönnies versucht, sein groteskes Geschäftsmodell zu retten. In Briefen an Spitzenpolitiker faselte er davon, man solle doch die unfairen Entsendeverträge ohne deutsche Sozialversicherung verbieten und nur noch "faire Werkverträge" machen. Doch Entsendeverträge gibt es in der Branche ohnehin kaum noch - es sind die ach so "fairen Werkverträge", die für all das Elend sorgen. Tönnies (Konzernumsatz 2018: 6,6 Milliarden Euro) hätte weitermachen können wie bisher.
Es ist gut, dass diese Nebelkerze diesmal nicht zündete. Die Fleischwirtschaft wird Sturm laufen gegen das Gesetz, das nun vorbereitet wird. Nach diversen Niederlagen in der Koalition scheint Hubertus Heil allerdings gewillt, zu zeigen, dass seine SPD, die einstige Arbeiterpartei, tatsächlich noch die Rechte von Arbeitern schützen kann. Zu oft seien Gesetze durch die Fleischlobby "abgeschlafft" worden, sagte er heute.
Wenn die Fleischfirmen zukünftig ihre Kernbelegschaft selbst anstellen müssen, wird das Konsequenzen haben. Die Löhne könnten etwas steigen, die Gewerkschaften hätten mehr Einflussmöglichkeiten. Und ja, möglicherweise werden die Hähnchenschenkel dann nicht mehr 20 Cent pro 100 Gramm kosten und das Kilo Schweinehack etwas mehr als 4,44 Euro, wie jetzt mitunter im Angebot. Doch das wird für alle zu verkraften sein. Und unser rumänischer Nachbar wird für unsere Billigpreise nicht mehr so teuer bezahlen müssen.