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Verkauf von "Hörzu" und Co.: Springer kappt seine Wurzeln

Foto: Christian Charisius/ dpa

Ausverkauf der Print-Sparte Springer kappt seine Wurzeln

Eines der größten Medienhäuser Europas steht vor einem radikalen Umbruch: Der Springer-Verlag verkauft gleich mehrere Traditionsblätter - digitale Dienste dürften bald für den Großteil des Umsatzes sorgen. Von der Vision des legendären Firmengründers bleibt kaum etwas übrig.

Hamburg - Ungläubigkeit herrschte am Donnerstagmorgen gegen 10 Uhr in der Stella-Halle, der großen Durchgangspassage in der Hamburger Verlagsresidenz der Axel Springer AG. Eng drängten sich die Mitarbeiter im Foyer, wie zuletzt vor Jahren, als hier noch die Weihnachtsfeiern stattfanden. Dieses Mal aber war die kurzfristig einberufene Versammlung kein Anlass zur Freude.

Das, was jetzt komme, werde nicht leicht, sagte Andreas Wiele, Konzernvorstand für Zeitschriften und die "Bild"-Gruppe. Er wolle aber trotzdem versuchen, es so gut wie möglich zu erklären. Der Verlag verkauft ein großes Zeitschriften- und Zeitungspaket an die Funke Mediengruppe mit Sitz in NRW, darunter Anzeigenblätter wie die Wohlfühl-Postillen "Bild der Frau" und die Heile-Welt-Programmzeitschrift "Hörzu", aber auch renommierte Regionalzeitungen wie das "Hamburger Abendblatt".

Wiele habe sich bemüht, Verständnis für ihre Lage zu zeigen, berichten Springer-Angestellte. Viele fühlten sich dennoch verhöhnt. Als der Manager sagte, man habe für die Belegschaft "ein gutes neues Zuhause gefunden", waren viele fassungslos. Vor allem Ex-Funke-Angestellte, die am eigenen Leib erfahren mussten, wie radikal die Mediengruppe bisweilen die Redaktionen ausdünnt. Als sich Wiele für die jahrelange gute Zusammenarbeit bedankte, gab es Buhrufe; als Betriebsräte den Manager beschimpften, ernteten sie Applaus.

Die Entscheidung, traditionelle Printmarken abzustoßen, kam für viele überraschend. Selbst viele hochrangige Manager seien völlig überrumpelt gewesen, heißt es in Konzernkreisen. Dennoch passt der Schritt zur neuen Strategie von Vorstandschef Mathias Döpfner. Zu einem Verlagsumbau, der mit Blick auf Renditen und Aktienkurse bisher Erfolg hat - publizistisch aber ein Offenbarungseid ist: Eines der größten Medienhäuser Europas hat offenbar den Glauben verloren, dass man mit Journalismus auf lange Sicht noch Geld verdienen kann.

Springers Print-Umsätze schrumpfen rapide

Gleich mehrere traditionelle Printprodukte sind jüngst in Deutschland eingestellt worden. Allein 2012 musste unter anderem die "Financial Times Deutschland" dichtmachen, die "Frankfurter Rundschau" und die Nachrichtenagentur dapd mussten Insolvenz anmelden. Döpfner will vermeiden, dass die Printsparte dem Springer-Konzern die gleichen Probleme macht. Und steuert frühzeitig um.

Zwar sind die meisten nun verkauften Publikationen noch recht profitabel. Doch auch sie haben damit zu kämpfen, dass Leser ins Internet abwandern und die Anzeigenpreise tendenziell sinken. Statt Konzepte zu entwickeln, diesem Strukturwandel zu begegnen, verkauft Springer die Zeitungen und Zeitschriften lieber, solange man noch etwas Geld dafür bekommt. Man wisse ja: "Nur wenn es einem gutgeht, kann man aktiv handeln", schreibt Döpfner in einer internen Mail an die Mitarbeiter.

So halbwegs ging dieser Plan auf: Immerhin 920 Millionen Euro will Funke für das Print-Paket zahlen. Allerdings muss der Verkäufer dem Käufer Kredit geben, Springer streckt Funke einen Teil des Kaufpreises vor . Doch Döpfner bekommt frisches Geld und will vor allem in digitale Produkte investieren. Man werde den "Weg zum führenden digitalen Medienunternehmen konsequent weitergehen", schreibt er in seiner Mail. Bei der jüngsten Hauptversammlung des Unternehmens trug der Konzernchef noch dicker auf. Damals schwadronierte er über eine "virtuelle und entmaterialisierte Medienwelt".

Was Döpfner damit meint, zeigt sich an der Entwicklung der Konzernbilanz. 2007 steuerten Zeitungen und Zeitschriften noch 72,9 Prozent zum Umsatz bei; 2012 nur noch 47,6 Prozent. Die Digitalsparte trug 2007 nur 8,1 Prozent zum Konzernumsatz bei; 2012 waren es fast 35,5 Prozent. Durch den Verkauf der Frauen- und Programmzeitschriften und Regionalzeitungen wird die Bedeutung der Printsparte noch einmal signifikant schrumpfen: Mit diesem Paket machte Springer 2012 immerhin 512 Millionen Euro Erlöse - was 15 Prozent des Konzernumsatzes entsprach. Nun dürfte die Digitalsparte ab 2014 den Großteil des Erlöses ausmachen.

Übriggeblieben sind bei den Zeitungen nun nur noch "Bild", "Welt" und "B.Z.", deren Redaktion mit "Bild Berlin" zusammengelegt wird, und bei den Zeitschriften die "Auto-Bild"-Gruppe, die "Computer-Bild"-Gruppe, die "Sport-Bild" und vorerst die Musikzeitschriften "Metal Hammer", "Musikexpress" und "Rolling Stone".

Immobilienanzeigen statt Nachrichten

Springers Konzernumbau ist zudem mehr als nur der Abschied vom Printjournalismus. Er ist der schleichende Abschied vom Journalismus an sich. Denn in der rasch wachsenden Digitalsparte erzielen vor allem Firmen wie die Karriereplattform "Stepstone", die Immobiliendienste "Immonet" und "Seloger" oder das Preisvergleichsportal "Idealo" die Erlöse.

Etwa zwei Drittel der Umsätze im Digitalgeschäft - rund 787 Millionen Euro - machte Springer im vergangenen Jahr mit nichtjournalistischen Produkten. Der Rest - rund 387 Millionen Euro - fiel unter die Rubrik "journalistische Produkte und andere Medien". Wie viel Geld in dieser Subkategorie tatsächlich aus klassisch-journalistischen Produkten stammt, gibt der Konzern nicht an. Dem SPIEGEL sagten Insider, die Erlöse aus Werbung und Paid Content der redaktionellen Online-Seiten seien "verschwindend gering".

Um die journalistische Zukunft des Konzerns ist es nicht gut bestellt. Auch bei den noch verbleibenden Printprodukten stehen Sparrunden an. Bis zu 20 Millionen Euro sollen nach SPIEGEL-Informationen bei den intern als "rote Gruppe" bezeichneten Boulevardblättern "Bild", "Bild am Sonntag" und "B.Z." eingespart werden. Bis zu 200 Stellen könnten wegfallen.

Deutschlands Time Warner

Konzernchef Döpfner setzt nach eigenen Angaben weiter auf die "Bild"- und die "Welt"-Gruppe. In beide Zeitungen werde man "journalistisch investieren", heißt es in der Mail an die Mitarbeiter. Viele mögen das kaum glauben.

Der Medienwissenschaftler Michael Haller spricht von einem Umbau des Springer-Konzerns "zu einem Dienstleistungs-Entertainment-Konsortium nach dem Vorbild von US-Konzernen wie Time Warner". Der Leipziger Medienwissenschaftler Martin Welker nennt es eine "Enttäuschung, dass Springer nicht stärker versucht, Digitales und Journalismus zusammenzubringen". Und der Hamburger Springer-Betriebsrat Peter Jebsen spricht von strategischen Entscheidungen, "die Axel Springer so nicht getroffen hätte".

Jebsen mag damit recht haben. Laut seinem Biografen Hans-Peter Schwarz trauerte Springer den Anfangsjahren beim "Hamburger Abendblatt" noch 20 Jahre später nach: "Die 'Abendblatt'-Zeit war die Zeit meiner eigentlichen Liebe zum Beruf", heißt es in der Biografie. Zeitschriften und Zeitungen sollten laut Springer einem einzigen Ziel dienen: "der Wiederentdeckung des Menschen und des Menschlichen, durch die allein ich mir eine politische Wandlung verspreche".

Es scheint, als könnten diese Zeiten bald vorbei sein.

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