Automesse IAA Wer ist der Grünste im ganzen Land?

Auf der IAA wollen sich die Autokonzerne umweltfreundlicher denn je präsentieren. BMW sollen künftig zur Hälfte aus Recyclingmaterial bestehen. Dennoch drohen massive Proteste.
BMW-Elektroauto i4, Vorstandsboss Zipse: »Relevant für den Klimaschutz ist ausschließlich das tatsächlich emittierte CO2«

BMW-Elektroauto i4, Vorstandsboss Zipse: »Relevant für den Klimaschutz ist ausschließlich das tatsächlich emittierte CO2«

Foto: Sepp Spiegl / imago images/sepp spiegl

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Eigentlich stehen BMW, Daimler und Volkswagen gut da. Viele Menschen kaufen wieder Autos, um überfüllte Züge und Busse zu meiden, oder um damit in den Urlaub zu fahren. Die Pandemie hat der individuellen Mobilität, die vielen bereits als Auslaufmodell galt, zu einem unverhofften Aufschwung verholfen. Die Konzerne schrieben im ersten Halbjahr wieder Gewinne, die höher lagen als 2019, dem Vorjahr der Coronakrise. Und dennoch: Echte Partystimmung will in den Tagen vor Beginn der Automesse IAA in München (7. bis 12. September) nicht aufkommen.

Denn trotz der jüngsten Erholung steht die Branche noch immer vor gewaltigen Herausforderungen. Die akute Knappheit an Computerchips zwingt die Hersteller immer wieder, die Bänder anzuhalten und Mitarbeiter in Kurzarbeit zu schicken. Hinzu kommt der Druck der Europäischen Union, den Wandel zur E-Mobilität weiter zu beschleunigen. Geht es nach den Brüsseler Politikern, soll ab 2035 kein Auto mit Verbrennungsmotor mehr verkauft werden.

»Nicht jeder wird den Wechsel erfolgreich schaffen.«

Markus Duesmann, Audi-Chef

Zwar haben die Konzerne längst reagiert und milliardenschwere E-Offensiven gestartet. Selbst ein Verbrenner-Aus ist für sie kein Tabu mehr. Audi beispielsweise hat angekündigt, ab 2032 keine Benzin- und Dieselfahrzeuge mehr herstellen zu wollen. Dennoch warnt Audi-Chef Markus Duesmann kurz vor der IAA vor den dramatischen Folgen des Wandels, vor allem für kleinere Hersteller: »Nicht jeder wird den Wechsel erfolgreich schaffen.« Aus seiner Sicht hängen einige Autohersteller und Zulieferer noch heute zu stark am Verbrennungsmotor. Tatsächlich wollen die Konzerne vor allem in anderen Weltregionen mit weniger strikten CO₂-Vorgaben noch auf viele Jahre hinaus Benziner und Diesel verkaufen.

Gleichzeitig hat in der Branche ein regelrechter Wettlauf um das grünste Auto begonnen. Denn ganz egal, wie viele Milliarden die Konzerne noch mit ihren Verbrennern verdienen: Immer mehr Politiker, Investorinnen und Kundinnen verlangen ein größeres Angebot an E-Autos. Und so werden BMW, Daimler und Volkswagen wieder eine ganze Reihe neuer Stromer vorstellen. BMW will die E-Limousine i4 präsentieren, Volkswagen das SUV-Coupé ID.5, Daimler seine elektrische E-Klasse EQE.

BMW will das Recycling-Auto bauen

Längst zählt jedoch nicht mehr nur der elektrische Antrieb. Kritische Käuferinnen und Aktionäre wollen außerdem wissen, woher die Materialien für Fahrzeug und Batterien kommen. Wie umweltfreundlich Elektroautos tatsächlich sind, dürfte eines der wesentlichen Diskussionsthemen auf den Messeforen in der Münchner Innenstadt sein.

BMW will mit der nächsten Modell-Generation den CO₂-Abdruck seiner Fahrzeuge nun deutlich reduzieren – und zwar nicht nur durch den Wechsel von Verbrenner- zu Elektromotoren. Erstmals setzt sich der Vorstand konkrete Ziele für die Verwendung sogenannter Sekundärmaterialien. Bislang enthalten die Autos von BMW im Durchschnitt weniger als 30 Prozent recycelte Werkstoffe. Nach Informationen des SPIEGEL aus Konzernkreisen soll diese Quote langfristig über alle Modellreihen hinweg auf mindestens 50 Prozent erhöht werden.

Um das Ziel zu erreichen, will BMW künftig mit dem Chemiekonzern BASF und dem Recycling-Spezialisten Alba zusammenarbeiten. Es geht vor allem um Kunststoffe, für die auf Dauer ein Kreislaufsystem etabliert werden soll.

BMW-Chef Oliver Zipse hatte bereits bei der Vorlage der Ergebnisse für das erste Halbjahr kritisiert, dass die Diskussion über den CO₂-Ausstoß zu sehr auf den Antrieb und die dadurch verursachten Emissionen in der Nutzungsphase des Autos fixiert sei. Dem Klima sei es »vollkommen egal«, ob ein Hersteller eine batterieelektrische oder technologieoffene Strategie verfolge. »Relevant für den Klimaschutz ist ausschließlich das tatsächlich emittierte CO₂ – und zwar gesamthaft: von den eingesetzten Rohstoffen und Materialien über den industriellen Fertigungsprozess, die aktive Nutzung eines Fahrzeugs bis hin zur Wiederverwertung der Rohstoffe.«

Heute macht die Nutzungsphase der Autos – also vor allem der Abgas-Ausstoß – etwa 70 Prozent der gesamten CO₂-Bilanz des BMW-Konzerns aus. Dieser Anteil sinkt, je mehr E-Autos verkauft werden, vor allem, wenn sie mit Grünstrom betrieben werden. Damit verschiebt sich das CO₂-Problem mehr und mehr auf die Lieferkette und den Ressourcenabbau.

Sekundärmaterialien sind in der Produktion deutlich weniger CO₂-intensiv. Allerdings muss schon der Bau der Fahrzeuge anders ablaufen, wenn die Wiederverwertungsquote steigen soll. So müssen die verwendeten Rohstoffe hochwertiger sein. Statt mit Klebern muss häufiger mit Steckverbindungen gearbeitet werden, um die Materialien zu schonen.

Einen deutlichen Schritt nach vorne will BMW beim Thema Recycling mit der »Neuen Klasse« machen, so nennt der Konzern die Modellgeneration, die von 2025 an auf den Markt kommt. Die Autos dieser Generation gehen im Schnitt zwar erst im Jahr 2040 ins Recycling, doch die Voraussetzungen dafür müssen bereits in den nächsten drei Jahren in der Entwicklung geschaffen werden. Auf ein genaues Datum für das Erreichen der 50-Prozent-Quote will sich BMW derzeit nicht festlegen.

Umweltaktivistinnen und Umweltaktivisten kritisieren derartige Versprechen als Greenwashing. Aktionsbündnisse wie »Sand im Getriebe« haben bereits Proteste angekündigt. Bei einem Camp auf der Theresienwiese werden mehrere Tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmer erwartet. Etlichen Aktivisten reichen die Elektro-Offensiven der Konzerne bei Weitem nicht aus. Sie fordern einen »Stopp der zerstörerischen Autoproduktion« und verweisen darauf, dass die Konzerne weiterhin vorzugsweise schwere, besonders viel Strom und Material fressende SUV verkaufen.

Die Nervosität in der Autoindustrie ist bereits groß. Manche Forderungen der Aktivisten mögen überzogen sein und nicht der Mehrheitsmeinung der Bevölkerung entsprechen. Und doch bergen sie für die Autoindustrie das Risiko, das neue, mühsam aufgebaute grüne Image der Autoindustrie zu beschädigen.

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