Strukturwandel Deutschland hat nur noch 20.000 Braunkohle-Jobs

Lange war die Braunkohle ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Deutschland. Doch mittlerweile arbeiten in der Branche laut einer neuen Studie nur noch wenige Menschen. Doch die mächtige Lobby kämpft weiter um ihre Pfründe.
Braunkohlekraftwerk in Sachsen

Braunkohlekraftwerk in Sachsen

Foto: Jan Woitas/ picture alliance / dpa

In der hoch mechanisierten deutschen Braunkohlewirtschaft gibt es laut einer Studie nur noch rund 20.000 Arbeitsplätze. Und rund 40 Prozent der Arbeitnehmer im Sektor sind mindestens 50 Jahre alt. Dies sind die zentralen Ergebnisse der Untersuchung "Arbeitsplätze in Braunkohleregionen - Entwicklungen in der Lausitz, dem Mitteldeutschen und Rheinischen Revier", die das Berliner Beratungshaus Arepo Consult im Auftrag der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen erstellt hat.

Mit der Studie versuchen die Grünen, im Bundestagswahlkampf ihre Forderung nach einem schnellen Ende der Förderung und Verstromung der klimaschädlichen Braunkohle zu untermauern. Die Große Koalition hat noch keinen konkreten Ausstiegsbeschluss gefasst - auch aus Sorge vor Arbeitsplatzverlusten. Nach Plänen von Schwarz-Rot soll von 2018 an zunächst eine Kommission ermitteln, wie der Strukturwandel in den drei Braunkohlerevieren organisiert und finanziert werden kann. Die Studie zeige aber, "dass der Strukturwandel auch im Braunkohlesektor längst Tatsache ist", schreiben die Autoren von Arepo Consult.

Seit der Wiedervereinigung ist demnach die Zahl der Arbeitsplätze in Braunkohlegruben und -kraftwerken drastisch gefallen, von mehr als 115.000 auf nur noch knapp 20.000, das sind weniger als 0,07 Prozent aller Beschäftigten hierzulande. Zum Vergleich: Im Ökostrom-Sektor arbeiten laut dem Bundesverband Erneuerbare Energien etwa 330.000 Menschen. Der Bundesverband Braunkohle wies auf Anfrage darauf hin, dass seine Unternehmen auch für Beschäftigung bei Zulieferern sorgten und spricht von insgesamt etwa 50.000 Arbeitsplätzen. Aber selbst das wäre bundesweit ein Anteil von weniger als 0,2 Prozent an allen Beschäftigten.

Tagebau und Kraftwerke sind hoch mechanisiert

Menschen sieht man in den Tagebauten nur noch vereinzelt. Mit gewaltigen Schaufelradbaggern kratzen die Betreiber RWE, Leag und Mibrag die kilometerlangen Mondlandschaften aus, auch die Kraftwerke sind hoch mechanisiert. Selbst in den vier betroffenen Bundesländern Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt liegt der Anteil der Braunkohle-Arbeitsplätze an allen Beschäftigten laut Studie unterhalb von einem Prozent.

Zugleich bauen sich Branchengrößen wie die Mibrag-Gruppe bereits neue Geschäftsfelder auf. Das im Mitteldeutschen Revier ansässige Bergbauunternehmen hat eine Reihe von Firmen gegründet, die etwa Ingenieurs- und Bohrdienstleistungen anbieten oder Garten- und Landschaftsbau betreiben. Ebenso zeige das Beispiel Mibrag, argumentiert die Studie, dass auch nach dem Ende der Kohleförderung viele Arbeitsplätze erhalten bleiben: für die Sanierung und Renaturierung der Tagebaue.

"Der Strukturwandel ist in vollem Gange", sagt Annalena Baerbock, klimapolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. "Aufgabe der Politik ist es, diesen zu gestalten, damit die Menschen in der Region nicht in der Luft hängen." Baerbock fordert, dass der Staat einen Fonds schafft, der den betroffenen Gebieten Geld für neue Infrastruktur, Forschungszentren sowie Unternehmensgründer bereitstellt. Und Parteichef Cem Özdemir kündigt an, die Grünen würden "direkt nach der Bundestagswahl den Einstieg in den Kohleausstieg angehen". Sofern sie trotz ihrer schwächelnden Umfragewerte an die Regierung kommen, versteht sich.

Grüne legen sich auf Ausstiegsdatum fest

Anders als Union und SPD hat sich die Öko-Partei schon auf ein konkretes Ausstiegsdatum festgelegt. Nach monatelangen parteiinternen Kämpfen einigten sich die Grünen auf ihrem Wahlparteitag Mitte Juni auf das Jahr 2030.

Viele Energieexperten halten dieses Datum für unrealistisch - auch wenn Erneuerbare Energieträger heute schon rund ein Drittel des Stroms liefern. Die Produktion von Wind- und Solarstrom schwankt mit dem Wetter, und es mangelt an Speichern, um den Strom in Zeiten hoher Produktion und geringer Nachfrage für einen späteren Verbrauch zu konservieren. Damit ist auf absehbare Zeit keine Rund-um-die-Uhr Versorgung der Industrie mit Grundlaststrom zu gewährleisten. "Es geht nicht nur um Arbeitsplätze, sondern auch um die Versorgungssicherheit", sagt Claus Kuhnke, Mitglied der Geschäftsführung des Bundesverbandes Braunkohle. Der Anteil der Braunkohle an der Stromerzeugung betrage im Schnitt noch ein knappes Viertel - sei aber in Spitzenzeiten weitaus höher.

Am 24. Januar etwa, als bundesweit kaum Wind wehte und wenig Sonne schien, herrschte in Deutschland die sogenannte Dunkelflaute: die Ökostromanlagen lieferten über weite Teile des Tages nur etwa ein Zehntel des gesamten Elektrizitätsbedarfs. Ohne zusätzlichen Strom aus Gas-, Kohle- und Atomkraftwerken hätte das nicht annähernd gereicht. Die Versorgung der Republik war allerdings selbst an diesem Tag nicht ernsthaft gefährdet, denn noch immer standen viele Gaskraftwerke still. Die flexiblen Gaskraftwerke sind nicht nur wesentlich emissionsärmer als Kohlemeiler; sie lassen sich auch viel schneller hochfahren. Allerdings sind sie zurzeit auch teurer.

Mächtige Braunkohle-Lobby

Einen Vorgeschmack darauf, wie politisch heikel und kostspielig der Ausstieg aus der Braunkohle werden könnte, zeigt der Streit um die sogenannte Kraftwerksreserve im Jahr 2015. Ursprünglich wollte der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) zum Klimaschutz besonders dreckigen Meilern zusätzliche Abgaben aufbürden. Daraufhin ließen der mächtige Chef der Bergbaugewerkschaft IG BCE Michael Vassiliadis und die Konzerne rund 15.000 Kumpel und deren Angehörige in Berlin vor Wirtschaftsministerium und Kanzleramt aufmarschieren.

Am Ende gewann die Lobby. Die Konzerne und die Politik einigen sich nach monatelangem Geschacher darauf, neun teils überalterte Meiler schrittweise stillzulegen. Im Gegenzug erhalten die Unternehmen als Vorruhestandsprämie für ihre oft längst abgeschrieben Uralt-Kraftwerke insgesamt 1,6 Milliarden Euro.

Aus der geplanten Klimaabgabe ist ein Subventionspaket für die Versorger geworden. Die Zeche zahlen müssen die Stromverbraucher: über höhere Netzentgelte. Und die Allgemeinheit wird wohl auch den großen Braunkohleausstieg finanzieren. Der wird, wenn er jemals kommt, mit Sicherheit um ein Vielfaches teurer.

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