Boom der Krisen-Fonds Wetten auf die Apokalypse

Katastrophen und Finanzkrisen haben einen neuen Typus von Spekulanten geschaffen: Sie setzen auf Horror-Szenarien und zocken ab, wenn der seltene Ernstfall eintritt. Kritiker warnen Anleger jedoch vor zu viel Gier - die Fonds sind teuer und unvernünftig.
Wall-Street-Händler: Warten auf den nächsten Crash

Wall-Street-Händler: Warten auf den nächsten Crash

Foto: Justin Lane/ dpa

Der kalifornische Hedgefondsmanager Mark Spitznagel freut sich, wenn andere leiden. Er freut sich, wenn Griechenland der Pleite näher rückt. Er freut sich, wenn die US-Konjunktur einbricht. Er freut sich, wenn der Nahe Osten im Chaos versinkt.

Spitznagels Universa Investments, beheimatet im kalifornischen Santa Monica, bewegt insgesamt mehr als sechs Milliarden Dollar. Nur rund 15 Privatinvestoren sind dabei, mit je mindestens 50 Millionen Dollar. Sie setzen nicht auf einen Boom, sondern auf den nächsten Crash. Ihre Hoffnung: dass die Weltbörsen von einer neuen Katastrophe erschüttert werden.

Ende 2008 zum Beispiel, auf dem Höhepunkt der globalen Finanzkrise, konnte Spitznagel den Einsatz seiner Klienten verzehnfachen. Es ist ein Spiel, das enorme Geduld erfordert. Er kümmere sich nicht um kurzfristige Ergebnisse, sagte Spitznagel, 40, dem Magazin "Forbes". Für ihn zählten langfristige Profite, was nötig sei, wenn man auf seltene Ereignisse spekuliere.

Universa Investments ist einer jener riskanten Fonds, die mit dem Undenkbaren jonglieren - Krisen, Crashs, Desaster. "Schwarze Schwäne" nannte der Wertpapierhändler und Essayist Nassim Nicholas Taleb diese Ereignisse bereits 2007, in Anspielung auf das zoologische Kuriosum des dunklen Federtiers. Talebs Buch "The Black Swan" ("Der Schwarze Schwan") wurde zum weltweiten Mega-Bestseller.

Nun haben die danach benannten Black Swan Funds Hochkonjunktur, zumindest in den Medien und auf den US-Finanzblogs, dem Flurfunk der Wall Street. Die "New York Times" propagierte sie neulich in einem großen Artikel als "neue Investmentstrategie" für den Fall, "dass der Himmel einstürzt", und illustrierte das mit einem Foto behelmter Polizisten, die in Athen auf zivile Demonstranten eindreschen.

Die Idee: Setze auf den Ernstfall - und zocke ab

Denn nach einem Jahr voller politischer, gesellschaftlicher und finanzieller Katastrophen - von Japans Beben- und Atomdesaster bis zum Beinahe-Kollaps Griechenlands - lohnt es sich jetzt wohl auch für immer mehr Wall-Street-Haie, mit dem Unberechenbaren zu rechnen. "Die Klienten erkennen plötzlich, dass die Welt nicht so rosig ist, wie sie mal war", sagte der Hedgefondsmanager Ahmed Fattouh der "New York Times". "Es ist sinnvoll, sich gegen solche Risiken zu abzusichern."

Dabei ist die Idee keineswegs neu. Schon lange gilt: Während der Großteil der Investoren ordentlich Geld verliert, kassieren die Wenigen, die auf genau diese Katastrophe gesetzt haben, kräftig ab. "Investoren müssen sich auf das Unvorhersehbare vorbereiten", schrieb Reinhold Hafner, ein Risikomanager für die Versicherungsgruppe Allianz, bereits 2009 in einem Essay für Anleger.

Die jüngste Finanzkrise widerlegte die alte Investment-Strategie der Diversifikation, bei der das Anlagerisiko weitmöglichst gestreut wird, über Aktien, Immobilien, Anleihen und andere Portfolios. Die "Armageddon-Fonds" bieten eine Alternative: Setze auf den schlimmstmöglichen Erstfall - und zocke ab.

Das ist vor allem für eine neue Investoren-Generation attraktiv, die bereits viel hinter sich hat: Die Spekulanten haben eine historisch einmalige Abfolge von Krisen erlebt, was ihr Denken und Handeln nachhaltig beeinflusst. "Überraschende Ereignisse haben größere Auswirkungen", sagt Spitznagel, "da die Vernetzung der Welt die Folgen vervielfacht."

Die Weltuntergangsfonds boomen

Wall-Street-Insider berichten von einem regelrechten Boom an "Weltuntergangs-Fonds". Selbst bundesstaatliche Pensionsfonds erwägen demnach, in das windige Geschäft einzusteigen. Wie groß der Markt ist, weiß keiner, Insider sprechen von dreistelligen Milliardensummen. Allein beim weltgrößten Anleihe-Giganten Pimco verdoppelten sich die derart investierten Gelder 2010 auf 23 Milliarden Dollar.

Die Black Swan Funds, die im Prinzip einer Katastrophenversicherung ähneln, sind jedoch kompliziert und teuer - verschachtelte Konstrukte aus Anleihen, Optionen und Futures, die stürzende Indizes in steigende Rendite umwandeln sollen. Das erfordert viel Geduld: In den Flautezeiten zwischen den Börsenbeben verlieren die Anleger jeden Tag Geld. "Man muss schon ein bisschen verrückt sein", sagte Spitznagel der "New York Times".

Boaz Weinstein, der berüchtigte Ex-Trader der Deutschen Bank, der während der Finanzkrise mehr als eine Milliarde Dollar in den Sand setzte, begann demnach Ende 2010, für einen "Armageddon-Fonds" zu sammeln. Bisher habe er knapp eine halbe Milliarde Dollar zusammen, überwiegend von institutionellen Investoren.

Doch nicht alle sind begeistert. "Unlauter" nennt Brett Arends, ein Finanzkolumnist fürs "Wall Street Journal", die Schwanenfonds. "Das ist so, als ginge der städtische Pyromane von Tür zu Tür und verkaufe Feuerversicherung."

Kritiker warnen vor Gier statt Vernunft

Kritiker verweisen unter anderem auf die enormen Kosten und Gebühren. Die Manager solcher Fonds, so Arends, bereicherten sich, "indem sie ihren Klienten allein fürs Atmen im Schnitt zwei Prozent im Jahr abknöpfen" - und bei jedem Gewinn dann noch mal 20 Prozent.

"Ich komme nicht umhin, mich zu fragen, ob das Verlangen nach diesen Absicherungen nicht eher in Gier wurzelt statt in Furcht", warnt auch James Montier, ein Stratege bei der Investmentfirma GMO. Die Idee "entbehrt jeder Investmentvernunft", der jüngste Hype sei zudem kontraproduktiv: "Man sollte eine Versicherung kaufen, wenn sie keiner will - und nicht, wenn jeder davon begeistert ist."

In der Tat widersprechen die neuesten Crash-Fonds genau der These des Mannes, nach dem sie benannt sind. Nassim Nicholas Talebs Hauptkritik an der Wall Street ist ja, dass sie stets zurückschaut und das plötzliche Chaos rückwirkend in ihre alten Erklärmuster presst: "Schwarze Schwäne" widersprächen aber jeglichen Wahrscheinlichkeitsrechnung - und damit auch den ausgefeilt-mathematischen Logarithmen der Hedgefondsgurus. Schon 1999 hatte Taleb selbst so einen Fonds gegründet - und gemerkt, dass die meisten Investoren die Kosten nicht durchhalten.

Die Frage ist ja auch: Gegen welches Desaster sichert man sich nun ab? Naturkatastrophen? Kriege? Finanz-Crashs? "Es wäre dumm, wenn man eine Feuerversicherung gekauft hat", schreibt Wall-Street-Kolumnist Arends, "und dann wacht man auf und stellt fest, dass der Keller unter Wasser steht."

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