
Bohrloch-Desaster BP fürchtet Kosten von 50 Milliarden Dollar
London - Der britische Energiekonzern BP wappnet sich für die explodierenden Folgekosten der Ölpest im Golf von Mexiko. Laut "Sunday Times" will das Unternehmen 50 Milliarden Dollar auftreiben. Es gehe darum, ausreichend Barreserven für mögliche Schadensersatzforderungen zur Verfügung zu haben. Direktoren des Konzerns hätten dem Plan bereits zugestimmt, berichtet die Zeitung.
Zunächst hatte BP nur 20 Milliarden Dollar für einen Treuhandfonds zugesichert, der den Opfern der Ölpest helfen soll. Tatsächlich geht der Konzern nun offenbar davon aus, dass die Folgekosten der Katastrophe zweieinhalb Mal so groß ausfallen könnten.
Dem Bericht zufolge will BP die Summe von 50 Milliarden Dollar auf drei Arten zusammenbekommen:
- Ein Verkauf von Anleihen soll 10 Milliarden Dollar in die Kassen spülen. Die Papiere sollen schon in der kommenden Woche auf den Markt gebracht werden.
- Außerdem will der Konzern an den Kreditmärkten Darlehen in Höhe von 20 Milliarden Dollar aufnehmen.
- Weitere 20 Milliarden Dollar sollen durch den Verkauf von Vermögenswerten in den kommenden zwei Jahren eingenommen werden. Mit anderen Worten: Der Konzern will sein Tafelsilber verscherbeln.
Der Ölmulti wollte den Bericht nicht kommentieren. Bislang hatte BP stets betont, der Konzern sei finanziell stark genug aufgestellt. Aufsichtsratschef Carl-Henric Svanberg verwies mehrfach darauf, dass die Firma über "einen außergewöhnlich soliden Kassenstand" verfüge.
Analysten warnten allerdings davor, dass die Kosten der Umweltkatastrophe explodieren könnten. Manche Experten fürchten gar einen Betrag von bis zu 100 Milliarden Dollar. Bisher hat BP erst 104 Millionen Dollar an Entschädigungen ausgezahlt. Dabei erhielt das Unternehmen bereits 64.000 Klagen.
Das Öl sprudelt, der BP-Boss geht segeln
Die unsichere Lage spiegelt sich auch im BP-Aktienkurs wider. So ist der Börsenwert des Energieunternehmens seit Bekanntwerden der Ölpest vor knapp neun Wochen um mehr als 40 Prozent geschrumpft. Die Rating-Agenturen Fitch und Moody's stuften die Kreditwürdigkeit des Konzerns herab. Das BP-Management strich die Dividendenzahlung an die Aktionäre für dieses Jahr.
Zur Begründung des 50-Milliarden-Dollar-Plans heißt es denn auch laut "Sunday Times", BP wolle wieder das Vertrauen der Anleger zurückgewinnen.
Wie verfahren die Lage ist, zeigt sich auch in der Debatte um BP-Vorstandschef Tony Hayward. Der Ölkonzern sah sich am Wochenende gezwungen, Berichte über eine Ablösung des Managers zu dementieren. Auslöser waren Äußerungen von BP-Aufsichtsratschef Svanberg, die für Verwirrung sorgten. Er sagte dem Sender Sky News am Freitagabend, Hayward übergebe das Tagesgeschäft an Bob Dudley.
Eine BP-Sprecherin sagte dazu, Svanberg habe sich lediglich auf die Aufgabenverteilung bei der Bewältigung der Ölkatastrophe bezogen, aber keinen Austausch von Hayward an der Spitze des Konzerns angekündigt. "Er wird nicht zurücktreten, das kam sehr missverständlich rüber." Svanberg versicherte, auch er wolle sich nun persönlich stärker um die Ölkatastrophe kümmern.
Besonders pikant: Hayward nahm am Samstag an einem Yachtrennen um die Isle of Wight teil. Dort startete das Schiff "Bob", das der Vorstandschef mitbesitzt.
Der Stabschef im Weißen Haus, Rahm Emanuel, kommentierte dies am Samstag mit beißendem Spott: "Ich glaube, wir kommen alle zu dem Schluss, das Tony Hayward nicht vor einer Zweitkarriere als PR-Berater steht."
Auch Obama gerät immer stärker in die Kritik
Allerdings entwickelt sich die Ölpest auch zu einem PR-Desaster für Barack Obama. Küstenbewohner von Louisiana bis Florida reagierten empört darauf, dass sich der US-Präsident zusammen mit Vizepräsident Joe Biden am Samstag bei einer Runde Golf entspannte. In Twitter-Diskussionen wurde ihr Verhalten mit dem von Hayward verglichen. In einer aktuellen Umfrage bezeichneten 52 Prozent der Amerikaner Obamas Krisenmanagement als unzureichend.
Für BP kommt nun noch ein Rechtsstreit erschwerend hinzu. So steuert der Konzern auf eine juristische Auseinandersetzung mit seinem Partnerunternehmen Anadarko zu. Laut "Sunday Times" bereitet sich BP auf rechtliche Schritte gegen Anadarko vor.
Anadarko ist zu 25 Prozent an der Krisen-Ölquelle im Golf von Mexiko beteiligt, das japanische Unternehmen Mitsui & Co. zu zehn Prozent. BP hält die restlichen 65 Prozent. Anadarko-Chef Jim Hackett hatte am Freitag BP die volle Schuld an dem Umweltdesaster zugewiesen. "Die auftauchenden Hinweise zeigen klar, dass diese Tragödie vermeidbar und das direkte Ergebnis der rücksichtslosen Entscheidungen und Handlungen von BP war", erklärte er in New York. BP wies die Kritik zurück und forderte eine Beteiligung von Anadarko an den Kosten der Ölpest.
Die Krise könnte auch langfristige Folgen für die strategische Ausrichtung von BP haben. Die Wochenzeitung "The Observer" berichtet, der Konzern verkaufe möglicherweise seine Anteile an Ölbohrungen in der Nordsee sowie Anteile an Dutzenden Ölförderprojekten, bei denen das Unternehmen nicht die Oberaufsicht hat.
Schätzungen zur austretenden Ölmenge erhöhen sich weiter
Das Ausmaß der Katastrophe ist auch zwei Monate nach dem Untergang der Bohrplattform "Deewater Horizon" nicht absehbar. Die Schätzungen zur Ölmenge, die aus dem defekten Bohrloch austritt, erhöhen sich immer weiter. Nach BP-Angaben könnte noch deutlich mehr Öl austreten als bislang angenommen. Im schlimmsten Fall müsse von bis zu 100.000 Barrel (15,9 Millionen Litern) pro Tag ausgegangen werden, heißt es in einem undatiertem, internen BP-Dokument, das der US-Kongressabgeordnete Ed Markey am Sonntag veröffentlichte. Anfangs hatte es noch geheißen, es strömten wohl nur bis zu 1000 Barrel Öl pro Tag ins Meer.
Die neuen Zahlen übertreffen selbst das "Worst Case Scenario" der US-Regierung bei weitem, das von maximal 60.000 Barrel ausging. Sollte das Leck tatsächlich so groß sein, wäre in den mehr als 60 Tagen seit Beginn der Katastrophe am 20. April inzwischen fast eine Milliarde Liter Öl ausgetreten. Der Großteil davon ist ins Meer geflossen und hat zur größten Umweltkatastrophe in der Geschichte der USA geführt.
"Das Dokument wirft die sehr beunruhigenden Fragen auf, was BP gewusst hat und wann sie es gewusst haben", teilte Markey mit. "Es ist klar, dass BP von Anfang an in Bezug auf das wirkliche Ausmaß des Öl-Lecks nicht ehrlich mit der Regierung und dem amerikanischem Volk umgegangen ist."
BP erklärte, die Zahlen aus dem Dokument seien nicht relevant. Sie bezögen sich auf den Fall, dass das Absperr-Ventil am Bohrloch (BOP) entfernt worden wäre - was aber nicht geschehen sei. Ein BP-Sprecher wies die Vorwürfe zurück. Der Konzern habe die austretende Ölmenge nicht unterschätzt: "Wir haben immer gesagt, wir würden mit jedem Volumen beim Ölausfluss umgehen - und genau das tun wir", sagte der Sprecher
BP ist es noch nicht gelungen, das Loch zu schließen. Seit kurzem wird aber ein Teil des Öls aufgefangen. Außenstehende Experten sagten, es sei kaum möglich, die genaue Menge des ausströmenden Öls zu bestimmen. Hierzu müssten Gegebenheiten wie der Druck in der Ölquelle und geologische Verhältnisse bekannt sein.