Weltweite Börsenturbulenzen "Die Märkte geraten außer Kontrolle"

Crash, Erholung, erneuter Absturz - wie kommt es zu den Turbulenzen an den Börsen? Der Finanzmarkt funktioniert nicht mehr, sagt der Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Trotzdem prophezeit David Folkerts-Landau dem Dax einen rasanten Aufstieg.
Aktienhändler in New York: "Kaskade des Versagens"

Aktienhändler in New York: "Kaskade des Versagens"

Foto: SPENCER PLATT/ AFP

Die jüngsten Kursstürze an den weltweiten Börsen sind für den Chefvolkswirt der Deutschen Bank ein Zeichen für die mangelnde Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte. "Der Absturz an den Märkten beruht nicht auf fundamentalen ökonomischen Veränderungen, sondern auf dem Zusammenbruch des normalen Marktmechanismus", sagte David Folkerts-Landau SPIEGEL ONLINE. "Die Märkte sind angeschlagen - und zwar grundlegend. Es gibt nicht genügend Liquidität."

Eine schwelende Krise in China hatte in den vergangenen Wochen zu dramatischen Abstürzen an den Weltbörsen geführt. In Deutschland war der Leitindex am Montag zeitweise um fast acht Prozent eingebrochen. Am Dienstag erholte sich der Dax wieder, an der New Yorker Wall Street setzte sich der Abwärtstrend aber fort.

Grund für die mangelnde Liquidität an den Börsen ist laut Folkerts-Landau vor allem die schärfere Regulierung der Banken. Besonders in den USA, aber auch in Europa wurde nach der Finanzkrise der Handel der Banken auf eigene Rechnung stark eingeschränkt. Nun fehlten die Banken als wichtiger Akteur an den Märkten, sagt Folkerts-Landau. "Wenn man keine Banken als Market Maker mehr hat, die kaufen können, wenn sonst keiner mehr kauft, dann kommt man in eine Kaskade des Versagens, und die Märkte geraten außer Kontrolle."

Trotz dieses angeblichen Marktversagens blickt der Chefvolkswirt sehr optimistisch auf die künftige Entwicklung des Aktienmarkts. Für langfristig orientierte Investoren sei "das gerade eine extrem gute Zeit, um einzusteigen", sagte Folkerts-Landau. "Beim Dax erwarte ich eine fast 20-prozentige Steigerung in den nächsten 18 Monaten."

Wie stark die Krise in China die deutsche Wirtschaft treffen könnte und warum es laut Folkerts-Landau in Zukunft immer häufiger Marktkrisen geben wird, lesen Sie im kompletten Interview.

SPIEGEL ONLINE: Herr Folkerts-Landau, in China stürzen die Aktienkurse ab. War es naiv zu glauben, wir würden von den Problemen in China verschont?

Folkerts-Landau: Wir müssen verstehen, was passiert ist. Die Fundamentaldaten, die den Aktienbewertungen zu Grunde liegen, haben sich nicht geändert. Das Wirtschaftswachstum in den USA und Europa ist intakt. Die Notenbanken kaufen weiter massenhaft Staatsanleihen auf und versorgen die Märkte mit Geld. Auch daran wird sich so schnell nichts ändern.

SPIEGEL ONLINE: Wenn alles in Ordnung ist, warum sind die Anleger weltweit dann so nervös?

Folkerts-Landau: In einer normalen Rezession fallen die Aktienkurse zwischen 18 und 25 Prozent. Das heißt: Der Kurssturz der vergangenen Wochen in Europa hat schon eine komplette Rezession vorweggenommen. Das macht aber überhaupt keinen Sinn! Der Absturz an den Märkten beruht nicht auf fundamentalen ökonomischen Veränderungen, sondern auf dem Zusammenbruch des normalen Marktmechanismus. Die Märkte sind angeschlagen - und zwar grundlegend. Es gibt nicht genügend Liquidität.

Zur Person
Foto: © Lisi Niesner / Reuters/ REUTERS

David Folkerts-Landau ist Chefvolkswirt der Deutschen Bank und Mitglied des erweiterten Vorstand (Group Executive Committee). Er wurde er 1949 im ostfriesischen Dorf Upleward geboren, wechselte aber schon mit 14 Jahren in ein schottisches Internat. Folkerts-Landau studierte in Harvard, promovierte in Princeton und lehrte in Chicago. Seit 1997 ist er bei der Deutschen Bank.

SPIEGEL ONLINE: Die Notenbanken pumpen massenhaft Geld ins System. An Liquidität sollte es also eigentlich nicht mangeln.

Folkerts-Landau: Am Montagmorgen gab es praktisch keinen Markt mehr. Es gab viele Verkäufer, aber keine Käufer. Es fehlen Marktteilnehmer, die solche Schocks absorbieren könnten. Früher waren das die großen Banken. Aber wegen der neuen Regulierungsvorschriften, wie der Volcker Rule in den USA, dürfen die mittlerweile keinen Eigenhandel mehr betreiben.

SPIEGEL ONLINE: Die Bankenregulierung soll Schuld sein am Aktiencrash?

Folkerts-Landau: Wenn man keine Banken als Market Maker mehr hat, die kaufen können, wenn sonst keiner mehr kauft, dann kommt man in eine Kaskade des Versagens, und die Märkte geraten außer Kontrolle. Vielleicht werden die Schattenbanken, also zum Beispiel Hedgefonds, diese Rolle einmal übernehmen, aber das wird noch etwas dauern.

SPIEGEL ONLINE: Heißt das, wir werden noch viele solcher Marktkrisen haben?

Folkerts-Landau: Ja, davon gehe ich aus. Und wir müssen uns fragen, wie wir mit solch instabilen Märkten umgehen.

SPIEGEL ONLINE: Wird es in den kommenden Wochen noch weiter runtergehen an den europäischen Märkten?

Folkerts-Landau: Im Grunde haben wir den Boden erreicht. Es kann noch mal einen Tag ein paar Prozent runtergehen. Aber sobald das Problem der fehlenden Liquidität gelöst ist und das normale Handelsverhalten wieder etabliert ist, werden wir eine deutliche Aufwärtsbewegung sehen.

SPIEGEL ONLINE: Sie raten Anlegern also, jetzt einzusteigen?

Folkerts-Landau: Für langfristig orientierte Investoren, die sich nicht um das tägliche Auf und Ab kümmern, ist das gerade eine extrem gute Zeit, um einzusteigen. Wenn der Dax 20 Prozent fällt, ist das für alle Investoren eine außergewöhnliche Kaufgelegenheit. Beim Dax erwarte ich eine fast 20-prozentige Steigerung in den nächsten 18 Monaten. Und auch mit dem S&P 500 in den USA und dem Nikkei-Index in Japan wird es wieder deutlich nach oben gehen.

SPIEGEL ONLINE: Einziges Mittel gegen den Abwärtstrend scheinen weitere Zinssenkungen und noch billigeres Geld zu sein. Der Dax ist am Dienstag erst so richtig nach oben gegangen, als die chinesische Zentralbank die nächste Zinssenkung verkündete.

Folkerts-Landau: Einen großen Teil der Dax-Gewinne gab es schon vor der Entscheidung der chinesischen Zentralbank. Diese hat nur noch mal einen zusätzlichen Schub gegeben. Die Zinsen am chinesischen Geldmarkt sind auch noch relativ hoch - verglichen mit Europa oder den USA. Deshalb glaube ich, dass wir dort noch weitere Zinssenkungen sehen werden. Wichtiger wird sein, dass China die öffentlichen Ausgaben weiter erhöhen wird, um die Wirtschaft anzukurbeln. Das ist traditionell recht erfolgversprechend. Und die Chinesen haben das Geld dafür.

SPIEGEL ONLINE: Das klingt alles so optimistisch. Aber die Krise in China ist ja nicht nur eine Finanzmarktkrise. Das Land hat echte Probleme. Soll das wirklich keine Auswirkungen auf Europa haben?

Folkerts-Landau: Es gibt natürlich Auswirkungen, aber die sind nicht so stark, wie es der Einbruch am Aktienmarkt suggeriert. Durch die Abwertung des Yuan werden die Importe sinken - das heißt: Es werden weniger deutsche Autos und Maschinen in China verkauft und weniger französischer Wein. Dadurch wird das Wachstum in Europa geringer ausfallen. Aber das ist keine Katastrophe. China wird weder Deutschland noch die Eurozone zurück in die Rezession stürzen.

SPIEGEL ONLINE: Nicht nur China lahmt, auch andere große Schwellenländer wie Brasilien und Russland haben gewaltige Schwierigkeiten. Noch dieses Jahr will die US-Notenbank Fed die Zinsen erhöhen, was es für Investoren noch attraktiver machen wird, ihr Geld aus diesen Schwellenländern abzuziehen und in die USA zu bringen.

Folkerts-Landau: Das stimmt. Wenn Sie nach Ärger in der Weltwirtschaft suchen, schauen Sie nicht nach Europa. Schauen Sie auf die Schwellenländer. Die werden das Thema der beiden kommenden Jahre sein. Brasilien, Russland, Malaysia - sie alle werden Probleme bekommen, wenn die USA damit beginnen, die Zinsen anzuheben.

SPIEGEL ONLINE: Man kann sich kaum vorstellen, dass dies die deutschen exportorientierten Unternehmen nicht treffen wird.

Folkerts-Landau: Es wird sie treffen. Deutschland ist ein wichtiger Exporteur für die Schwellenländer. Wenn es dort Probleme gibt, wird das Deutschland treffen, beim Wachstum und auf dem Arbeitsmarkt. Die deutsche Wachstumsrate wird vielleicht von 1,5 Prozent auf 1,1 Prozent sinken, aber Deutschland wird deswegen nicht in die Rezession rutschen.

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