
Automatisierung und Rationalisierung: Robotik verändert Lagerwirtschaft
Automatisierung in der Logistik Robopacker verdrängen den Menschen
Hamburg - Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Robert durch Robot ersetzt wird. Über Jahre produzierte der Boom von Logistik und Lagerwesen zuverlässig neue Jobs: Gerade die Lagerarbeit galt als nur begrenzt automatisierbar. Doch das ändert sich. Der Kommissionierer, der mit dem Hubwagen durch Lagergänge fährt, ist ein Auslaufmodell. Im Kommen ist der Lagerroboter, der entweder Waren bewegt - oder gleich die ganzen Regale.
Glaubt man den Zahlen des Statistischen Bundesamts, dann ist der Bereich "Verkehr und Lagerei" ein Herzstück der deutschen Wirtschaft. Was immer hier produziert, importiert, exportiert und gehandelt wird, läuft irgendwann durch die Mühlen von Lagerwirtschaft und Logistik. 2011 wurden so 251,7 Milliarden Euro umgesetzt. 1,9 Millionen Arbeitnehmer verdienen ihr Brot damit, Waren auf ihren Weg zu bringen.
Im vergangenen Jahr legte der Umsatz im Wirtschaftszweig um 8,9 Prozent zu. Die Zahlen klingen erfreulicher, als sie letztlich sind. Es gibt Top-Jobs in der Logistik, die meisten aber sind eher niedrig bezahlt und gelten als einfache Tätigkeiten.
Rund eine halbe Million Arbeitnehmer sind in Deutschland allein in den Lagern beschäftigt - noch. Denn während Warenumschlag und Umsätze kontinuierlich steigen, sinkt die Zahl der Beschäftigten in den Lagern. Obwohl dort meist wenig verdient wird, Zeitarbeit überdurchschnittlich oft vorkommt und viele Beschäftigungsverhältnisse nur saisonal sind, wird wegen bröckelnder Margen mit spitzer Feder gerechnet. Der Mensch ist der Kostenfaktor, an dem sich am ehesten etwas machen lässt - was zu Lasten der Beschäftigtenzahlen geht.

Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) - Berufe im Spiegel der Statistik
Das hat die Arbeit in den Lagern in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Versandzentren, in denen eine geringe Varietät von Waren abgewickelt wird, wurden seit Ende der Achtziger wo immer möglich automatisiert. Ein Apparate-Arsenal von Strichcode-Scannern bis zu Verpackungsrobotern machte viele Kommissionierer und Packer überflüssig.
In Versandzentren, über die mitunter Zehntausende verschiedene, ständig wechselnde Artikel abgewickelt werden, war das bisher schwerer. Unternehmen wie SSI-Schaefer oder die Krones AG entwickelten hier Lösungen, die auf verschiedene Weise die zu kommissionierenden Waren zu einem Packer bringen. Der Transport läuft dann letztlich meist über das klassische Fließband.
Krones bietet Lösungen beispielsweise für den Lebensmittel-Umschlag im Großhandel, bei denen automatisierte Anlagen Paletten entladen, mischen und nach Bestelllisten zu neuen Paletten zusammenstellen . Es sind effiziente Systeme für einen hochgradig organisierten Warenumschlag.
Was aber, wenn so ein Lagersystem im Extremfall eine Waschmaschine, zwei Bücher und ein Fahrrad zu einer Sendung zusammenstellen müsste? So oder so ähnlich ist der Alltag bei breit aufgestellten Versandhändlern wie Amazon : Der Onlinekonzern hat von der Mini-SD-Karte bis zur lebensgroßen Spinosaurus-Figur so ziemlich alles im Angebot.
Das US-Unternehmen hat in seinen Versandzentren alle Abläufe auf höchstmögliche Effizienz optimiert. Amazons "chaotische" Lagerhaltung gilt als beispielhaft: Eingelagert wird eine Ware dort, wo sie gerade Platz findet. Dass so ein und derselbe Artikel meist an mehreren Orten in den Hallen zu finden ist, gehört zum Konzept: Das hält die Laufwege kurz. Mit absoluter Sicherheit führt das Bestell- und Lagerverwaltungssystem den mit einem elektronischen Gerät ausgerüsteten Kommissionierer auf optimierten Laufwegen durch die Hallen und zurück zum Packer, dem er zuarbeitet.
Auch der Mensch ist Server-gesteuert
Auch das ist Trend in der immer stärker automatisierten Lager-Arbeitswelt: Wenn Maschinen eine Sache nicht erledigen können, macht man den Mensch zum gesteuerten, im Extremfall auch getakteten Bestandteil der digital koordinierten Abläufe. Schon fast Standard sind nicht nur elektronische Leitsysteme, die den Laufzettel ersetzt haben, sondern auch Lichtsignale, um den Arbeiter in seinen Handlungen zu leiten.
"Arbeiten werden dabei immer weiter heruntergebrochen", sagt der Verdi-Gewerkschafter Heiner Reimann, der selbst 19 Jahre die hochgradig automatisierte Lagerhaltung von Ikea von innen erlebte. Wenn die technischen Mittel entsprechend seien, müsse ein Lagerarbeiter "weder der deutschen Sprache wirklich mächtig sein, noch eine Ahnung von Waren haben, mit denen er umgeht".
Es ist ein System, in dem der Mensch quasi ferngesteuert agiert. Auch ohne Akkordlohn gibt die Maschinerie den Takt vor: Die Tätigkeit werde inhaltlich abgewertet, während der körperliche Leistungsdruck steige, beklagt die Gewerkschaft Verdi.
Reimann selbst sieht das alles mit gemischten Gefühlen. "Einerseits kann man die technologischen Lösungen bewundern. Auf der anderen Seite haben wir natürlich Interesse daran, dass Menschen in Arbeit bleiben und die Qualität der Jobs stimmt."
Aufzuhalten sei die weitere Automatisierung aber wohl kaum, und das sei sogar zu verstehen, sagt Reimann: "Amazon hat wirklich Probleme, in Deutschland genügend Leute zu finden. In Saisonzeiten werben die auch im Ausland an." Klar, dass die Firma begann, nach einer Automatisierungslösung zu suchen.
Eine Sache der Perspektive: Wer arbeitet wem zu?
Amazon wurde bei Kiva Systems fündig. Was die US-Firma seit 2006 vorführt, ist eine vergleichsweise unaufwendige, beispiellos flexible Lösung: Statt Kommissionerer durch Lagergänge zu schicken oder riesenhafte Roboter-Regalsysteme zu entwickeln, setzt Kiva auf kleine, kastenförmige Lastenroboter, die die Regale mit den Waren zu den Packern tragen. Bei Kiva bewegt sich nicht der Arbeiter ins Lager, sondern das Lager hin zum Arbeiter.
Es kommt einem vor wie eine Szene aus einem Science-Fiction-Film: Kleine orange Maschinen, die bis zu 1500 Kilogramm Last tragen können, rollen durch eine riesige Halle, heben Regale an und tragen sie zu Arbeitern. Deren Aufgabe reduziert sich darauf, Waren aus Fächern zu nehmen und in zu packende Kartons zu legen. Sie werden dabei durch Lichtsignale angeleitet, was wohin gehört - auch hier sind die Menschen ein Teil der Maschinerie. Wenn sie sich wieder umdrehen, steht schon ein neues Regal bereit, die Kiva-Bots stehen Schlange. Alle sechs Sekunden, sagt Kiva, werde dem Arbeiter so eine neue Ware präsentiert.
Kiva behauptet, sie könnten die Effizienz jedes einzelnen Arbeiters verdreifachen. Amazon, der größte Versandhändler der Welt, ließ sich überzeugen und kaufte die Firma im April 2012 für satte 775 Millionen Dollar. Im Einsatz sind die Bots seit langem. In den USA setzen unter anderem die Handelsunternehmen Toys"R"Us, GAP und Staples auf die pragmatischen Flitzer.
Mit Amazon im Rücken dürften sie sich bald weiterverbreiten. Außer bei Amazon selbst, hofft Gewerkschafter Reimann: "Da wird das noch eine Weile dauern. Was, wenn der Strom ausfällt? Ein automatisiertes System bricht dann zusammen, während Kommissionierer zur Not noch per Handzettel ihre Waren zusammenstellen können."
Amazon selbst gibt keine Auskunft darüber, wann die Kiva-Systeme erstmals in eigenen Betrieben zum Einsatz kommen.