Kurssturz an den Aktienmärkten "Das System ist extrem fragil"

Die Wirtschaft läuft bestens, doch an den Börsen herrscht große Nervosität. Der Ökonom Thomas Mayer erklärt, warum die Europäische Zentralbank im Zentrum der Turbulenzen steht - und wie Kleinanleger reagieren sollten.
Foto: RALPH ORLOWSKI/ REUTERS

SPIEGEL ONLINE: Herr Mayer, der Dow Jones   ist zu Wochenbeginn abgestürzt, auch in Europa und Asien geben die Kurse nach. Ist der große Börsenhype vorbei?

Mayer: Die Sorge vor einem Ende des Booms lag die ganze Zeit wie eine Regenwolke über uns. Jetzt hat sie mal abgeregnet. Aber die Märkte sind weiterhin wie Drogenabhängige auf das billige Geld der Notenbanken angewiesen.

SPIEGEL ONLINE: Also eher ein kurzes, reinigendes Gewitter?

Mayer: An den Märkten bleibt die Furcht, dass die Zentralbanken sie nicht mehr so reichlich mit frischem Geld versorgen. Und wenn man befürchtet, dass man in den Entzug muss, dann haut man schon mal im eigenen Haus die Möbel kurz und klein.

SPIEGEL ONLINE: Aber warum dann gerade jetzt? Die US-Notenbank Fed hat zuletzt den Leitzins konstant gehalten, die Europäische Zentralbank (EZB) hält bisher an ihrer Politik der Ultra-Niedrigzinsen fest.

Mayer: Es ist so ähnlich wie beim sogenannten Schmetterlingseffekt. Die Chaostheorie besagt, dass alles mit allem zusammenhängt und schon ein kleiner Flügelschlag eine Kettenreaktion auslösen kann. An den Finanzmärkten hängt ja schon seit Längerem was in der Luft. Es gibt eine Debatte über die gute wirtschaftliche Entwicklung in den USA und in der Eurozone. Mit der starken Konjunktur zieht aber auch die Inflation wieder an. Und damit beginnt die Diskussion darüber, dass die EZB aus ihrer Niedrigzinspolitik aussteigen muss. Hinzu kommen technische Faktoren. Beim automatisierten Handel entscheiden Computer über Kauf und Verkauf von Aktien. Das sorgt für heftige Ausschläge.

Zur Person
Foto: imago/Gerhard Leber

Thomas Mayer leitet die Denkfabrik der Vermögensverwaltung Flossbach von Storch. Bis 2012 war er Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Davor arbeitete er unter anderem für Goldman Sachs und den Internationalen Währungsfonds (IWF). Der 64-jährige Ökonom rechnete in seinem Buch "Die neue Ordnung des Geldes - Warum wir eine Geldreform brauchen" mit seiner Zunft ab und entwarf einen Plan für eine neue Finanzordnung.

SPIEGEL ONLINE: In den USA ist auch von einem sogenannten "Flash Crash" die Rede.

Mayer: Ein "Flash Crash" ist immer technisch bedingt, etwa eine falsche Eingabe und ein daraus folgender Einbruch im computergestützten Handel. Aber der aktuelle Absturz ist nicht rein technisch bedingt. Das Grundproblem ist die Sorge vor einem Ende des billigen Geldes.

SPIEGEL ONLINE: Die Computer leisten also ihren Beitrag, aber die Probleme liegen tiefer. Dabei war doch die Stimmung etwa zuletzt auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos gar nicht so schlecht. US-Präsident Donald Trump etwa durfte sich von Managern Glückwünsche für seine Steuerreform abholen.

Mayer: Davos ist eigentlich immer ein Kontra-Indikator. Was auch immer die Leute in Davos sagen - es geht meist an der Realität total vorbei. Die wirtschaftliche Lage ist ja nicht schlecht. Die Konjunktur in den USA läuft gut und die Steuerreform von Trump befeuert das noch. Auch Deutschland boomt. Aber damit dürfte die Inflation auch steigen. Und das ist das Problem. Denn im Zentrum des aktuellen Absturzes steht die EZB. Sie hängt mit ihrer Geldpolitik der aktuellen Entwicklung total hinterher. Darum flippt der Markt aus. Und die US-Notenbank Fed hat die Zinsführerschaft verloren.

SPIEGEL ONLINE: Inwiefern?

Mayer: Während die Fed bereits seit Ende 2015 daran arbeitet, in der Geldpolitik zur Normalität zurückzukommen, fahren die europäische und die japanische Notenbank weiter auf Vollgas und versorgen den Markt mit frischem Geld. Sie haben sich in ihrer Geldpolitik verfangen. Diese funktioniert nur, solange die Inflation nicht steigt.

SPIEGEL ONLINE: Welche Instrumente hat die EZB dann jetzt, um die Investoren an den Finanzmärkten wieder zu beruhigen?

Mayer: Sie wird zunächst heilige Eide darauf schwören, dass sie keine restriktive Geldpolitik einschlagen wird. Sie wird die Zinsen niedrig halten müssen, obwohl die Inflation steigt. Denn das System ist extrem fragil. Wenn die Zinsen wieder steigen, kehrt sofort die Schuldenkrise in Europa wieder zurück. Länder wie Italien kommen angesichts ihrer hohen Staatsverschuldung sofort wieder in die Bredouille. Die EZB kann der Inflation gar nicht Herr werden, ohne eine Rezession auszulösen.

SPIEGEL ONLINE: Und wie lange kann das gut gehen?

Mayer: Das lässt sich nicht sagen. Irgendwann werden sich die Erklärungen der Notenbanken erschöpfen. Dann könnte es einen großen Vertrauensverlust beim Geld geben.

SPIEGEL ONLINE: Und welche Strategie kann ich als Privatanleger fahren, um möglichst unbeschadet durch diese Turbulenzen zu kommen?

Mayer: Privatanleger sollten mit einem langen Zeithorizont im Aktienmarkt aktiv sein. Wer Geld in Aktien steckt, sollte keinen Bedarf haben, darauf schnell zugreifen zu müssen. Ein kluger Privatanleger steckt also nur so viel Geld in den Aktienmarkt, dass er Turbulenzen erträgt. Es gibt keinen Grund, bei den aktuellen Verwerfungen kurzfristig zu reagieren. Denn typischerweise verkaufen Privatanleger dann, wenn es am düstersten ist. Und wenn sie aussteigen, dann müssen sie zweimal den richtigen Zeitpunkt erwischen. Denn irgendwann stellt sich die Frage: Wann steige ich wieder ein?

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