Fehler beim Bundeswehr-Beschaffungsamt Kartellamt kritisiert offenbar Vergabe des neuen Sturmgewehrs

Dem Beschaffungsamt der Bundeswehr sind bei einer Vergabe wohl schwere Fehler unterlaufen. Laut einem Bericht kritisiert das Kartellamt, dass der Waffenhersteller Haenel sein Angebot unzulässig nachbessern konnte.
Soldaten mit dem G36, der bisherigen Standardwaffe der Bundeswehr (Archivbild)

Soldaten mit dem G36, der bisherigen Standardwaffe der Bundeswehr (Archivbild)

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Patrick Seeger/ dpa

Die Vergabe des Großauftrags für neue Sturmgewehre an die vergleichsweise unbekannte Thüringer Waffenfirma Haenel kam für viele überraschend. Inzwischen hat das Verteidigungsministerium angekündigt, den Auftrag wieder zu entziehen, das Unternehmen will dagegen klagen – doch offenbar gibt es gute Gründe, nicht an der bisherigen Vergabe festzuhalten.

Das Beschaffungsamt der Bundeswehr soll nämlich einen schweren Fehler in dem Vergabeverfahren begangen haben. Das berichtet die Nachrichtenagentur dpa unter Berufung auf eine Entscheidung des Bundeskartellamts. Demnach hatte die Koblenzer Beschaffungsbehörde die Bieter nach dem letztmöglichen Angebot kontaktiert und zugelassen, dass der eigentlich unterlegene Bieter Haenel sein Angebot noch ändern konnte – und dadurch am Konkurrenten Heckler & Koch vorbeizog. Dies sei »unzulässig« gewesen, werden die Richter der beim Kartellamt angesiedelten Vergabekammer zitiert.

Bei dem prestigeträchtigen Auftrag geht es um 120.000 Waffen, die das bisherige Standardgewehr der Bundeswehr, das G36 von Heckler & Koch, ersetzen sollen. Die Auftragsvergabe sollte schon längst erfolgt sein, es kam zu erheblichen Verzögerungen – frühestens am Jahresende könnte der Auftrag vergeben werden.

Nachdem Haenel vergangenen September zunächst den Zuschlag erhalten hatte, war Heckler & Koch gegen die Entscheidung für Haenel rechtlich vorgegangen. Im März 2021 vollzogen das Bundesverteidigungsministerium und das ihm unterstellte Bundeswehr-Beschaffungsamt einen Kurswechsel: Haenel wurde vom Vergabeverfahren ausgeschlossen – und Heckler & Koch sollte den Zuschlag bekommen. Dies wurde mit »Patentrechtsverletzungen« begründet – hierbei wirft Heckler & Koch Haenel vor, ein Patent zu nutzen, das für die schnelle Schussfähigkeit nach dem Durchs-Wasser-Waten wichtig ist. Zu diesem Patentstreit läuft inzwischen ein separates Verfahren vor dem Düsseldorfer Landgericht.

Haenel soll nachträgliche »Konkretisierung« beim Preis ermöglicht worden sein

Haenel mit Sitz in Suhl, ging gegen den Ausschluss vor und wollte wieder an dem Vergabeverfahren teilnehmen. Mitte Juni lehnte die Vergabekammer des Bundeskartellamts aber einen entsprechenden Antrag ab. Inzwischen wurde die Entscheidung offenbar veröffentlicht. Sie gibt laut dpa einen bemerkenswerten Einblick in die sonst so verschwiegene Welt der Vergabeverfahren.

Wie demnach in der Entscheidung zu lesen ist, kontaktierte das Beschaffungsamt die beiden Bieter zu einem Zeitpunkt, als Änderungen ihrer Angebote laut Vergaberecht gar nicht mehr möglich waren. Im Falle von Haenel fragten die Beamten offenbar nach, ob die Preisangaben für ein bestimmtes Zubehör pro Teil gemeint seien oder pro Dreierpack. In der veröffentlichten Entscheidung ist laut Bericht der Name des Zubehörs weggelassen. Es soll hierbei um »Stanag-Schienen« gegangen sein, berichtet dpa unter Berufung auf Insiderinformationen – also um Schienen, die am Gewehr befestigt werden, um darauf Zielfernrohre oder Laser-Licht-Module anzustecken.

Heckler & Koch blieb laut dpa bei seinem abgegebenen Angebot – im Wissen, dass Änderungen ohnehin nicht mehr gültig wären. Haenel, das zu einem arabischen Rüstungskonzern gehört, wiederum habe sein Angebot samt Preis geändert. Die »Konkretisierung« des Preises habe dazu geführt, dass Haenel »ein wirtschaftlicheres Angebot abgegeben hat«, zitiert dpa aus der Entscheidung. »Hier führte die Maßnahme unzulässigerweise zu einer Veränderung der Wertungsreihenfolge.«

Aus Sicht des Vergaberechtlers Jan Byok von der Kanzlei Bird & Bird ist dem Beschaffungsamt »ein grober Patzer« unterlaufen. »So eine nachträgliche Preisänderung zuzulassen, ist ein unerklärlicher Anfängerfehler«, sagte Byok. Es handle sich keineswegs um einen Einzelfall, vielmehr reihe sich dies ein in eine lange Kette an Fehlern des Beschaffungsamts bei Rüstungsvergaben. »Ob Fregatte, Transporthubschrauber, Gefechtsübungszentrum oder Schutzwesten – praktisch bei jedem Großprojekt des Beschaffungsamts kommt es zu Verzögerungen, die auch auf vergaberechtlichen Fehlern beruhen.« Das sei schlecht für die Bundeswehr – »die Truppe leidet unter der Situation«.

Scharfe Kritik kam auch aus dem Bundestag. Es gebe klare Kriterien bei der Beschaffung von Material, sagte die FDP-Abgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Dass aber das Beschaffungsamt mit all seinen Juristen im laufenden Verfahren Nachbesserungen zugelassen habe, sei »eine der vielen Grotesken«, die man seit Jahren erlebe. »Aus Unkenntnis oder weil man einem Anbieter eine Freude machen wollte?«, fragte die Liberale. Das Amt müsse dringend reformiert werden. Tobias Lindner von den Grünen sprach von einem »groben Fehler«, der gemacht worden sei. »Das notwendige Vertrauen, das der zuständige Haushaltsausschuss in die Vergabeentscheidung haben muss, ist dadurch schwer beschädigt worden.«

Das »Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr« (BAAINBw) hat seinen Sitz in Koblenz, es ist zuständig für die Beschaffung aller Rüstungsgüter und anderer Sachen für die Bundeswehr. Inklusive nachgeordneter Behörden hat das Amt nach eigenen Angaben 10.500 Dienstposten. Weder das Beschaffungsamt noch das Bundesverteidigungsministerium äußerten sich bislang zu dem Thema.

apr/dpa
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