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Politik und Autoindustrie: Mangel an Distanz

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Politische Hilfe und Fehlsteuerung Warum zu viel Schutz den Autobauern schadet

Die deutschen Autobauer stecken in ihrer wohl größten Krise, und Schuld daran ist auch die Politik. Die Bundesregierung schützt die Branche bislang, wo sie kann - das bremst Innovationen aus und gefährdet Jobs.

Es war gut gemeint. In einer Runde mit Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger gab Angela Merkel die Kämpferin für die deutsche Autoindustrie. "Eure Stickoxidgrenzwerte sind zu strikt, das schadet unseren Dieseln", wandte sich die Bundeskanzlerin an die Chefin der kalifornischen Umweltbehörde. Das war im Jahr 2010. Bereits sieben Jahre zuvor hatte "Autokanzler" Schröder der Branche seine Hilfe versprochen. Der Diesel sei ein Weltspitzenprodukt. "Wir wollen da mitarbeiten, dass das so bleibt."

2017 muss man feststellen: Die Strategie der deutschen Autopolitik ist offensichtlich misslungen.

Die Diesel-Technik ist ausgereizt, mit Mogeleien versuchten Autokonzerne wie Volkswagen, den Selbstzünder umweltfreundlich aussehen zu lassen - oder sie mussten richtig Geld in die Hand und geschmälerte Gewinne in Kauf nehmen, um eine veraltete Technik weiter einsetzen zu können. Jahrelang steuerten der VW-Konzern, Daimler und BMW so unter dem Schutzschirm der Politik konsequent in die falsche Richtung, konservierten alte Technologien, sprachen sie untereinander ab.

Sie investierten vor allem, um das Geschäft mit den alten Verbrennern bis zum Letzten auszureizen. Jetzt steckt die Branche - angesichts der Schummeleien, Milliardenstrafen, möglicher Diesel-Fahrverbote und des Verdachts auf Bildung eines Kartells - in ihrer womöglich größten Krise. An diesem Mittwoch wollen Politiker und Konzernchefs auf dem Diesel-Gipfel in Berlin eine Lösung für die verfahrene Situation finden.

Bei aller Mühe der Schadensbegrenzung steht aber schon jetzt fest: Die deutsche Politik zum Schutz der Autoindustrie ist gefloppt. Sie wollte 800.000 Arbeitsplätze sichern. Zu besichtigen ist nun ein Exempel falsch verstandener Wirtschaftsförderung. Die Bundesregierung hat der Branche zwar geholfen - aber vor allem beim Selbstbetrug.

Geschützt in die falsche Richtung gesteuert

Beispiele für die Versäumnisse beider Seiten gibt es viele. So hätten die Konzerne schon vor Jahren ernsthaft mit der Suche nach fortschrittlicher Autotechnik beginnen müssen. Dann hätten sie sich langsam wandeln können. Nun zwingt der Wandel von außen die Autoriesen zu einem so radikalen wie schmerzhaften Schwenk. Sie müssen in extrem kurzer Frist ihre Unternehmen umpolen - und gefährden dabei Jobs genauso wie ihre Finanzsubstanz.

An vollmundigen Versprechungen für neue Technik sind die Konzerne reich, passiert ist nur wenig. 2008 etwa kündigten die Autobosse groß das E-Auto als Novum an. "Die Zukunft gehört dem Elektroauto", sagte der damalige VW-Konzernchef Martin Winterkorn. E-Mobile seien "ein ganz wichtiger Baustein künftiger Mobilität", sekundierte Daimler-Vorstandschef Dieter Zetsche.

Es blieb bei Alibiversuchen. Beim E-Auto fährt die Autonation Deutschland hinterher. Die Ladeinfrastruktur fehlt, der Energiemix ist nicht ausreichend auf erneuerbaren Strom für ökologische E-Autos umgestellt.

Warum hätten sich die Hersteller die kostspielige Arbeit mit Elektroautos, neuartigen Kraftstoffen oder der Erfindung völlig anderer Antriebe auch machen sollen, wo die Politik ihnen beim Diesel doch den Rücken frei hielt?

Der deutsche Diesel sollte den hiesigen Herstellern mit seinen im Vergleich zu Benzinern geringeren Kohlendioxidwerten helfen, die CO2-Autoabgasregeln in der EU zu erreichen. Das Projekt ist nun grandios gescheitert, die deutsche Autoindustrie droht, die Ziele komplett zu verfehlen.

Angesichts der Dieselaffäre brechen die Marktanteile des Selbstzünders ein. Und nicht nur das. Die Konzerne warben sogar damit, dass selbst ihre großen und schweren sportlichen Geländewagen nicht nur sehr sicher seien - sondern dank moderner Dieseltechnik sogar umweltschonend. Also kaufen immer mehr Deutsche diese SUV - mit ihren in Wahrheit im Vergleich hohen Emissionen. Sie haben selbst dafür gesorgt, dennoch klagen jetzt Automanager über die angeblich kaum vermeidbaren Kundenwünsche nach emissionsstarken, großen Autos.

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Als wäre sie gerade erwacht, zeichnet Bundeskanzlerin Merkel auf einmal eine düstere Zukunft. Die Automobilindustrie werde in der heutigen Form nicht überleben, mahnt sie. Alle Länder müssten beim nun nötigen Wandel mithelfen.

Sie selbst und ihr Vorgänger Gerhard Schröder halfen allerdings allzu lange nicht.

Noch 2013, zwei Jahre bevor der VW-Dieselskandal aufflog, verteidigte Merkel ihre Blockade strengerer Autoabgasregeln in der EU für den Klimakiller CO2. So wichtig Umweltschutz sei, Deutschland dürfe nicht die eigene industrielle Basis schwächen, sagte sie. Erleichterungen für deutsche Autohersteller mit ihren vielen großen, verbrauchsstarken Modellen bei den Abgaszielen hatte sie schon 2008 durchgesetzt.

Nicht anders Schröder: Der Liebling der Autobosse, der sich auf Autoshows gern in Sportflitzern aus deutscher Manufaktur präsentierte, verhinderte ein Vorziehen der schärferen Euro-5-Abgasnorm, lockerte die eng angezogenen Ziele für den Ausstoß von Dieselruß, ließ EU-Pläne für die Entsorgung alter Autos auf Kosten der Konzerne verpuffen.

Trotz aller Kritik: Der Schutzreflex bleibt erhalten

Derselbe Schutzreflex, der die Autokonzerne früher in ihrer Lethargie festhielt, ist nun erneut in der Regierung zu beobachten.

Trotz erkannter Abschalteinrichtungen in Modellen diverser Hersteller, mit denen sie die Stickoxidwerte auf den Prüfständen künstlich schönten, beließ es Verkehrsminister Alexander Dobrindt großteils bei freiwilligen Rückrufen.

Nun springt auch noch Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) den Konzernen zur Seite. Ein Aus für Verbrenner, wie Großbritannien und Frankreich planen, sei bei den genannten Jahreszahlen wie 2040 "weder sinnvoll noch zielführend", warnt sie. "Während in England kaum noch Autos gebaut werden, ist Deutschland eine der größten Automobilbaunationen der Welt mit über einer Million Arbeitsplätzen, die davon abhängen."

Gefährliche Unkenntnis

Leider prüfte die Ministerin nicht die Fakten. Großbritannien produzierte vergangenes Jahr 1,7 Millionen Autos - fast ein Drittel der Pkw-Anzahl, die in Deutschland hergestellt wird. Und die Produktion der Briten wächst stark.

Angesichts dieser Unkenntnis lauert hoffentlich nicht die nächste Gefahr überhasteter, politischer Autoambitionen: der schnelle, staatlich geförderte Fokus auf die Entwicklung von Elektroautos. E-Autos könnten im künftigen Fahrzeugmix eine wichtige Stellung einnehmen. Doch sicher ist das nicht. Bei der Produktion der Batterien wird sehr viel schädliches CO2 frei. Möglich, dass ganz andere Technologien bald führend werden.

Deutsche Autohersteller waren einmal weit vorn mit dabei, als neue Batterien für elektrische Antriebe entwickelt wurden. Den Vorsprung haben sie leichtfertig aufgegeben. Und so müssen sie sich auf Konzerne anderer Nationen verlassen, die neue, vielleicht bald umweltschonendere Batterien für E-Autos herstellen könnten - oder völlig neue Optionen.

Die Politik will nun technologieneutral agieren, zumindest auf dem Papier. Es ist zu hoffen, dass die Zurückhaltung gelingt. Welcher Antriebstechnik die mobile Zukunft gehört, weiß niemand. Statt die Aufgabe von Forschern zu übernehmen, sollte die Politik dem Tatendrang der Autokonzerne freien Lauf lassen. Sie werden ihre eigenen Wege besser ohne politische Technik-Leitplanken finden.

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