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Über 100 Tote in Textilfabrik: Trauer um Brandopfer in Bangladesch

Foto: Hasan Raza/ AP

Feuer in Textilfabrik Ablasshandel mit dubiosen Zertifikaten

Bangladesch trauert an diesem Dienstag um 110 Textilarbeiter, die bei einem Fabrikfeuer starben. Der Fall zeigt, wie katastrophal die Arbeitsbedingungen in den Nähereien sind - und wie sich westliche Auftraggeber mit fragwürdigen Zertifikaten ein gutes Gewissen kaufen.

Das öffentliche Leben steht heute still in Bangladesch. Die Regierung von Premierministerin Sheikha Hasina hat diesen Dienstag zum Tag der Trauer erklärt für die Toten der Textilfabrik Tazreen Fashion. Bei einem Feuer, das in dem Gebäude in Ashulia, etwa 30 Kilometer außerhalb der Hauptstadt Dhaka, am Samstagabend ausbrach, starben 110 Arbeiterinnen und Arbeiter. Es ist eine der größten Katastrophen dieser Art in dem Land.

Über die Ursachen des Feuers wird noch spekuliert. "Wir sind ratlos und entsetzt und müssen die Ermittlungen abwarten", sagt Nasir Uddin Chowdhury, Vizepräsident des Textilindustrieverbands BGMEA. Ein Feuerwehrsprecher erklärt, man vermute "entweder einen Kurzschluss oder eine achtlos weggeworfene Zigarette" als Auslöser.

Mitarbeiter beschreiben, wie sie die Katastrophe erlebten. "Nach dem Feueralarm gegen 18.30 Uhr sagte uns unser Chef, dass wir auf unseren Plätzen bleiben sollen", erzählt Arbeiter Muhammad am Telefon. "Er sagte, das Feuer sei bald vorbei. Wir zögerten, aber als immer mehr Leute in Panik ausbrachen und flüchteten, rannte auch ich um mein Leben."

Muhammad hatte Glück und fand im vierten Stock ein offenes Fenster, von dem eine Leiter aus Bambus nach unten führte. Anderen gelang die Flucht über eine Bambusleiter auf das Dach eines benachbarten Gebäudes. "Viele rannten aber entgegen den Vorschriften zum Hauptausgang oder sprangen in ihrer Verzweiflung aus großer Höhe nach draußen. Wir hatten Angst, dass es zu spät ist, wenn wir warten." Etwa zehn Menschen starben in Folge der Verletzungen durch den Sprung ins Freie, die meisten verbrannten oder erstickten im Rauch.

Kritik richtet sich vor allem an westliche Konzerne

Zu dem Chaos innerhalb des Gebäudes kam hinzu, dass sich das Löschen äußerst schwierig gestaltete. Fast 17 Stunden dauerte es, bis die Feuerwehr den Brand unter Kontrolle hatte - vor allem, weil die Zufahrtswege blockiert oder zu eng waren, bemängelt der Feuerwehrsprecher. Kritik kommt auch von der Regierung: So sei das Fabrikgebäude, das erst im Mai 2010 in Betrieb genommen worden war, viel höher als erlaubt. "Die Baugenehmigung sah drei Stockwerke vor, aber tatsächlich hat es acht", teilt das Büro des Chefinspektors für Fabriken, Habibul Islam, mit.

Vor allem aber wird Kritik an westlichen Konzernen laut, die in Ländern wie Bangladesch produzieren lassen. Das deutsche Textilunternehmen C&A hatte beispielsweise in der betroffenen Fabrik 220.000 Sweatshirts für den brasilianischen Markt bestellt. Dass die Konzerne in Bangladesch produzierten, sei wünschenswert, sagen Gewerkschafter in Dhaka. Problematisch sei aber, dass sie sich von Prüffirmen die Sozial- und Sicherheitsstandards in den Fabriken zertifizieren ließen und sich ansonsten überhaupt nicht um die Situation vor Ort kümmerten. Tatsächlich seien die Arbeitsbedingungen viel schlechter, als die Kontrolleure bei ihren Besuchen feststellen könnten.

"Viele Fabrikbesitzer kaufen sich die Bescheinigung über die Einhaltung von Sicherheitsstandards, um so die ausländischen Kunden ruhigzustellen, die eh nur ein Interesse haben, möglichst billig an Ware zu kommen", sagt Phil Robertson von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Tazreen Fashion wurde nach Angaben der Eignerfirma Tuba Group von der US-Organisation WRAP zertifiziert. WRAP dementiert das allerdings auf Nachfrage.

Bestochene Prüfer, gefälschte Dokumente

Experten sind überzeugt, dass Zertifikate ohnehin nichts nützen. Studien zeigen, dass sich seit Einführung von sogenannten Audits Mitte der neunziger Jahre, als westliche Unternehmen mit den katastrophalen Arbeitsbedingungen in den Nähereien in Billiglohnländern konfrontiert wurden, nichts an den Sozial- und Sicherheitsstandards geändert hat.

"Inzwischen hat sich eine regelrechte Industrie von Sozialaudits entwickelt, in der Consulting-Unternehmen gut verdienen. Jährlich werden Tausende von Audits von Hunderten von Produzenten und Händlern in Auftrag gegeben", sagt Gisela Burckhardt von der deutschen Kampagne für Saubere Kleidung und Herausgeberin eines Buchs zum Thema Sozialstandards.

Burckhardt zufolge stellen solche Prüfungen lediglich "sichtbare und leicht zu korrigierende Aspekte wie fehlende Feuerlöscher, versperrte Fluchtwege, mangelnde Luftzirkulation und unzureichendes Licht" fest. "Wesentliche Probleme wie Fehlen der Organisationsfreiheit, erzwungene Überstunden, ausfallendes Benehmen von Aufsehern, Zurückhalten von Lohn und Krankheitsurlaub oder diskriminierende Praktiken bei Einstellung und Beförderung werden in der Regel jedoch gar nicht aufgedeckt."

Tatsächlich sind Prüfberichte nur eine Momentaufnahme und meist zu positiv, weil Besuche von Kontrolleuren mehrere Tage zuvor angekündigt werden - genügend Zeit also, um Fluchtwege freizuräumen, Dokumente zu fälschen und die Belegschaft unter Druck zu setzen, ja die richtigen Antworten zu geben. Manche Auditoren ließen sich zudem von Fabrikbesitzern bestechen, sagt Burckhardt. Sie erhielten daraufhin das gewünschte Zertifikat, "obwohl die Arbeitsbedingungen in der Fabrik dies keineswegs rechtfertigen".

Schuld ist der scharfe Wettbewerb in der Textilindustrie

Viel wichtiger als Zertifikate sei daher, die Belegschaft und das Management zu trainieren und zum Beispiel regelmäßige Feuerübungen zu machen, fordert Burckhardt. Außerdem müsse viel regelmäßiger die Lage geprüft werden. "Wir wissen schließlich genau, wo die Probleme liegen, aber wir tun nichts dagegen. Sobald die Auditoren weg sind, verschlechtert sich die Situation für die Beschäftigten in den Fabriken wieder."

Grund für die bestürzenden Bedingungen ist der scharfe Wettbewerb in der Textilindustrie. Bangladesch ist zweitgrößter Bekleidungsproduzent in der Welt, hinter China. Viele Konzerne bestellen dort anstatt in Indien oder Pakistan, weil Einfuhren aus Bangladesch, einem Entwicklungsland, zollfrei sind. Doch der Druck wächst, immer neue Fabriken entstehen in Vietnam und Kambodscha, wo zum Teil noch billiger produziert wird als in Bangladesch. Dabei verdient eine Arbeiterin in Bangladesch umgerechnet nur etwa 30 Euro im Monat.

Auch der deutsche Textildiscounter Kik ließ bis vor kurzem bei Tazreen Fashion fertigen. Michael Arretz, der für Nachhaltigkeit zuständige Geschäftsführer des Handelsunternehmens, fordert jetzt "mehr Einwirkungsmöglichkeiten" der ausländischen Handelsketten auf den Brandschutz in den Fabriken in Asien. "Es gibt Brandschutzprogramme, Informationsmaterial für Mitarbeiter wie Filme oder Plakate. Es ist alles da, um Großbrände zu verhindern. Aber ich sehe eine Umsetzungslücke."

Kik steht seit Jahren in der Kritik, sich nicht um die Arbeitsbedingungen der Menschen in den Produktionsstätten zu scheren. Erst im September war eine Fabrik im pakistanischen Karatschi abgebrannt, in der Kik Jeans herstellen ließ. Damals starben 259 Menschen.

Der amerikanische Einzelhandelskonzern Wal-Mart hat bereits bekannt gegeben, dass man von dem Unglücksunternehmen in Dhaka künftig keine Ware mehr beziehen werde.

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