Umbruch in der Autoindustrie Die Angst vor dem Jobkahlschlag

Das Zeitalter des Verbrennungsmotors geht zu Ende - und für Hunderttausende Arbeiter in der Autoindustrie beginnt das Bangen um ihre Jobs. Wie reagieren die Konzernchefs auf den großen Umbruch?
Fertigungsband bei VW

Fertigungsband bei VW

Foto: Sebastian Gollnow/ picture alliance / Sebastian Gollnow/dpa

Nach der Dieselaffäre, den Diskussionen um Fahrverbote in Städten und dem womöglich gesetzlichen Ausstieg aus dem Verbrenner dämmert es auch gusseisernen Autofans, dass ein historischer Wandel bevorsteht. Wie einst, als der Verbrennungsmotor das Pferd verdrängte - und mit ihm Kutscher, Hufschmiede, Sattler oder Stallburschen.

Denn selbst moderne Benzin- und Dieselmotoren sind mit einem Problem konfrontiert: Auch wenn sie im Vergleich zu ihren Urahnen deutlich sparsamer und sauberer geworden sind, stoßen sie immer noch entschieden zu viele giftige Abgase aus. Eine sichere Zukunft, so scheint derzeit sicher, verheißt allein der Elektromotor.

Wandel in mehreren Etappen

Der Wandel wird sich nach Überzeugung von Verkehrsforschern in zwei Etappen vollziehen: Zuerst fliegt der Verbrenner aus dem Motorraum, dann wird das Lenkrad überflüssig - das Auto der Zukunft fährt elektrisch und ohne Zutun der Insassen. "In den nächsten zehn Jahren dürfte die Elektrifizierung der Flotten die größte Herausforderung für die Autohersteller sein", sagt Automobilexperte Marcus Berret. "Danach beginnt das Zeitalter der autonom fahrenden Taxen."

In den Führungsetagen der Premiumhersteller hofft man, dass noch etwas mehr Zeit bleibt. Doch Zweifel daran, dass es soweit kommt, hat kaum einer. Für die Konzernstrategen ist die Aufgabe klar: Es gilt,

  • die Spitzenplätze der Branche zu behaupten,
  • Geld zu verdienen
  • und - das ist eine große Sorge - das Ausmaß der Stellenstreichungen im Rahmen zu halten.

Denn Elektromotoren haben weniger Teile und erfordern wesentlich weniger Aufwand bei der Montage. "Wenn ein achtzylindriger Motor aus 1200 Teilen besteht, ein Elektromotor hingegen aus nur 25 - dann kann das nicht ohne Folgen für die Zahl der Beschäftigten in einer Industrie bleiben", so Birgit Henschel-Neumann, Automobilexpertin der Berliner Beratungsgesellschaft EL-NET. Allein bei Volkswagen, befürchten Vertreter der IG Metall, könnten 10 bis 15 Werke überflüssig werden.

Das Ifo-Institut kam in einer Studie im Sommer sogar zu dem Ergebnis, dass gut die Hälfte der rund 900.000 Arbeitsplätze gefährdet sein könnte, sollten die Grünen ab 2030 einen Zulassungsstopp für Autos mit Verbrennungsmotor durchsetzen. Demgegenüber stünde zwar eine wachsende Nachfrage nach Spezialisten rund um den Elektroantrieb, es sei aber unwahrscheinlich, dass "dies die gleichen Beschäftigten oder Beschäftigte innerhalb der gleichen Unternehmen wären". Henschel-Neumann ist zwar weniger pessimistisch, aber auch in ihrem Szenario würden erst einmal rund 300.000 Arbeitsplätze verlorengehen.

Hybrid als Übergang

Eine Verschnaufpause verschafft den Beschäftigten allenfalls der Hybridantrieb. Die aufwendige Übergangslösung ist für Hersteller deshalb interessant, weil sie von der Formel zur Berechnung der Abgaswerte massiv begünstigt werden. Danach geht ein mehr als zwei Tonnen schwerer SUV wie der X5 von BMW mit einem Normverbrauch von 3,3 Litern durch (auch wenn die in der Realität nicht einmal ansatzweise erreicht werden). Die absehbare Ausweitung der Verkaufszahlen für Hybride sorge zunächst für einen Anstieg der Beschäftigung - und zwar aus einleuchtenden Gründen: "Wenn ich bei einem Hybridauto zwei Antriebsstränge im Fahrzeug habe, haben die Hersteller zwar nicht die doppelte Arbeit. Doch Mehrarbeit haben sie auf jeden Fall", erklärt Jens Haas, Automobilexperte bei AlixPartners. Mit dem Ende des Verbrenner-Zeitalters stünden die Arbeitsplätze aber wieder zur Disposition.

Gleichzeitig geht die Entwicklung der E-Motoren voran: Volkswagen will in den kommenden Jahren 20 Milliarden Euro in die Elektromobilität stecken, weitere 50 Milliarden sind allein für Batteriezellen eingeplant. Auch bei BMW und Daimler wurden die Etats für Forschung und Entwicklung und für Investitionen großzügig aufgestockt.

Konkurrenz aus dem Silicon Valley

Ob die Anstrengungen genügen, um sich weiterhin an der Spitze der Branche zu behaupten und genügend Jobs zu sichern, wird davon abhängen, wie sich BMW und Co. gegen die wachsende Konkurrenz aus dem Silicon Valley schlagen. Dort nämlich arbeiten Start-ups und Internet-Größen bereits intensiv an Geschäftsmodellen, die Gewinn mit der Mobilität der Zukunft versprechen: Plattformen für Carsharing-Gruppen, die Organisation autonomer Fahrzeugflotten oder Kartendienste, die Roboterautos die Orientierung ermöglichen.

Die Liste ist natürlich keineswegs vollständig. Und sie dürfte in Zukunft auch deutlich länger werden. Da wären zum Beispiel Dienstleister gefragt, die unterwegs nahtlose Anschlüsse von einem Verkehrsträger zum anderen organisieren und die Abrechnung der jeweils günstigsten Tarife gleich mitliefern. Andere, die den Transport von sperrigem Gepäck übernehmen, oder solche, die eine sichere Fernwartung anbieten, um nur die naheliegendsten Möglichkeiten zu nennen.

Thema Parkplätze: Autofahrer suchen in Deutschland jährlich rund 560 Millionen Stunden danach. Eine Zeitverschwendung, die sich durch Telemetrie gestützte Parkplatzsuche deutlich verringern ließe. "Mittelfristig werden wir uns von einem klassischen Automobilhersteller hin zu einem Anbieter von Mobilitätsprodukten und -dienstleistungen entwickeln", sagt BMW-Sprecher Jochen Frey.

Anlass zur Skepsis

In diesen Disziplinen sind die Autokonzerne sogar noch ganz gut unterwegs. Doch wenn es darum geht, die Daten, die die Kunden liefern, zu Geld zu machen, dürften Google oder Facebook schwer einzuholen sein. Doch auch so bleibt genügend Raum für Entfaltung.

Entscheidend ist, dass die Autohersteller sie auch nutzen. Ein Punkt, der vor allem für Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen Anlass zur Skepsis bietet. So liege der Anteil an der Produktion der elektrisch angetriebenen Autos bereits größtenteils in China. "Die Wertschöpfung findet nicht in Deutschland statt. Mit negativen Folgen für die Arbeitsplätze", erklärt der Experte. Ein Lichtblick sei immerhin die Zahl der angemeldeten Patente im Zusammenhang mit selbstfahrenden Autos. Nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft entfallen rund 58 Prozent der weltweit vergebenen Patente auf deutsche Firmen.

Wie viele Arbeitsplätze aber im Zusammenhang mit der neuen Welt der Mobilität entstehen werden, wagt niemand vorherzusagen. "Das wäre nicht seriös und hochspekulativ", sagt Ifo-Chef Clemens Fuest. Es fehle die empirische Basis, und es gebe beim Blick in die Zukunft zu viel "Politikunsicherheit". Immerhin hält das Institut einen Beschäftigungsaufbau für möglich, der den Abbau im Verbrennerbereich "zumindest teilweise kompensieren würde". Diese Einschätzung teilt auch Daimler-Entwicklungschef Olaf Källenius in einem Interview mit der "Automobilwoche": "In der Regel haben neue Technologien und industrielle Umbrüche immer zu mehr Beschäftigung geführt."

Und noch eine Zahl gibt der Industrie Anlass zur Hoffnung: Berechnungen zufolge wird sich der Pkw-Bestand bis 2030 weltweit nahezu verdoppeln.

Zusammengefasst: Volkswagen, BMW, Daimler und Co. müssen radikal umdenken. Der Verbrennungsmotor wird über kurz oder lang ausgedient haben, der Hybrid nur übergangsweise helfen. Hart treffen könnte es die Belegschaften von heute. Doch Fachleute rechnen damit, dass es auch dank neuer Beschäftigungsformen nicht ganz so schlimm kommen wird, wie manche befürchten.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten