Bahn-Chef Richard Lutz Mehr Züge und weniger Berater

Bahnchef Richard Lutz
Foto: Michael Kappeler/ picture alliance/dpaEigentlich wollte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn, Richard Lutz, in diesen Tagen die Flucht nach vorn antreten. Schon seit Monaten kommt sein Konzern nicht aus den Schlagzeilen: Die Züge verspätet, der Gütertransport tief in den roten Zahlen, die Politik sauer. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) gab ihm eine Gnadenfrist bis zu diesem Sommer, um seinen Laden aufzuräumen.
Doch nun kommen Berichte von einer delikaten Berateraffäre dazwischen: Die Bahn soll ehemalige Vorstände mit Beratungsaufträgen in Millionenhöhe versorgt haben, allen voran den ehemaligen Konzernchef Rüdiger Grube. Interne Revisoren schlugen Alarm, auch der Bundesrechnungshof hat sich inzwischen eingeschaltet.
Und das, wo es jetzt doch vorangehen sollte. Übernächste Woche findet eine für den Bahnchef enorm wichtige Aufsichtsratssitzung statt. Eine große Strategieoffensive wollte er da verkünden, mit Hunderten neuen Züge und Zehntausenden neuen Mitarbeitern.
"Robust" und "schlagkräftig"
Für diese Veranstaltung haben Lutz und seine fünf Vorstandskollegen eine über 170 Seiten lange Vorlage geschrieben. Kernaussage: "Wir setzen voll und ganz auf einen starken Ausbau der Bahn." So steht es in dem Dokument, das dem SPIEGEL in Teilen vorliegt. Drei Ausbaufelder hat der Vorstand darin identifiziert. Die Infrastruktur soll "robuster" werden, die Organisation "schlagkräftiger" und das Angebot "moderner".
Das Platzangebot für die Kunden soll demnach "um bis zu 100 Prozent" gesteigert werden. Dazu will die Bahn zusätzlich zu den bereits beschlossenen Zugkäufen weitere 120 Züge für den Personenverkehr und 300 Loks für den Güterverkehr erwerben. "Längere Züge und bessere Platzausnutzung erhöhen darüber hinaus die Kapazität der Flotte", heißt es in der Unterrichtung für den Aufsichtsrat.
Im Regionalverkehr sollen 1000 Bestandsfahrzeuge mit bis zu zwölf Prozent mehr Plätzen ausgestattet werden. Auch soll die Wartung verbessert werden, damit Züge nicht mit defekten Klimaanlagen, Kaffeemaschinen oder Bremsen auf die Reise gehen. 50 Prozent mehr instandgehaltene ICEs sollen die Werkstätten pro Tag verlassen, verspricht Bahn-Chef Lutz.
Auch beim Personal will die Bahn folgerichtig wachsen. Und zwar gewaltig, es müssten "in den nächsten Jahren mindestens 100.000 Stellen neu besetzt" werden.
Um auch organisatorisch besser aufgestellt zu sein, sollen die einzelnen Betriebsbereiche wie Netz und Personenverkehr besser zusammenarbeiten. Die "Regelorganisation" müsse wieder gestärkt werden, so beschreibt der Vorstand seine Strategie, das Unternehmen künftig zu führen. Dahinter steckt die Absicht, weniger Aufgaben von Task Forces erledigen zu lassen. Die Vorstände würden klare Verantwortlichkeiten und Aufgaben bekommen und diese auch lösen.
Raus mit den Beratern
Unternehmensberater sollen im Zuge dessen weitgehend aus dem Unternehmen vertrieben werden. Diese Ansage entbehrt nicht einer bitteren Ironie: eben wegen der schwelenden Berateraffäre, die seit heute auch öffentlich ist.
Heikel ist zudem die Frage, wie diese Investitionen in Personal und Material überhaupt gestemmt werden können. Schon jetzt klafft in den Finanzplänen der Bahn eine Lücke von fast fünf Milliarden Euro in den kommenden Jahren.
Der Vorstand schlägt dem Aufsichtsrat deshalb den Verkauf der britischen Mobilitätstochter Arriva vor. Sie zahle nicht auf das Kerngeschäft der Bahn ein, dem Schienenverkehr, so die Begründung in Aufsichtsratskreisen. Doch das allein wird nicht reichen.
Die Bahn müsste sich also entweder verschulden oder weitere Milliarden vom Staat bekommen. Lutz wirbt dafür mit dem Verweis auf die exzellente Klimabilanz des Schienenverkehrs. Der Bahn-Vorstand verspricht dem Aufsichtsrat nach SPIEGEL-Informationen, bis 2038 klimaneutral zu sein und nur noch mit Ökostrom zu fahren.
Für Lutz geht es um seinen Job
Doch spätestens seit die Berateraffäre öffentlich wurde, ist die Bereitschaft, weiteres Geld für die Bahn locker zu machen, gesunken. Die Politiker im Aufsichtsrat sind durch die Enthüllungen schockiert. Es könnte sein, dass sich das Gremium in der turbulenten Situation gar nicht einigt, dem Strategievorschlag des Vorstands zuzustimmen.
Am kommenden Donnerstag findet eine weitere Sondersitzung des Kontrollgremiums statt, bei der die Aufsichtsräte über die Erkenntnisse der Untersuchung zu Beraterverträgen informiert werden.
Brisant: Bahn-Chef Richard Lutz war bis zum Anfang dieses Jahres auch der langjährige Finanzvorstand des Unternehmens. In dieser Funktion wäre es möglich, dass er Kenntnis von den unrechtmäßig abgeschlossenen Verträgen hatte.
In so einem Fall wäre Lutz politisch nicht zu halten.